Mit allen Wassern gewaschen
Seit zehn Jahren ist Putin der starke Mann Russlands – Der Ex-Geheimdienstchef genießt auch in der Finanzkrise hohes Ansehen
Vor zehn Jahren wurde ein weitgehend unbekannter Mann namens Wladimir Putin Ministerpräsident des Riesenreiches Russland. Im Westen ist er gefürchtet, doch in der Heimat hat der Ex-Geheimdienstchef nach wie vor hohes Ansehen.
Von SZ-Mitarbeiter Ulrich Heyden
Moskau. Im Westen jagt Wladimir Putin mit seinen oft laxen Art den Menschen immer wieder Kälteschauer über den Rücken. Was mit dem Atom-U-Boot Kursk passiert sei, wollte CNN-Moderator Larry King einst wissen. „Sie ist untergegangen“, antwortete Putin schnodderig. Über die ermordete Journalistin Anna Politkowskaja sagte Putin, ihr Tod schade Russland mehr als ihre Artikel. Auf der Wehrkundetagung in München drohte Putin wortgewaltig mit Gegenmaßnahmen im Falle einer weiteren Nato-Osterweiterung.
Doch das ist nicht der ganze Putin. Es gibt noch einen Putin für den Hausgebrauch. Das ist der Feuerwehrmann, der überall dort in Russland auftaucht, wo es scheinbar unlösbare Probleme gibt. Putin fliegt auf dem Copiloten-Sitz eines Kampfflugzeuges nach Grosny (März 2000), um zu demonstrieren, dass Moskau Tschetschenien niemals hergeben wird. In stundenlangen Fernsehsendungen beantwortet er als Präsident Fragen von Bürgern und verspricht Babuschka Mascha persönlich, sich um ihre schlechten Wohnverhältnisse zu kümmern. Oder er mischt sich direkt von Olympia in Peking kommend unter ossetische Flüchtlinge, die aus dem Kriegsgebiet in Georgien kommen.
Zeit der großen Krise
Am 10. August 1999 berief der schwer kranke russische Präsident Boris Jelzin den damals unbekannten Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB zum Ministerpräsidenten. Russland befand sich in einer schweren Krise. Innerhalb von 17 Monaten hatte Jelzin drei Ministerpräsidenten verschlissen, der Rubel verlor dramatisch an Wert. Doch damit nicht genug.
Am 7. August 1999 fiel eine Gruppe von islamistischen Extremisten in Dagestan ein, mit dem erklärten Ziel im ganzen Nordkaukasus ein Kalifat zu errichten. In Moskau explodierten Häuser, hunderte Menschen starben. Offiziell wurden Attentäter aus dem Kaukasus für den Terror verantwortlich gemacht. Kreml-Kritiker wie Aleksandr Litwinenko dagegen meinen, der Geheimdienst habe seine Finger dabei im Spiel gehabt. Am 1. Oktober befahl Putin den Einmarsch russischer Truppen nach Tschetschenien. Der Auftrag lautete, die Kaukasus-Republik aus der Hand der Separatisten zu befreien. Erst 2003 konnte Putin das Ende des Krieges bekannt geben. Doch der Nordkaukasus bleibt mit sozialer Notlage, Korruption und islamistischem Untergrund die Achilles-Ferse Russlands.
1998 und 1999 waren Jahre, die die Russen als Katastrophen-Zeit in Erinnerung haben. Das Volk war bereit, jedem seine Stimme zu geben, der das Land aus dieser Lage befreit. Für Jelzin, der in Deutschland in betrunkenen Zustand ein Militärorchester dirigierte, schämten sich die Russen. Da kam der Geheimdienstmann Putin, den die Medien als Retter der Nation aufbauten, gerade richtig. Angesichts von Finanzkrise, Terror und Krieg wagten auch unter den russischen Liberalen nur wenige offenen Widerspruch.
Außenpolitisch setzte Putin auf einen selbstbewussten Kurs gegenüber dem Westen. Ein weiteres Heranrücken der Nato an die Grenzen Russland sollte verhindert werden. Gegenüber Nachbar-Staaten wie der Ukraine, die eine Aufnahme in die Nato anstrebten, wurden die Gaspreise heraufgesetzt.
Innenpolitisch setzte Putin auf eine straffe Zentralisierung. Er entmachtete Oligarchen, die sich seinem Kurs nicht anpassen wollten. Einige flüchteten ins Ausland, etwa die Medien-Zaren Boris Beresowski und Wladimir Gusinski. Den einst reichsten Mann des Landes, Michail Chodorkowski, ließ Putin wegen Betrugs und Steuerhinterziehung nach Sibirien verbannen. Es war ein Exempel: Seit der Verurteilung Chodorkowskis, der Oppositionsparteien finanziert hatte und selbst Ambitionen auf das Präsidentenamt hegte, halten sich Oligarchen aus der Politik heraus. Unter Putin entstand eine „gelenkte Demokratie“. Parteien, Medien und Nichtregierungsorganisationen dürfen existieren – wenn sie nach der Pfeife des Kreml tanzen.
Ein Mann für alle Fälle
Die Popularität von Putin, der im Mai 2008 vom Präsidenten-Posten auf das Amt des Ministerpräsidenten wechselte, ist trotz aktueller Finanzkrise ungebrochen. Nach Umfragen sehen die meisten Menschen in der Politik des derzeitigen Kreml-Chefs Dmitri Medwedew die Handschrift Putins. Er ist also nach wie vor der starke Mann im Land.
Putin verdankt sein Ansehen nicht nur Öl- und Gas-Milliarden und dem besseren Leben. Seit der Finanzkrise vermittelt er den Eindruck, dass er sich unermüdlich um die Sorgen seiner Bürger kümmert. Immer wieder eilt er an soziale Brennpunkte, wie Anfang Juni in die nordrussische Provinzstadt Pikaljowo, wo mehrere hundert Einwohner wegen Betriebsschließungen, Lohnschulden und dem Abstellen der zentralen Heißwasserversorgung das Bürgermeisteramt gestürmt und eine Fernstraße besetzt hatten. Vor laufenden Fernsehkameras verdonnerte Putin den Oligarchen und Besitzer einer Zementfabrik, unverzüglich ausstehende Löhne zu zahlen und die Produktion wieder anzufahren.
In gewisser Weise entspricht der Regierungsstil von Putin den Alltags-Erfahrungen der einfachen Menschen. In Russland wird traditionell viel improvisiert, denn langfristige Pläne lassen sich wegen häufiger Krisen, einem unterentwickelten Rechtssystems und einer korrupter oder einfach untätigen Polizei nur schwer machen. So kommt es, dass dort, wo die Kraft des Kreml scheinbar nicht hinreicht, plötzlich Feuerwehrmann Putin auftaucht. Damit endlich wieder Ordnung herrscht – bis es schon bald woanders brennt . . .
"Saarbrücker Zeitung"