Mord in der Sauna
Im Nordkaukasus hält der Terror an – Islamisten versuchen, ihre Lebensregeln mit Strafaktionen durchzusetzen.
Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau
Ein Abend wie jeder andere. Langsam zieht die Dunkelheit über die dagestanische Stadt Bujnaksk. Sieben Frauen halten
sich noch in der Sauna „Olimp“ auf. Plötzlich hören sie Schüsse. In Panik verbarrikadieren sie sich in der Küche. Sie haben keine Chance.
Etwa 15 Männer sind es, die sich mit Gewalt Zutritt verschaffen. Sie schießen die Frauen nieder. Vor dem Überfall hatte die Bande in einem nahe gelegenen Polizeipostenvier Polizisten getötet und deren Kalaschnikows erbeutet. Dann zwangen die Terroristen den Fahrer eines Mikro-Busses, zur Saunazu fahren. Nach offizieller Mitteilung wurde die Bande von Nabi Migitdinow geleitet, 48 Jahre alter religiösen Führer der Islamisten in der Region Bujnaksk. Nach dem Überfall verschwanden die Terroristenin einem Waldstück.
Der Überfall kam nicht überraschend. Anfang August hatte eine „Initiativgruppe der Moslems von Schamilkala“ – so die islamistische Bezeichnung für die Hauptstadt Dagestans, Machatschkala – auf derextremistischen Internetseite „Kafkaz Center“ alle „Zuhälter und Sauna-Besitzer“ aufgefordert, ihre Einrichtungenzu schließen, sonst würde sie die strafende Hand von Allah treffen. Es ist nicht das erste Mal, dass der radikal-islamistischeUntergrund versucht, mit Gewalt
eine fundamentalistische Lebensweise in der Region durchzusetzen.
Glücksspiel verboten
Im Februar 2006 wurden in der nordossetischen Stadt Wladikawkas bei einem Anschlag auf eine Spielhölle zwei Menschen getötet und 26 verletzt. Im November 2008 wurden in den tschetschenischenStädten Grosny und Gudermes sieben junge Frauen mit gezielten Kopfschüssen getötet. Der tschetschenische Menschenrechtsbeauftragte
erklärte, solche Morde kämen gelegentlich vor, wenn Verwandtesich durch das Verhaltender Frauen beleidigt fühlen.
Der Präsident Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, präsentiert sich gern als der starke Mann. Doch auch er steht unter dem Druck islamistischer Extremisten und gibt ihnen nach. 2005 verbot Kadyrow das Glücksspiel in Tschetschenien. Vonden Frauen forderte er eine sittliche Kleidung. Tschetscheninnen sollen lange Röcke und Kopftücher tragen und die Arme bedeckt halten. „Eine Frau muss wissen, wo ihr Platz ist“, erklärt Kadyrow. Wenn eine Frau „über die Strängeschlägt“, werde sie von den Verwandten getötet. „So sind unsere Sitten.“ Gleichzeitig forderte Kadyrowdas Recht der Männer, mehrere Frauen zu haben, was nach russischen Gesetzen verboten ist.
Nach dem Mord an den sieben Frauen in der Sauna in Dagestan erklärte der Innenminister der russischen Teilrepublik, Ali Magomedow, die Situation werde „aus dem Ausland angeheizt“. Die Menschenin Dagestan hätten „keinen Grund, sich gegenseitig umzubringen“. Andrej Grosin von der Russischen Akademie der Wissenschaften erklärt, die Terroristen im
Nordkaukasus hätten für einen „breit angelegten terroristischen Krieg“ nicht genug Kraft. Tatsächlich gelangen ihnen in den letzten Jahren mehrere große Aktionen.Im Juni 2004 fielen 200 Männer indie Stadt Nasran ein. Dabei wurden
98 Menschen – Polizisten, Geheimdienstmitarbeiter und Staatsanwälte– auf offener Straße erschossen.
Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren überfielen 32 Terroristen eine Schule im nordossetischen Beslan und nahmen Schüler, Lehrer und Eltern als Geiseln, 310 starben. Im Oktober 2005 überfielen 60 Bewaffnete die Stadt Naltschik. Dabei wurden neun Zivilisten und 36 Angehörigeder Sicherheitskräfte getötet.In diesem Sommer wurde der Präsident von Inguschetien, Junus-Bek Jewkurow, bei einem Sprengstoffanschlagschwer verletzt. Jewkurow hatte versucht, die Clans der Inguschen zu versöhnen. Außerdem wollte er offenbar willkürliche Säuberungsaktionen der Sicherheitskräfte stoppen. Doch der Terror ging weiter. Am selben Tag, an dem Jewkurow aus dem Krankenhaus entlassen wurde, drangen Unbekannte in Tarnkleidung in das Büro des Bauministers von Inguschetien, Ruslan Amerchanow, ein. Der von Jewkurow erst kürzlich ernannte Beamte wurde direkt an seinem Schreibtisch erschossen.
Moralisches Vakuum
Die Mord-Welle im Nordkaukasus hat mehrere Gründe. Der Tschetschenienkriegmit seinen Tausenden Toten hat das feine Netz der sozialen Strukturen und Sitten zerstört. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 50 Prozent. Der Kreml hat die
Macht in den Teilrepubliken korrupten, oft autoritär regierenden Verwaltern übertragen. Im Kampf der Tschetschenen um
die Unabhängigkeit von Russland spielten radikale Islamisten noch eine Randrolle. Inzwischen sind die Islamisten – oder Wahabiten, wie sie im Nordkaukasus genannt werden– dort die treibende politische Kraft. Sie machen sich die soziale
Notlage und das moralische Vakuum zunutze und versuchen mit brutalen Strafaktionen, ihre Lebensregeln durchzusetzen.
"Sächsische Zeitung"