18. August 2019

Moskau: Multi-Media-Schau für unangepasste Künstler der Sowjetunion

Bilder der nicht-Konformen in einer Art Solaris-Raumschiff. Bild: Ulrich Heyden
Foto: Bilder der nicht-Konformen in einer Art Solaris-Raumschiff. Bild: Ulrich Heyden

Dem russischen Film-Regisseur Andrej Tarkowski und zwölf "nichtkonformistischen" Malern der sowjetischen "Tauwetter"-Periode ist eine große Ausstellung in der Neuen Moskauer Tretjakow-Galerie gewidmet.

Die Künstler, die wegen ihrer abstrakten Bilder in der Sowjetunion nur in Privatwohnungen ausstellen konnten, waren in den 1990er Jahren in Deutschland sehr angesagt, denn sie waren die Zeugen für die Unfreiheit in der Sowjetunion. Doch in Moskau will man die Künstler dieser Zeit nicht vergessen. Ende Juni eröffnete in der "Neuen Moskauer Tretjakow Galerie" eine große Ausstellung mit Werken bekannter sogenannter "nicht-konformer" Maler aus den 1960er und 1970er Jahren, die nur in Privatwohnungen ausstellen konnten. In der Ausstellung werden auch Ausschnitte aus Filmen eines der bekanntesten sowjetischen Regisseure gezeigt, dessen Filme zwar in Kinos zu sehen waren, der aber große Probleme mit der Zensur hatte. Die Rede ist von Andrej Tarkowski. Er wurde weltberühmt durch seine Filme "Solaris" und "Andrej Rubljow".

Tarkowskis erster großer Film "Die Kindheit von Iwan", handelte von einem Zwölfjährigen, der unter der deutschen Okkupation lebt und den Tod von Mutter und Schwester als Spion für die Sowjetunion rächen will. Jean-Paul Sartre wohnte der Premiere des Films in Moskau bei und lobte das Werk in der Unita, der Zeitung der KPI. Tarkowski sah sein erstes Werk später kritisch. Alles sei "über die Maßen akzentuiert", "wie bei einem Pianisten, der unaufhörlich auf das rechte Pedal drückt".

Schweigen zu der Aktion gegen die Banque de France

Die nicht-konformen Maler der Sowjetunion sind in Deutschland schon lange wieder aus der Mode. Zur Fütterung des anti-Putin-Trends in der Politik brauchte man in Deutschland härtere künstlerische Aussagen. Ein großes Echo in deutschen Medien fand der Aktionskünstler Pjotr Pawlenski, der 2013 seinen Hodensack an das Pflaster des Roten Platzes nagelte und 2015 eine Tür der Moskauer Geheimdienstzentrale in Brand steckte.

Bild 1 von 14

Ausstellung "Freier Flug" in Moskau

Ausstellung "Freier Flug" in Moskau

Tarkovskiy. Bild: Andrey Buzin / abuzin.com

Wer russische Kunst nur unter dem Blickwinkel betrachtet, ob sie Putin schadet oder nützt, interessiert sich nicht wirklich für Kunst aus Russland. Dass es in den deutschen Medien kein nennenswertes Echo gab, als Pawlenski nach einer Aktion in Paris verhaftet wurde, zeigt, wie borniert der Blick auf Russland geworden ist. Im Januar wurde Pawlenski von einem Gericht in Paris zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, weil er im Oktober 2017 bei einer Performance eine Zweigstelle der Banque de France angesteckt hatte.

Ein noch größeres Echo in den deutschen Medien fanden die Frauen der Punk-Band "Pussy Riot", die 2012 auf dem Altar der größten Moskauer Kirche ein Punk-Gebet unter dem Motto "Mutter Gottes, vertreibe Putin!" aufführten. Drei der Frauen, die an der Aktion teilnahmen, kamen ins Gefängnis wurden dann aber nacheinander bis 2013 freigelassen.

Nicht wenige deutsche Intellektuelle waren der Meinung, die Verhaftung von Pussy Riot sei ein verzweifelter Versuch des Kreml, eine heraufziehende Revolution im Keim zu ersticken. Tatsache ist, dass Proteste gegen den Kreml in den letzten Jahren meist vereinzelt aufkamen und vor allem von der Mittelschicht in Moskau und St. Petersburg getragen wurden. Von einer revolutionären Stimmung ist die russische Gesellschaft bis heute weit entfernt. Die Menschen in Russland sind - bei aller Unzufriedenheit die es zu einzelnen Themen gibt - nicht bereit für eine Revolution, denn sie sehen keine Alternative zum derzeitigen neoliberal-patriarchalischen Gesellschaftsmodell.

Sehnsucht noch Übersinnlichem

Doch zurück zur Moskauer Ausstellung über die nicht-konformen Maler der Sowjetzeit. Man betritt zwei große abgedunkelte Ausstellungs-Säle. Auf großen Leinwänden, die quer in den Sälen von der Decke hängen, sieht man Ausschnitte aus den berühmten Tarkowski-Filmen. Im Hintergrund hört man Musik von Johann Sebastian Bach und dem berühmtesten sowjetischen Komponisten für Filmmusik, Eduard Artemjew. Er schuf die sphärisch-symphonische Musik für die Tarkowski-Filme "Solaris" und "Der Spiegel". Artemjew begann bereits Anfang der 1960er Jahre in einer geschlossenen sowjetischen Militärstadt auf den ersten Eigenbau-Synthesizern zu komponieren.

Die Ausstellung in der Neuen Tretjakow Galerie, welche direkt gegenüber dem Gorki-Park in Moskau liegt, vereint Musik, Film und Malerei. In einer extra für die Ausstellung gebauten länglichen Röhre, die einem Raumschiff ähnelt, sind die Originalwerke von zwölf "nicht-konformistischen Malern" ausgestellt, die in den 1960er abstrakte und fast-abstrakte Bilder schufen. Die neue Stilrichtung war möglich geworden, weil es unter Chrutschow eine kurze Tauwetter-Periode gab.

Sehnsucht nach westeuropäischer Kultur

Malerei in einem Raumschiff, das ist eine Anspielung auf den Tarkowski-Film "Solaris". In diesem Film startet ein Raumschiff von der Erde, auf der Suche nach einem neuen Planeten. An Bord des Raumschiffes befinden sich wichtige Werke der europäischen Kultur, Gemälde von Pieter Breughel, Totenmasken von Puschkin und Beethoven und das Buch Don Quixote von Miguel de Servantes. An Bord des Raumschiffes erklingt Musik von Bach.

Was da im Film-Raumschiff an kulturellen Symbolen zum Planeten "Solaris" flog, drückte aus, wonach sich viele sowjetische Intellektuelle sehnten: Statt erstarrten sowjetischen Propaganda-Losungen, Kontakt mit der westeuropäischen Kultur. Statt dem verordneten "sozialistischem Realismus", der Versuch eigene Gefühle und Ängste auszudrücken.

Die kommunistische Idee, für die sich bis in die 1940er Jahre noch Massen begeisterten, war in den 1970er Jahre zu einem Ritual erstarrt. Hinter diesem Ritual lebten die Menschen nach eigenen Regeln. Sie spielten mit im System und ignorierten es zugleich.

Die Kuratorin der Moskauer Ausstellung, Polina Lobatschewskaja, berichtet bei einem Treffen mit dem Autor dieser Zeilen, die "nicht-konformen" Künstler hätten oft in der gleichen Stadt gelebt, sich aber nicht gekannt und doch hätten sie ähnliche Themen behandelt. "In der Zeit, in welcher Andrej Tarkowski seinen Film über den Ikonenmaler Andrej Rubljow schuf, malte der Künstler Dmitri Plawinski seine Gemälde im Kloster. Er kopierte Ikonen, die wir hier ausgestellt haben. Die Künstler brachen durch in die Vergangenheit, 500 Jahre zurück."

Ein Teil der Ausstellung ist den Themen "Katastrophe" und "Angst" gewidmet. Man sieht Schwarz-Weiß-Aufnahmen von den Dreharbeiten zum 1979 gedrehten Tarkowski-Film "Stalker". Der Film handelt von merkwürdigen Dingen, die nach einer Katastrophe in einer abgesperrten Zone passieren.

Neben diesen Fotos von den Dreharbeiten sieht man große Schwarz-Weiß-Fotos, welche die Journalistin Victoria Ivleva 1990 im zerstörten Reaktorgebäude von Tschernobyl machte. Ivleva ist bis heute die einzige Fotojournalistin, welche den zerstörten Reaktor fotografierte.

Um das Thema Angst geht es auch bei den Bildern des Künstlers Pjotr Belenok, auf dessen Gemälden einsame und flüchtende Menschen auf großen, weißen Flächen zu sehen sind.

"Das sowjetische Volk braucht das Alles nicht!"

Die Kuratorin, Polina Lobatschewskaja, die in der Sowjetzeit an der berühmten Filmhochschule WGIK unterrichtete, erzählt, dass sie mit vielen Künstlern, dessen Bilder in der Moskauer Ausstellung zu sehen sind, persönlich bekannt war. "Ich besuchte damals ihre Ausstellungen in Wohnungen - sogenannte "Wohnungsausstellungen". Das waren die einzigen Ausstellungen die möglich waren. Es gab ein paar öffentliche Ausstellungen nichtkonformistischer Kunst in der kurzen Tauwetter-Periode. Diese Ausstellungen wurden nicht verboten, aber sie wurden in der Öffentlichkeit verschwiegen. Die Macht tat so, als ob es diese Ausstellungen nicht gibt. Ab einem bestimmten Moment entschied man dann, dass diese Ausstellungen gefährlich sind und da kam dann das mit der Bulldozer-Ausstellung."

Polina Lobatschewskaja. Bild: Ulrich Heyden

Als am 15. September 1974 am südlichen Stadtrand von Moskau im Bezirk Beljajewa unter freiem Himmel eine nichtgenehmigte Ausstellung stattfand, rückten "aufgebrachte Arbeiter", nach einer anderen Überlieferung "als Zivilisten verkleidete Polizisten" an und räumten die Ausstellung ab. Ein bei der Räumung eingesetzter Bulldozer soll dabei einige Kunstwerke plattgewalzt haben.

Bereits am 1. Dezember 1962 hatte KPdSU-Generalsekretär, Nikita Chrutschow, den Künstlern ihre Grenzen aufgezeigt. Bei einem Rundgang durch die Moskauer "Manege"-Ausstellungshalle beschimpfte er Künstler, die es gewagt hatten, abstrakte oder fast abstrakte Werke auszustellen. "Mein Enkel kann das besser zeichnen", schimpfte der Generalsekretär. Und: "Das sowjetische Volk braucht das Alles nicht." Nach einer Überlieferung soll Chrutschow sogar vor Wut auf den Boden gespuckt haben.

"In den letzten 45 Jahren hat sich alles verändert"

Vor der "Neuen Tretjakow Galerie" erinnert ein großer, schwarzer Bulldozer an die von einer Baumaschine zerstörte Ausstellung im Jahre 1974. Auf dem schwarzen Bulldozer flattern die Fahnen Englands, Japans, Deutschlands und anderer westlicher Länder fröhlich im Wind. Es sind die Länder, in denen die "nicht-konformen" Künstler der Sowjetunion in den 1970er Jahren ausstellen konnten.

Als ich die Ausstellung besuchte, hatten Kinder den schwarzen Bulldozer mit bunten Farben bemalt. Dass Kinder diesen Bulldozer bemalt haben, ist für die Kuratorin Lobatschewskaja "eine sensationelle Metapher". "Was zeigt das? Das zeigt, dass sich in 45 Jahren in Russland alles sehr stark verändert hat. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebten die Menschen bei uns in einem unfreien Land, unter dem totalem Regime des "sozialistischen Realismus". Dem stellten sie ihre Gedanken und ihre Philosophie entgegen. Mit dem Ende der Stagnationsära entstand aus dem "Untergrund" eine neue, progressive Kunst. Es kam so, wie es in einer bekannten Erzählung heißt, die Letzten werden die Ersten sein."

"Die Jugend ist auf Junk-Food eingestellt"

Als ich die Ausstellung in der Neuen Tretjakow Galerie verlasse, komme ich mit Slawa, einem jungen Mann ins Gespräch. Slawa ist Künstler und arbeitet "im Bereich Marketing". Er sei begeistert von der Ausstellung und verehre Tarkowski, vor allem dessen Film "Spiegel", sagt der junge Mann. Filme des berühmten Regisseurs seien für ihn "wie eine Katharsis". Slawa hofft, dass die Ausstellung Tarkowski den Jugendlichen näherbringt. Leider stehe die Jugend in Russland heute - was Kultur betrifft - auf "Junk-Food", leichte Kost also.

Auch eine junge Frau, die sich als Philologin vorstellt, erklärt, sie sei von der Ausstellung begeistert. "Ich bin mit Tarkowski aufgewachsen. Er ist ein Teil von mir. Wenn man in diese Ausstellung geht, dann guckt man in sich selbst hinein."

Russland ist heute eine Konsum- und Mediengesellschaft. Die Nachfrage nach abstrakter Kunst ist begrenzt. Die Macher der Ausstellung "Freier Flug" haben die Schau aber so ungewöhnlich und spannend konzipiert, dass sie wohl auch für Jugendliche interessant ist.

Die Ausstellung "Freier Flug" in der Neuen Tretjakow-Galerie (Moskau, Krymski Val 10) läuft noch bis zum 22. September 2019

veröffentlicht in: Telepolis

(Ulrich Heyden)

Teilen in sozialen Netzwerken
Im Brennpunkt
Bücher
Foto