"Leute verhört, weil sie meinen Status auf Facebook geteilt haben" (Telepolis)
19. August 2021 Ulrich Heyden
Der ukrainische Video-Blogger Anatoli Schari über ein Verfahren wegen Landesverrats, eine drohenden Auslieferung und Morddrohungen ukrainischer Rechtsradikaler
Anatoli Schari ist einer der populärsten Video-Blogger unter russischsprachigen Ukrainern. Er lebt seit 2012 als anerkannter politischer Flüchtling in der EU, in den vergangenen Jahren im spanischen Katalonien. Im Jahr zuvor war er nach einer Anklage wegen Recherchen zum Drogenhandel in der Ukraine nach Litauen geflohen.
In seinem Video-Kanal behandelt Schari brisante Themen. Der Blogger kritisierte den Ex-Präsidenten Petro Poroschenko (2014-2019) und den amtierenden Staatschef Wolodimir Selenski nicht nur scharf, er macht sich über Politiker auch offen lustig. Damit trifft er offenbar einen Nerv: Der Youtube-Kanal des Bloggers hat 2,4 Millionen Abonnenten.
Doch wie lange Schari noch als Blogger tätig sein kann, ist unklar. Die regierungsnahe Tageszeitung Ukrainskaja Prawda berichtete am 31. Mai, dass Litauen, dessen Behörden Schari 2012 den Flüchtlingsstatus zuerkannt haben, dieses Status jetzt zurückgezogen und Schari zur unerwünschten Person erklärt haben.
Die ukrainische Regierung setzt alle Hebel in Bewegung, um des Bloggers habhaft zu werden. Am 17. Februar hat der ukrainische Geheimdienst SBU Schari wegen Landesverrats angezeigt. Das Kiewer Petscherski-Gericht, das den Fall verhandelt, forderte den Blogger auf, zu einer Sitzung des Gerichts am 5. März aus Katalonien anzureisen. Schari kam dieser Aufforderung nicht nach. Die ukrainischen Justizbehörden schrieben ihn daraufhin zur Fahndung aus.
Schari ist seit 2019 auch Vorsitzender der von ihm initiierten gleichnamigen Partei.
Das ukrainische Justizministerium verlangte von Ihnen bereits im Februar und März, nach Kiew zu kommen, um an Gerichtsverhandlungen teilzunehmen, bei denen die Anklage des Landesverrats verhandelt wurde. Warum sind sie dieser Aufforderung nicht gefolgt?
Anatoli Schari: Tatsächlich waren das Justizministerium, der Sicherheitsdienst der Ukraine und alle ukrainischen Behörden erpicht darauf, mich in der Ukraine zu sehen. Ich musste mich vor Gericht aufgrund einer Anklage wegen Hochverrates verantworten. Und das, obwohl ich nie ein Beamter war, nie Zugang zu Staatsgeheimnissen hatte, nie feindliche Truppen mit Waffen in die Ukraine geführt oder ähnliches begangen habe.
Ich werde des Hochverrates beschuldigt insbesondere für das Propagieren der Mehrsprachigkeit. Meiner Meinung nach ist das im 21. Jahrhundert ein dringendes Thema.
Zudem habe ich die Mitarbeiter des ukrainischen Sicherheitsdienstes als "dumme Schweine" bezeichnet, was ich keineswegs bereue. Diese Tat zählt bereits als Hochverrat.
Ich habe die Außenpolitik der Ukraine angezweifelt - auch das ist Hochverrat. Das wäre alles verständlich gewesen, würden wir uns zum Beispiel im Jahre 1937 in meiner Heimat befinden. Aber heute …
Ich konnte also nicht in Kiew erscheinen. Als ob sie nicht wüssten, dass ich wegen der Genfer Flüchtlingskonvention aus dem Jahre 1951 kein Recht habe, aufgrund meines Flüchtlingsstatus die ukrainische Grenze zu überschreiten.
Wie viele Gerichtsverhandlungen hat es bisher gegeben?
Anatoli Schari: Tatsache ist, dass es keine einzige Gerichtsverhandlung wegen Hochverrates gegeben hat. Weshalb? Weil sie keine gerichtsfesten Beweise haben. Ich habe zwar zu Beginn gesagt, dass sie mich zum Prozess geladen haben, aber dabei ging es um meine "Partei Schari".
Sie haben beschlossen, meine Partei zu verbieten. Da ich des Hochverrates beschuldigt werde, ist das ein ausreichender Grund für sie, meine Partei zu schließen.
In diesem Kontext möchte ich auf den Fall von Julia Timoschenko zu sprechen kommen. Sie wurde verurteilt und saß ihre Haftstrafe ab. (Der ehemalige Präsident Wiktor) Janukowitsch (2010-2014) hat ihre Partei nicht verboten. Es ist noch nie jemandem in den Sinn gekommen, eine Partei zu schließen, weil eine Person etwas Umstrittenes gesagt hat.
Man kann einen Menschen nicht zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilen, nur weil er Beamte des ukrainischen Sicherheitsdienstes "dumme Schweine" genannt hat.
Man kann auch niemanden zu 15 Jahren Haft verurteilen, weil er dafür eintritt, dass man Ukrainisch und Russisch sprechen darf. Deshalb gehen sie mit diesen Vorwürfen auch nicht vor Gericht. Sie wissen, dass diese Argumente von einem Gericht nicht anerkannt würden, selbst von einem ukrainischen Gericht nicht.
Welche Möglichkeiten haben die ukrainischen Behörden, Sie nach Kiew zu holen, wenn nicht über Interpol? Offenbar steht Ihr Status als politischer Flüchtling, den sie 2012 von Litauen erhielten, zur Disposition. Ist das eine ernste Bedrohung?
Anatoli Schari: Das geht auf ein Treffen von (dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir) Selenski mit dem litauischen Präsidenten (Gitanas Nausėda) zurück. Dabei hat niemand das Recht, über den Flüchtlingsstatus einer Person zu sprechen.
Einige Personen in Litauen danach haben Informationen an die ukrainischen Medien weitergegeben. Das ist eine strafbare Handlung. Denn Informationen über Flüchtlinge sind schützenswert.
Dennoch haben der Präsident von Litauen und Selenski wegen ihrer Freundschaft entschieden, bestimmte Information zu teilen. Nein, mir wurde der Flüchtlingsstatus nicht aberkannt, denn nach dem Gesetz kann darüber nur ein Gericht entscheiden.
Aber solche Versuche finden des Öfteren statt. In meinem Fall wurde aus Freundschaft heraus beschlossen, die Genfer Konvention und alle Gesetze dieser Welt zu ignorieren. Man hat versucht, mir die Aufenthaltsgenehmigung für Litauen zu entziehen, weil ich angeblich sechs Jahre nicht dort gelebt habe.
Erzwungene "Ukrainisierung"
In Ihrem Kanal sprechen Sie unter anderem das neue Sprachengesetz in der Ukraine an, das den Gebrauch von Ukrainisch im öffentlichen Raum vorschreibt. Sie haben Kritiker des Sprachengesetzes aus Odessa und Mariupol zu Wort kommen lassen. Was genau kritisieren die Menschen und wie ist das Meinungsbild im Land?
Anatoli Schari: Mein Kanal ist in der Ukraine der bekannteste für russischsprachige Ukrainer. Das ist ein wichtiger Punkt. Die russischsprachigen Ukrainer sind keine Minderheit. Es wird immer gesagt, sie seien die Minderheit. Dabei sind sie Ukrainer wie alle anderen auch, sie reden eben nur Russisch.
Als ich geboren wurde, sprachen meine Eltern Russisch, auch meine Großmutter und meine Urgroßmutter, die noch beim Aufbau von Kiew geholfen haben. Heute habe ich Dokumente, alte Dokumente, über meinen Großvater. Er schrieb Briefe auf Russisch. Es ist also meine Muttersprache, aber ich bin trotzdem auch ein Ukrainer.
In der Tat ist die erzwungene "Ukrainisierung" für alle sehr ärgerlich. Eine lange Zeit lang haben wir, mit "wir" meine ich die russischsprachigen Ukrainer, versucht, uns anzupassen.
In der Sowjetunion habe ich nicht erlebt, dass in Kiew die ukrainische Sprache unterdrückt wurde. Alle Bezeichnungen der Geschäfte waren in der ukrainischen Sprache geschrieben. Friseur, Bäcker, alles war auf Ukrainisch. Das war in meiner Kindheit während der Sowjetunion. Es gibt Fotos, die zeigen mich als kleinen Jungen im Kindergarten in einer ukrainischen Nationaltracht.
Dann fing der Zwang an. Und sobald mir jemand sagt, dass ich etwas machen muss, wehre ich mich sofort dagegen. Viele Menschen - und das sind hochintellektuelle Menschen - fordern mich auf einmal auf, Ukrainisch zu sprechen.
Ich habe viele ukrainischsprachige Freunde, die mit mir arbeiten. Es gibt aber auch Menschen in meiner Partei, die nicht ukrainischsprachig sind. Diese unterschiedlichen Menschen reden mit mir auf Ukrainisch, Russisch oder einer anderen Sprache.
Ich kann mit Fug und Recht sagen, dass die russischsprachigen Ukrainer mit der erzwungenen Ukrainisierung unzufrieden sind. Wenn eine Zeitung mit einer Auflage in russischer und einer Auflage in ukrainischer Sprache erscheint, so findet die russische Version gemeinhin stärkeren Absatz.
Ich sehe die russische Sprache nicht als Bedrohung für die nationale Sicherheit der Ukraine wie der Leiter des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates. Er fordert, dass wir Ukrainisch und Englisch sprechen sollen. Ich weiß, dass er zu Hause mit seiner Familie Russisch spricht.
Jeden Tag verfolge ich die Nachrichten: Ein Mann wurde entlassen, weil er seine Meinung über die ukrainische Sprache gesagt hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in Italien einen Italiener entlassen würde, nur weil er sagt "Ich mag die italienische Sprache nicht". Oder ein Deutscher sagt "Ich mag die deutsche Sprache nicht". Wird er daraufhin gefeuert? Vergiftet? Auf der Straße zusammengeschlagen? In der Ukraine ist das die Realität.
Im Jahr 2015 haben Sie auf Ihrem Kanal ein Interview mit einem Freiwilligen aus Moskau veröffentlicht, der in Donezk und Lugansk auf der Seite der Separatisten kämpfte. Dieser Mann sagte, er habe bemerkt, dass die ukrainischen Soldaten überhaupt nicht wissen, wofür sie kämpfen. Diese Aussage wird im Gerichtsverfahren gegen Sie verwendet, weil sie angeblich die Moral der ukrainischen Armee untergräbt.
Anatoli Schari: Es ist von einem Anfangsverdacht die Rede. Tatsächlich hat mir der Sicherheitsdienst der Ukraine die Worte dieses Freiwilligen zur Last gelegt. Ich konnte diese Aussage zulassen oder sie verhindern, da ich der Interviewer war. Was hätte ich machen sollen?
Ich habe mir damals die Interview-Richtlinien der BBC angesehen. In denen steht ausdrücklich, dass man nicht versuchen sollte seinem Publikum zu gefallen, sondern man soll versuchen, der gegenübersitzenden Person zu ermöglichen, ihre Meinung frei zu äußern. Der Freiwillige aus Moskau hatte die Möglichkeit bekommen, seine Meinung zu äußern.
Jetzt wirft mir der Sicherheitsdienst der Ukraine vor, dass ich diese Meinung nicht bearbeitet, sondern ungeschnitten veröffentlicht habe.
Erstes Video im Jahr 2014 – über Terror in Odessa
Und wie kommen Sie an Material aus der Ukraine? Sie haben einen sehr engen Bezug zur Realität und ich frage mich, wie Sie das hinbekommen.
Anatoli Schari: Das ging nicht von heute auf morgen. 2014 kannte ich Youtube noch gar nicht. Das erste Video veröffentlichte ich Anfang Mai 2014, als in Odessa Menschen verbrannt wurden.
Dieses erste Video hatte 500.000 Aufrufe. Auch das zweite Video hatte einige hunderttausend Aufrufe. Zu dem Zeitpunkt hatte ich keine Kontakte in der Ukraine, um Videos zu kommen. Es war ein schrittweiser Prozess.
Heute habe ich ein Team von echten Profis, die man losschicken kann, um Interviews zu machen. Man kann sie an jeden beliebigen Hotspot schicken, weil sie es selber wollen. Es entstand auch eine solide Basis von Leuten, die bereit waren, mir Informationen gratis zukommen zu lassen.
Gibt es Fälle, in denen diese Leute, die Ihnen Material senden und selbst Interviews machen, Diskriminierung und Repressalien vonseiten der ukrainischen Behörden ausgesetzt sind?
Anatoli Schari: Natürlich. Die Sicherheitsdienste haben sogar Leute verhört, weil sie meinen Status auf Facebook geteilt haben. Die Behörden nennen das dann nicht Verhör, sondern Befragung.
Ein Mann aus Lviv wird regelmäßig vom Sicherheitsdienst der Ukraine angerufen. Es heißt dann: "Wir beobachten, dass Sie aktiv sind. Sie sind nach Kiew gefahren und haben dort die Partei von Schari unterstützt." Ich weiß, dass praktisch alle meine Aktivisten ähnliche Situationen mit dem Sicherheitsdienst der Ukraine erlebt haben.
Der Sicherheitsdienst der Ukraine zeigt keine Scheu. Warum spricht niemand über die Gefängnisse des Sicherheitsdienstes der Ukraine? Human Rights Watch, Amnesty International sprachen darüber, jedoch wurde die Ukraine von niemanden dafür verurteilt.
Es wurden keine Sanktionen verhängt aufgrund der geheimen Gefängnisse des Sicherheitsdienstes der Ukraine, in denen die Menschen regelmäßig gefoltert wurden.
Das sind Gefängnisse, in die Menschen verschleppt wurden. Warum? Weil es in Europa, in der zivilisierten Welt, so heuchlerisch zugeht. Die einen dürfen das, die anderen nicht. Den einen geht es gut den andern nicht.
Auf einer Internetseite, offenbar von ukrainischen Liberalen betrieben, werden sie beschuldigt, sich 2009 und 2010 gegen Roma und Homosexuelle ausgesprochen zu haben.
Anatoli Schari: Im Jahr 2009 habe ich zwei Artikel veröffentlicht, in denen ich meine Meinung über Homosexuelle und Zigeuner äußere. Bis 2009 war ich kein einziges Mal in Europa. Ich hatte noch nie einen Homosexuellen getroffen. Lediglich in den Medien habe ich von ihnen erfahren.
Ich habe gelesen, dass Homosexuelle die Menschen auf der Straße nahezu angreifen und in ihre "Szene" ziehen wollen. Das klingt idiotisch, ich weiß, aber ich habe in der UdSSR gelebt und wurde in eine bestimmte Richtung erzogen. Ich konnte nicht weiter blicken. Man durfte es nicht. Ich konnte es mir nur vorstellen, da ich es nie gesehen habe.
Und als ich in der EU ankam, stieß ich auf eine entgegengesetzte Geschichte. Ich wurde in ein Migrationsgefängnis gesteckt. Ich war der einzige mit einer hellen Hautfarbe. Alle anderen waren dunkelhäutig. Nicht nur in einer Abteilung, nein, im ganzen Gefängnis.
Durch die entstandene Freundschaft mit den anderen Insassen wurde meine ganze Weltanschauung auf den Kopf gestellt. Sie kamen aus dem Kongo und sprachen flüssiger Englisch als ich. Wir haben zusammen Schach gespielt.
Als ich von dort fortging, war die Freundschaft so tief, dass sie zum Abschied weinten. Sowas hätte ich nie erwartet.
Danach lebte ich in den Niederlanden. Ich habe eingesehen, dass alles was mir beigebracht und erzählt wurde, nicht der Realität entspricht, dass es in Wirklichkeit alles Unsinn ist. Natürlich propagieren einige Medienunternehmen, die Serien produzieren, in diese Richtung zu viel, was manchmal belastend sein kann. Ich habe meine Sichtweise aber gänzlich verändert.
Ich bin während meines Aufenthalts in der EU immer dafür eingetreten, dass man in der Ukraine homosexuell leben darf. Damit ist nicht gemeint, dass auf der Stirn geschrieben steht "Ich bin schwul", sondern das diese Leute eben ganz normale Menschen sind.
Ähnlich war das mit den Roma. Als eine Nazi-Gruppe in Kiew ein Lager von Roma zerstörten, habe ich davon berichtet und es in meinen Videos gezeigt. Ich habe Videos hochgeladen, in denen zu sehen ist, wie ein Typ einen Roma am Bahnhof in Kiew getötet hat. Er wurde dafür nicht einmal bestraft.
Von privatem Sicherheitsdienst bewacht
Ihre Adresse in Spanien wurde an die Medien weitergegeben. Danach tauchten ukrainische Nazis vor ihrem Haus dort auf. Wie haben sie reagiert?
Anatoli Schari: Als meine Adresse überall in den Medien zu finden war, ging es los mit den Drohungen von Neonazis vom "Nationalen Korpus". Und dann kamen sie. Nach dem ersten Besuch habe ich bereits Wachleute engagiert. Diese haben es nicht geschafft, einen dieser Leute zu schnappen, jedoch wurde er auf einem Video aufgenommen.
Es gab auch Aussagen, es sei notwendig, "nach Spanien zu fahren und Schari zu töten". Mit allen Drohungen habe ich mich an die Polizei gewandt. Diese hat daraufhin Fahndungen und Untersuchungen eingeleitet. Ich werde 24 Stunden am Tag von einer privaten Sicherheitsfirma bewacht.
Von ukrainischer Seite heißt es, Sie seien ein wohlhabender Mann und besäßen Immobilien nicht nur in Katalonien, sondern auch in Deutschland, in den Niederlanden und sogar ein Konto in New York.
Anatoli Schari: Das ist völliger Unsinn. Sie haben auch geschrieben, dass ich eine Unmenge an Firmen in Lichtenstein und Häuser weltweit besäße. Ich besitze nur ein Haus und eine Wohnung. Beide sind gemeldet.
Leider haben in der Ukraine noch lange nicht alle einen Internetzugang. Daher können sich nur wenige Menschen vorstellen, wie viel ein Youtube-Blogger mit durchschnittlich 1,2 Millionen Aufrufen pro Tag verdienen kann. Laut den Standards des Social Blade verdiene ich zwischen 97.000 und 1.600.000 Euro pro Jahr.
Deutsche Medien vertreten gemeinhin die Meinung, dass es in der Ukraine keinen Faschismus geben kann, da keine der faschistischen Parteien im Parlament vertreten ist. Nur Moskau behauptet, dass der Faschismus in der Ukraine präsent ist. Wie sehen Sie das?
Anatoli Schari: Ich werde es anhand einer Allegorie erklären. In einer Sporthalle sind 100 Menschen eingesperrt und fünf von ihnen haben eine Waffe. Diese fünf Leute können 95 Menschen in Schach halten, weil sie bewaffnet sind und die Bereitschaft zum Töten haben.
Es stimmt, für die faschistischen Parteien stimmten weniger als zwei Prozent. Jedoch tauchen die Faschisten ständig auf und unterbrechen die Sitzung eines Stadtrats, in den meine Partei gewählt wurde. Sie lassen es nicht zu, dass der Stadtrat in Ruhe arbeitet.
Die Faschisten sind die Leute, die Zugang zu Waffen haben und gewohnt sind zu töten. Es sind Leute, die bereits Menschen im Donbass getötet haben, die bereit sind, jegliche Verbrechen zu begehen, weil sie wissen, dass dies keine Konsequenzen für sie haben wird.
Ist die Ukraine heute ein unabhängiger und selbstständiger Staat?
Anatoli Schari: Natürlich nicht. Die G-7 regieren die Ukraine. Wenn es nur sie wären, dann wäre mir das gleich. In Wirklichkeit ist die Ukraine schon seit Längerem kein unabhängiger Staat.
Janukowitsch hat wenigstens noch versucht, mit den einen oder den anderen zu kooperieren - und das sage ich, obwohl ich unter ihm das Land verlassen musste.
Doch dann ist Folgendes passiert: Die Ukraine hat alles weggegeben, was sie nur hat geben können, etwa Teile des Bodens und Banken. Jetzt geben sie auch das Justizsystem in externe Verwaltung. Aufsichtsräte von Unternehmen bestehen gemeinhin zu 50 Prozent aus Ausländern.
Wie viele Leute sind in Ihrer "Partei Schari"?
Anatoli Schari: Wenn wir auf die Website schauen, dann sind es offiziell rund 360.000 Parteimitglieder. Wenn wir jedoch auf die Anzahl der Menschen blicken, die bereit wären, für uns zu stimmen, dann würde ich sagen: mehr als eine Million. Wenn man bedenkt, wie viele Leute zur Wahl gehen, haben wir enorme Chancen, in das Parlament zu kommen und das Land wirklich zu verändern.
Wir haben in der Ukraine keine andere Wahl, als mit Laienpolitikern in die Parlamente einzutreten, weil Berufspolitiker das Land zu dem gemacht haben, was es jetzt ist. Es gibt Menschen, die das ganze Leben an der Macht sind. Sie wurden mit einem goldenen Löffel im Mund geboren, und auf ihrer Stirn steht geschrieben "Politiker der Ukraine". Deren Kinder werden ebenfalls Politiker. Das führt doch nirgendwo hin.
Und das Eintreten von gewöhnlichen Menschen, die sich nie verkauft haben, nie verstellt haben, egal wie viel Geld ihnen angeboten wurde, zudem sie genug Geld besitzen, ist etwas Neues, weil sie keine Oligarchen sind. Das ist von Vorteil.
veröffentlicht in: Telepolis