12. October 2010

Mit Pflaster gegen Putins Pin-ups

Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau
Es ist nicht gerade so, dass es in der russischen Öffentlichkeit übertrieben feinfühlig zugeht. Man ist, was das angeht, eher einiges gewöhnt. Trotzdem staunen viele Russen derzeit, denn zum 58. Geburtstag von Ministerpräsident Wladimir Putin am vergangenen Donnerstag ist es im Internet zu einem skurrilen Geschenke-Wettbewerb gekommen. Bei ihm geht es nicht um das größte, sondern um das passendste Präsent. Nachdem sich zwölf Journalistik-Studentinnen für einen Putin-Geburtstags-Kalender in Spitzenunterwäsche hatten ablichten lassen, antworten nun sechs Kommilitoninnen von der gleichen Fakultät im Internet mit einem kritischen Alternativ-Kalender. Die Studentinnen hier treten nicht leicht bekleidet, sondern in schwarzer Kleidung auf. Sie schauen ernst. Ihre Münder sind in Anspielung auf die fehlende Meinungsfreiheit mit Pflasterstreifen verschlossen. „Wladimir Wladimirowitsch, wir haben ein paar Fragen“, heißt das Werk. Und neben jedem Bild steht eine Bissigkeit an das Geburtstagskind. „Wann wird Chodorkowski freigelassen?“, klingt da noch harmlos. Härter wird es schon bei „Versammlungsfreiheit, immer und überall?“ oder „Wer ermordete Anna Politkowskaja?“ Die kremlkritische Journalistin war am 7. Oktober 2006, an Putins Geburtstag, von einem Killer erschossen worden. Bis heute ist der Mord nicht aufgeklärt. Die bitterste Frage im Alternativkalender ist jedoch folgende: „Wann gibt es den nächsten Terrorakt?“ Damit spielen die Studentinnen auf die immer wiederkehrenden Terroranschläge in Russland an. Lieber Fragen als Unterwäsche
Der Pin-up-Kalender könne nicht ohne Antwort bleiben, begründen sie ihr Projekt. Eine der Teilnehmerinnen, die sich „Liz Anderson“ nennt, veröffentlichte den Gegenentwurf im „Schiwoi Journal“, dem russischsprachigen Sektor der Weblog-Seite LiveJournal. Es gehe darum, den guten Namen der Moskauer Journalistik-Fakultät zu retten, so die Macherinnen. Für Journalistinnen sei es angemessener, kritische Fragen zu stellen als sich für den starken Mann Russlands bis auf die Unterwäsche auszuziehen.
Nach der Veröffentlichung des Alternativkalenders hagelte es im Internet begeisterte Kommentare, vor allem von Frauen, die es offenbar satthaben, dass Russinnen im Internet nur als sexbesessene Dummchen abgebildet werden. Bei Twitter etwa gab es viel Zustimmung. „Ich will nicht, dass man uns damit in Verbindung bringt“, schrieb eine Studentin über den Pin-up-Kalender. Und eine andere teilte in ihrem Mikroblog mit, sie wolle wegen der freizügigen Bilder an den Präsidenten der Fakultät, Jasen Sasurski, schreiben, mit der Bitte: „Herr Sasurski, exmatrikulieren sie diese Idiotinnen von unserer Fakultät.“ Ein weiterer Blogger schreibt: „Was wird unsere goldene Jugend als nächstes anstellen?“ Und auch die Dekanin der Journalistik-Fakultät, Jelena Wartanowa, äußerte ihre Missbilligung. Man nutze den guten Namen der Fakultät, um Geld zu verdienen.
Und Wladimir Putin? Der übt sich in der Mini-Affäre in Zurückhaltung. Der Ministerpräsident habe auch den Gegenkalender registriert, war von seinem Sprecher Dmitri Peskow zu vernehmen. Und: „Ehrlich gesagt, gefallen ihm die Mädchen aus dem ersten Kalender besser.“ (mit dpa) "Sächsische Zeitung"
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