Liebesreigen im Plattenbau
Kult-Regisseur Timur Bekmambetow dreht die Fortsetzung eines sowjetischen Klassikers
„Dinner for One — Fortsetzung“ — wäre das möglich? In Russland ist es möglich. Zum Jahresende startete in den Kinos der Film „Ironie des Schicksals — Fortsetzung“ (www.ironiasudbi.ru). Mit der Komödie will Regisseur Timur Bekmambetow seinen eigenen russischen Kassenrekord schlagen. Sein Phantasie-Thriller „Wächter des Tages“ spielte vergangenes Jahr 32 Millionen Dollar ein. Kritiker meinen, der Regisseur — ein früherer Werbe-Filmer - habe die Urfassung verhunzt. Dem neuen Streifen fehle das Menschlich-Lyrische und er sei übervoll mit Product placement.
„Ironie des Schicksals — Fortsetzung“ basiert auf dem Film „Ironie des Schicksals“, den Eldar Rjasanow 1975 drehte. Der alte Liebesfilm voller absurder Verwechslungen läuft wie im Westen „Dinner for One“ jedes Jahr in der Silvester-Nacht im Fernsehen. Sich an dem Kult-Film zu vergreifen ist kein risikoloses Unterfangen.
Produzent Konstantin Ernst — er ist zugleich Generaldirektor des staatlichen Fernsehkanals ORT — ist bisher zufrieden. In den ersten zwei Wochen nach dem Spielstart Ende Dezember wurden bereits eineinhalb Millionen Eintrittskarten verkauft und neun Millionen Dollar eingespielt. Dafür wurde allerdings auch geklotzt. Allein in Moskau läuft der Film in 75 Kinos. 1 050 Kopien wurden für Filmtheater in Russland, der Ukraine und den baltischen Staaten bereitgestellt. In den Medien läuft eine großangelegte Werbekampagne. Die Kino-Besucher nehmen an einer Verlosung teil. Als Preise winken ein japanisches Auto und eine Drei-Zimmer-Wohnung in St. Petersburg.
Das Original aus dem Jahre 1975 beginnt in einer Moskauer Banja. Nach einem zünftigen Saufgelage wird einer der Teilnehmer, Schenja Lukaschin, in ein Flugzeug nach Leningrad (das heutige St. Petersburg) gesetzt. Nach der Ankunft in einem Plattenbauviertel denkt Schenja, er sei in Moskau, denn es sieht alles gleich aus. Auch in Leningrad gibt es die 3. Bauarbeiter-Straße. Sogar der Schlüssel zur Wohnung Nr. 12 passt. Doch dort wohnt Nadja, die den schlafenden Schenja in ihrem Bett findet. Die Situation wird brenzlig als auch Nadjas Verlobter Ippolit auftaucht. Doch der flüchtet aus der Wohnung. Nadja und Schenja verlieben sich.
Die Hauptrollen im neuen Film spielen die fiktiven Kinder von Nadja und Schenja. Es beginnt wieder in der Moskauer Banja. Wieder schickt die Männerrunde jemanden nach St. Petersburg. Diesmal ist es Schenjas Sohn, Kostja, der sich völlig betrunken in der legendären Wohnung Nr. 12 in der „3. Bauarbeiter-Straße“ wiederfindet. Kostja verliebt sich in die überraschte Wohnungsinhaberin, die umwerfend hübsche Nadja, die Tochter von Nadja aus dem ersten Teil.
Auch Nadja und Schenja, die beiden Hauptfiguren aus dem Original vor 30 Jahren, treten wieder auf. „Liebe hat keine Vergangenheit“, schmachtet der alternde Schenja. Die Mutter sträubt sich zunächst, taut dann aber auf, ebenso wie ihre Tochter, die den Werbungen des jungen Kostja nicht wiederstehen kann. Zunächst wird der unablässig Drängende — er spielt, er sei immer noch betrunken — vor die Tür verwiesen. Als er dort eine Romanze singt, taut Nadjas Herz auf.
Kostja füllt eine Leerstelle, denn Nadja wartet vergeblich auf ihren Verlobten Irakli, den erfolgreichen Manager einer Mobilfunkfirma. Irakli ist selbst in der Sylvester-Nacht schwer beschäftigt, rast ununterbrochen mit seinem Toyota Camry durch das winterliche St. Petersburg und richtet auf glitschigen Dächern Kunden-Antennen aus. Irakli ist zwar geschäftlich erfolgreich, aber glatt und ohne Romantik. Selbst in Nadjas Wohnung ist Irakli ganz Geschäftsmann. Unaufhörlich beantwortet er über seinen Hands-Free-Ohrknopf Telefonanrufe von Kunden. Mit wem er gerade spricht, ist unklar. „Wer sind Sie?“ fragt Sergej, als sich Nadja zum Kuss nähert. Eigentlich wollte Irakli in der Sylvesternacht im Beisein von Nadjas Eltern um die Hand seiner Verlobten anhalten und ihr einen Brillianten schenken, doch er trifft erst nach Mitternacht ein. Kostja war schneller. Der Sekt ist schon geöffnet.
Der neue Film stieß auf heftige Kritik. Regisseur Bekmambetow, ein ehemaliger Werbe-Filmer, der derzeit seinen ersten Hollywood-Film mit Angelina Jolie dreht, sei „mit einem Vampir-Bulldozer“ über den „geliebten Film unserer Eltern“ gefahren, heißt es auf der bekannten Webseite „AntiIronia“. Von der lyrisch-menschlichen Atmosphäre des alten Films sei nichts mehr übrig.
Die „Fortsetzung“ wurde vor allem in Prag gedreht, angeblich aus Gründen der Geheimhaltung, doch vermutlich waren dort die Produktionsbedingungen besser. Der neue Film ist voll von Computer-Tricks und Product placement. Geworben wird für eine japanische Automarke, Pralinen, Mayonnaise, Bier und eine russische Mobilfunkfirma. Anders lasse sich heute keine Filmproduktion finanzieren, meint Produzent Konstantin Ernst. Mit der „Fortsetzung“ hofft Ernst, die Amerikaner im heimischen Kino-Markt „zurückzudrängen“ und die ältere Generation in die inzwischen modernisierten Lichtspielhäuser zurückzuholen.
"Moskauer Deutsche Zeitung"