4. November 2009

Medwedjew kritisiert Stalin-Nostalgie

Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau

Anders als Putin wagt Russlands Präsident eine öffentliche Stalin-Schelte.

Nun hat sich auch Kreml-Chef Dmitri Medwedjew in die neue russische Debatte um Stalin eingeschaltet. In einem Video-Blog anlässlich des Gedenktages für die „Opfer der politischen Repression“ fand Medwedjew so deutliche Wort zum Stalin-Terror, wie sie Wladimir Putin nie geäußert hat: „Millionen Menschen starben infolge des Terrors und lügenhafter Anschuldigungen“, erklärte der Kreml-Chef.

Die Opfer des Terrors in den 1930er-Jahren seien „aller Rechte“, sogar dem Recht auf eine „ehrenvolle, menschliche Bestattung“ beraubt worden, erinnert Medwedjew, der sich schon im Wahlkampf zu liberalen Werten bekannt hatte. Das Argument, dass die zahlreichen Opfer „wegen höherer staatlicher Ziele gerechtfertigt waren“, will der russische Präsident nicht gelten lassen. Denn der Erfolg eines Landes könne nicht „zum Preis menschlichen Leids und Verlust“ erreicht werden.

Stalinkult in der Metro


Diese klare Absage an jegliche Form von Stalin-Nostalgie ist keineswegs nur ein Lippenbekenntnis an einem nationalen Gedenktag. Denn diese Kritik am „Woschd“ („Führer“) Stalin, der in Russland heute wieder ziemlich populär ist, bringt dem Liberalen Medwedjew keine Pluspunkte. Vor einem Jahr war Stalin bei einer Abstimmung über den populärsten Russen immerhin auf Platz drei gekommen.

Mit seinen Äußerungen riskiert der russische Präsident nicht nur den Konflikt mit konservativen Teilen der Beamtenschaft sondern auch mit weiten Teilen der Bevölkerung, die sich in Krisenzeiten wieder gerne an eine „starke Hand“ erinnern, die angeblich alles zum Guten richtet.

Auf Anweisung der Verwaltung der Moskauer Metro wurde in einer Kuppel der Metro-Station Kurskaja eine Strophe aus der Sowjet-Hymne, die Stalin huldigt, wieder angebracht. Dort soll sogar die Büste des Diktators wieder aufgestellt werden, um das historische Original der Metro-Station wieder herzustellen, wie es hieß.

"Sächsische Zeitung"

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