1. March 2009

Mord in Russland: Die Angst aus der Seele verjagt

Hunderte nahmen Abschied von den Opfern des Moskauer Doppel-Mords an Rechtsanwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasija Baburowa.

Als der Sarg hinab gelassen war und die Arbeiter des Beerdigungs-Unternehmens Erde in die Grube schippten, begann ein leiser Schneeregen. „Wir sagen bei uns, die Natur weint“, flüstert Tatjana, eine Russin in mittlerem Alter, welche die Familie des ermordeten Anwaltes Stanislaw Markelow gut kannte. Dann wispert sie mit einem bedeutungsvollen Gesicht: „Er war ein reiner, leuchtender Mensch“.

Auf dem Moskauer Ostankino-Friedhof im Norden Moskaus – direkt beim Fernsehturm - herrschte Schweigen. Es gab keine Ansprachen. Der Bruder des Toten wollte keine politische Demonstration. Auf den Gesichtern der etwa 350 Menschen, die gekommen waren, um Abschied zu nehmen, lag tiefe Trauer und die unausgesprochene Frage: Wann wird wieder Jemand umgebracht? Wer schützt uns vor den Mördern? Um das Grab des bekannten Anwalts hatten sich vor allem Menschenrechtler, Links-Aktivisten und Journalisten versammelt.

Der Kreml schweigt zu dem Doppel-Mord vom Montag. Ein Mann mit Wollmütze und Schal hatte den Rechtsanwalt Stanislaw Markelow und seine Begleiterin, die Journalistin Anastasija Baburowa von „Nowaja Gaseta“, auf einer belebten Straße im Zentrum von Moskau mit einer Pistole erschossen. Ein Kommentator von „Radio Echo Moskwy“ fragte, warum Präsident Dmitri Medwedew, der sich als liberal bezeichnet, schweigt, während der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko ein Beileids-Telegramm schickte.

Ein tschetschenischer Orden für den ermordeten Anwalt

Zu den Trauernden gehörte auch Natalija Estemirowa, die Leiterin der Zweigstellte der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial in Grosny, der Hauptstadt Tschetscheniens. Sie berichtete von einer Protest-Kundgebung in Grosny mit 2.500 Teilnehmern, unmittelbar nach dem Doppel-Mord. In Moskau waren unmittelbar nach dem Anschlag nur ein paar Hundert Menschen auf die Straße gegangen. „Das war ein Protest gegen den Mord an einem Anwalt, den man in Tschetschenien gut kannte. Auf der Kundgebung gab es Forderungen gegen die vorzeitige Entlassung von Budanow,“ berichtet die Menschenrechtlerin.

Der russische Oberst Budanow hatte während des Tschetschenien-Krieges im Jahre 2000 die 17jährige Tschetschenin Elsa Kungajewa vergewaltigt und erwürgt. Letzte Woche war Budanow vorzeitig aus der Haft entlassen worden, was in Tschetschenien einen Protest-Sturm auslöste, den auch der vom Kreml eingesetzte Präsident der Kaukasus-Republik, Ramsan Kadyrow, nicht ignorieren konnte. Kadyrow verlieh dem ermordeten Anwalt posthum einen tschetschenischen Orden für seine Arbeit. In Moskau gab es die Vermutung Ultranationalisten könnten hinter dem Mord an Markelow stecken, denn bevor Budanow zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, hatten Kosaken und Rechtsradikale für den „Held Russlands“ demonstriert.

Die Kinder wissen noch nicht, dass ihr Vater tot ist

Markelow war in ganz Russland bekannt als Anwalt für schwierige, risikoreiche Fälle. Deshalb gibt es bisher nur Vermutungen, wer den Mord in Auftrag gegeben hat. „Der Schlag konnte aus verschiedenen Richtungen kommen“, meinte Swetlana Gannuschkina, die sich als Menschenrechtlerin um politische Flüchtlinge und Gastarbeiter aus Zentralasien kümmert. Markelow übernahm Fälle von entführten und ermordeten Tschetschenen, nicht bezahlten Gast-Arbeitern und Umweltschützern, die sich gegen die Abholzung des Chimki-Waldes bei Moskau wehrten. „Wir haben uns immer an ihn gewandt, wenn klar war, dass es für den Anwalt ein Risiko gab. Natürlich ist mir nicht in den Sinn gekommen, dass es sich auf diese Weise entwickeln würde.“
Henri Resnik, Präsident der Moskauer Anwalts-Kammer und einer der wenigen Prominenten, die den Weg zum Moskauer Ostankino-Friedhof gewagt hatten, sprach nach der Trauer-Zeremonie mit Achtung von seinem Kolegen. „Er wusste um die Bedrohungen, die für ihn existierten. Aber er hat die Angst aus seiner Seele verjagt.“

Stanislaw Markelow hinterlässt zwei Kinder. „Sie wissen noch nicht, dass ihr Vater tot ist“, meint die Russin Tatjana. „Sie sind noch zu klein, um das zu verstehen.“

„Wir wissen viele Dinge, über die wir vorläufig noch nicht reden,“

Im Westen Moskaus, im Trauersaal des Zentralen Krankenhauses, lief parallel die Abschieds-Zeremonie für die ermordete Journalistin Anastasija Baburowa. Studenten von der Moskauer Journalismus-Fakultät kamen mit weißen Rosen und Nelken, um von ihrer Kommilitonin, die nach russischer Sitte im offenen Sarg aufgebahrt war, Abschied zu nehmen. Die Eltern waren aus Sewastopol angereist. Die Mutter erzählte, sie seien dagegen gewesen, dass „Nastja“ den Beruf der Journalistin ergreift. Unter Tränen bat sie um Vergebung, dass sie ihre Tochter nicht schützen konnte.

Baburowa schrieb über Skinhead-Gruppen und arbeitete zusammen mit Kollegen der „Novaja Gaseta“ an Recherchen, die bisher noch nicht veröffentlicht wurden. „Wir wissen ziemlich viele Dinge, über die wir vorläufig noch nicht reden,“ erklärte am Donnerstag der Milliardär Aleksandr Lebedew, dem zusammen mit Michail Gorbatschow 49 Prozent des Kreml-kritischen Blattes gehören. Der Milliardär vermutet, dass der Mord an Anastasija mit der Tätigkeit der „Nowaja Gaseta“ zusammenhängt.

"Eurasisches Magazin"

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