Moskau: Gastarbeiterbleiben trotz Krise
Rechtlos. Zentralasiaten und Kaukasier dienen als willige Arbeitskräfte in Russland. Zu Hause ist die Lage noch viel schlimmer.
ULRICH HEYDEN Moskau (SN, n-ost). Die Gastarbeiter in Moskau wollen nicht aufgeben. Nationalisten würden sie lieber heute als morgen in die Züge nach Hause setzen. Doch dort, in Zentralasien und im Kaukasus, ist die Lage noch schlimmer. So bleiben die Arbeiter – für ein Taschengeld und ohne Rechte, dafür mit täglichen Anfeindungen bis hin zu Schlägereien. Kremlnahe Jugendorganisationen wie „Die Lokalen“ oder „Junge Garde“ demonstrierten bereits mit Parolen wie „Koffer, Bahnhof, nach Hause“. Doch selbst sie dürften wissen, dass sich für die 400-Euro-Knochenjobs auf dem Bau und in der Reinigungsbranche kaum ein Russe findet.
Alle paar Tage kommen auf dem Kasaner Bahnhof in Moskau Züge aus Taschkent, Bischkek und Duschanbe an. Und obwohl in der Hauptstadt mehrere große Bauprojekte eingefroren wurden, sind die Züge voll. Viele Arbeiter haben bereits versucht, sich zu Hause einen Job zu suchen. Wer gescheitert ist, kommt zurück. Zehn Millionen Migranten arbeiten in Russland. Sie kommen vor allem aus den zentralasiatischen Republiken Usbekistan, Kirgisien und Tadschikistan, aber auch aus Aserbaidschan, Armenien und Moldawien. Trotz Finanzkrise geht ihre Zahl bisher kaum zurück. Nur zwei Millionen sind offiziell registriert. Bei Bau- und Reinigungsfirmen sind diese billigen Arbeitskräfte äußerst begehrt. Als besonders zuverlässig gelten die Männer aus Zentralasien. Sie sind Moslems, trinken wenig und übernehmen selbst schwere und schmutzige Arbeiten, die ein Moskauer nie machen würde.
Scharif, ein junger Bauarbeiter, erzählt, dass er seit der Krise statt 600 nur noch 300 Dollar nach Hause schickt. Seine Familie rutscht damit unter das Existenzminimum. Eine Freundin hat er in Moskau nicht, sagt Scharif. „Die Risiken für uns Usbeken reichen schon, wozu sich also mit einer Russin einlassen, die einem den letzten Rubel aus der Tasche zieht?“ Er erzählt, was einem so passieren kann. „Man arbeitet drei Monate und bekommt nur ein Taschengeld. Dann kommt die Kündigung. Einen Lohn gibt es nicht. Für die Heimfahrt muss man bei den Kollegen sammeln gehen.“ Die Konsulate der Heimatländer fühlen sich nicht zuständig. Sie protestieren nur, wenn sich die Überfälle der Skinheads wieder einmal häufen. Der Kirgise Tokdogul arbeitet nicht weit vom Kreml als Träger und Packer in einem Café. Eigentlich ist der Mann mit den dicken Brillengläsern Ökonom. Doch in seiner Heimat verdient er im Staatsdienst nur 86 Euro. Davon müsste er auch Kind und Eltern ernähren. Weil das Geld auf keinen Fall zum Leben reicht, ist er mit seiner Frau – sie arbeitet als Babysitterin – nach Moskau gekommen. Sie leben mit neun anderen Kirgisen in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Es gibt keine Möbel, abends werden zum Schlafen dünne Matten ausgerollt. Seine Frau holt er täglich von der Metro ab. Immer wieder gibt es auf der Straße Überfälle von Skinheads auf Menschen, die nicht slawisch aussehen. Tokdogul, der mit seinen Schlitzaugen leicht als Kirgise zu erkennen ist, scherzt: „Dagegen hilft nur eine Gesichtsoperation.“ Wenn es zu einer Schlägerei kommt, habe er ja Hände und Füße, sagt er. Ein Pfefferspray wäre zu gefährlich. Das könnten ihm Polizisten bei einer Durchsuchung als Waffe auslegen.
Seit die Finanzkrise Russland heimgesucht hat, stehen die Gastarbeiter besonders am Pranger. Sie seien nicht nur prädestiniert für Kriminalität und Vergewaltigungen, heißt es. Seit Wochen lassen sich selbst ernannte Experten darüber aus, dass arbeitslose Usbeken, Tadschiken und Aserbaidschaner nun unweigerlich für Unruhen sorgten – wovon bislang nichts zu merken ist.
"Salzburger Nachrichten"