4. March 2008

Mitläufer mit Ambitionen

Kommentar

Die Bürger Russlands haben im Grunde keine Wahl. Sie müssen das Essen, was auf den Tisch kommt. Die Russen gehen zur Wahl, weil ihnen der Kreml einimpft, dass die Stimmabgabe eine staatsbürgerliche Pflicht ist. Die Wahl in Russland muss man als Tauschgeschäftverstehen. Nach dem Motto: „Wenn ihr uns wählt, werden wir uns um Euch kümmern.“

Dieses Tauschgeschäft wurzelt in einer Kultur, wo der Stärkere Recht hat, nicht der Bessere. Es bringt nichts, wenn man in Westeuropa überheblich die Nase rümpft. Besser wäre es, nach den Gründen dafür zufragen, warum am Sonntag in Russland weit über die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben hat. Für viele Russen hat sich das Leben unter Putin verbessert. Die Einkommen steigen langsam, man kann sein Geld wieder auf die Bank bringen, ohne Angst, dass es Morgen keinen Wert mehr hat. Man kann Kredite aufnehmen und sich Autos und Wohnungen kaufen. Das ist nicht wenig für ein Land, was Jahrzehnte im Mangel und in den 90er Jahren im Chaos lebte. Jahrelang standen Professoren auf Freiluftmärkten und verkauften chinesisches Kinderspielzeug. Ihre Institute zahlten keine Gehälter mehr. Tausende von hochqualifizierten Wissenschaftlern wanderten in den Westen ab. Die Geburtenrate sank dramatisch. Russland zehrte innerlich aus.

Politische Veränderungen in Russland kamen bisher meist von oben, nicht von unten. Von daher ist es gut, dem Wahlsieger Dmitri Medwedew genau auf den Mund und auch auf die Finger zu schauen. Noch ist nämlich nicht hundertprozentig klar, ob der Professoren-Sohn aus St. Petersburg nur eine Schachfigur in Putins Machtspiel ist. Aufhorchen ließ Medwedews Rede auf dem Wirtschaftsforum im sibirischen Krasnojarsk, wo er ohne Wenn und Aber liberale Werte in Wirtschaft und Gesellschaft predigte. Kraftsprüche à la Putin, die an niedere Instinkte appellierten, wie etwa das „Abmurksen von tschetschenischen Terroristen auf dem Klo“, hat man von Medwedew bisher nicht gehört. Mit den USA möchte er zusammenarbeiten. Putins Kronprinz war bisher ein Mitläufer, der ab und zu leise Kritik anmeldete, etwa beim Verfahren gegen den Yukos-Chef Michail Chodorkowski. Das ist nicht viel, aber es ist mehr als Nichts.

Nordsee-Zeitung

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