Musik statt Krieg (Manova)

Der Liedermacher Tino Eisbrenner leistet einen Beitrag zum Frieden, indem er sich auf Russland und seine Menschen wirklich einlässt.
Tino Eisbrenner ist in der Friedensbewegung ein bekannter Sänger. Seit seinem deutsch-russischen Lied „Kraniche“ ist er auch in Russland bekannt. Am 9. Mai 2025 besuchte Eisbrenner mit einer Gruppe von 40 Ostdeutschen die russische Hauptstadt, um an verschiedenen Veranstaltungen teilzunehmen. Ulrich Heyden interviewte den Sänger in Moskau über seine Reisen und Auftritte in Russland und seine Erfahrungen auf dem Gebiet der deutsch-russischen Verständigung.
von Ulrich Heyden
Ulrich Heyden: Sie sind ein sehr bekannter Sänger und haben in Moskau Ihr neues Buch „Kraniche“ vorgestellt, und Sie sind in diesen Tagen auch auf Konzerten aufgetreten. Wie waren die Reaktionen?
Tino Eisbrenner: Ich relativiere mal die Sache mit der Bekanntheit. Ich war zu DDR-Zeiten sehr bekannt, als Pop- und Rocksänger. Jetzt bin ich — glaube ich — besonders in der Szene der Friedensbewegten sehr bekannt. Nicht dass sich Leute wundern und sagen, ich kenn den gar nicht (lacht).
Sind Sie noch mal — wie 2023 — im Kreml-Konzertsaal aufgetreten?
Ja, ich saß 2024 in der Jury des Festivals.
Jetzt gerade haben wir mehrere Sachen gemacht. Zum Ersten gab es eine deutsch-russische Konferenz zum Thema „70 Jahre Warschauer-Vertragsstaaten“. Es ging um die Gründe des Warschauer Vertrages, worüber viele gar nichts mehr wissen und wo es selbst in Russland spannend ist, sich an die Zeit und das, was damals erreicht wurde und warum es getan wurde, zu erinnern. Na ja, es war einfach Geschichtsaufarbeitung. Und es ging auch um die Frage, was kann man heute damit noch anfangen? Die Konferenz war am 6. Mai. Am Ende der Konferenz fand dann mein Konzert statt.
Seit zehn Jahren schon singe ich Lieder auf Russisch und Deutsch, Lieder aus Russland. Ich übersetze Lieder aus dem sowjetischen oder postsowjetischen Raum ins Deutsche und singe sie in Deutschland wie auch in Russland zweisprachig.
Natürlich hat mich mein Auftritt (1) 2023 im Kreml-Palast mit dem Liede „Shuravli“ — also „Kraniche“ — in der deutsch-russischen Fassung etwas popularisiert. Man hat gesehen, was ich eigentlich schon zehn Jahre lang mache. Das wurde durch diesen Aha-Effekt plötzlich deutlich, sodass das Lied „Shuravli“ für mich hier zu so einer Art Hit geworden ist. Manchmal werde ich sogar schon auf der Straße angesprochen, ob ich der Sänger bin, der „Shuravli“ gesungen hat. Oder wenn ich jetzt irgendwo auftrete, dann fragen die Leute, ob ich auch „Shuravli“ singe. Die Leute freuen sich immer, wenn ich da bin. Und ich freu mich auch immer, wenn ich da bin und meinen Beitrag leisten kann.
Wurde das neue Konzert im russischen Fernsehen gezeigt oder von irgendwelchen Kanälen wiedergegeben?
Es gab noch andere Auftritte, und davon ist etwas gezeigt worden. Am 9. Mai war ich zusammen mit der „Doroga na Jaltu“ (Der Weg nach Jalta)-Familie. „Doroga na Jaltu“ ist das Festival, welches einmal im Jahr stattfindet und wo ich 2023 „Shuravli“ gesungen habe und 2024 noch als ausländisches Jury-Mitglied dabei war. Über dieses Festival entstand über die Jahre so eine „Doroga na Jaltu“-Familie, wo Künstler, die über die Jahre dabei waren, immer mal wieder dazukommen.
Wer von der „Familie“ gerade am 9. Mai in Moskau ist, wird zum „Doroga na Jaltu“-Konzert gebeten. Ich war dabei, mit Franzosen, Chinesen und einem Amerikaner, Art Garfunkel Junior, dem Sohn von Art Garfunkel. Er spricht auch Deutsch. Er hat jüdische Vorfahren. Seine Großeltern haben immer Deutsch gesprochen, sodass die Kommunikation zwischen uns völlig ungehemmt ist. Dieses Konzert wurde auch im Fernsehen gezeigt.
Dann habe ich hier noch eine Pressekonferenz für mein Buch gemacht. Eigentlich sind es zwei Bücher zusammengefasst, „Das Lied vom Frieden“ und „Kraniche“, in denen ich über meine Reisen in den postsowjetischen Raum, aber auch nach Polen oder Tschechien, seit 2015 erzähle. Ursprünglich habe ich das angefangen mit dem Anspruch, den Deutschen die russische Seele ein bisschen näherzubringen und ihnen auch zu erzählen, von Russland, von dem man ihnen eigentlich nichts mehr erzählt.
Wir hatten ja früher Journalisten wie Klaus Bednarz oder Gerd Runge, die man im ZDF sehen konnte und die über Russland erzählt haben. Das gibt es ja alles nicht mehr. Also habe ich gedacht, ich erzähle mal meine Erlebnisse. Da sind zwei Bücher entstanden, die dann zusammengefasst und ins Russische übersetzt wurden.
Denn inzwischen kommt es ja darauf an, den Russen zu erzählen, wie die Deutschen so denken. Und dass es auch Menschen gibt, die anders denken als unser künftiger Außenminister oder auch unsere vergangene Außenministerin, die Statements abgaben, welche die Russen erschütterten.
Baerbock hat gesagt: „Wir sind mit Russland im Krieg“, während der neue Außenminister Wadephul noch vor Amtsantritt erklärt hat, dass „Russland immer unser Feind sein wird“. Da braucht es natürlich andere Stimmen. Und wenn die aus der Kunst kommen, ist das besonders schön, weil die Russen sehr kunstaffin sind und auch die deutsche Kultur sehr lieben.
Sie fahren jedes Jahr ein- oder zweimal nach Moskau. Was war in diesem Jahr das Wichtige, das Neue?
Da ist natürlich das runde Jubiläum, der „Tag der Befreiung“, wie wir den Tag in der DDR nannten, beziehungsweise der „Tag des Sieges“ (Djen pobеdy), wie das hier in Moskau, in der Sowjetunion oder jetzt eben in Russland hieß und heißt.
Es ist erst 80 Jahre her, also nur ein Menschenalter, dass dieser brutale, furchtbare Krieg mit der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 endete. Und nun sind wir schon wieder an so einem Punkt, wo in Deutschland versucht wird, die Geschichte nur halb zu erzählen.
Dabei werden auch kleine Tricks angewandt, etwa wenn Steinmeier sagt, ja, wir danken „der ukrainischen Front“ für die Befreiung des Konzentrationslagers.
Das suggeriert dem Unwissenden, dass es die Ukrainer waren, die das KZ befreit haben. So was finde ich niederträchtig, weil die „Ukrainische Front“ damals jene Divisionen und Regimenter der sowjetischen Armee waren, die sich in Richtung Ukraine vorkämpften. Und in diesen Einheiten waren ja nicht nur Ukrainer, sondern wie in der gesamten sowjetischen Armee, Kasachen und Russen, Georgier und andere Nationalitäten, also alles, was die Sowjetunion ausmachte.
Oder wenn man sagt, man lädt den russischen Botschafter nicht zu den Gedenkveranstaltungen ein. Und es gab ja sogar deutsche Amtsanmaßende, die gesagt haben, wenn Sergej Netschajew trotzdem kommt, dann kann es sein, dass wir ihn mit der Polizei abführen.
Und der tapfere Mann ist trotzdem hingegangen. Aber er wurde bei den Gedenkfeierlichkeiten in Torgau an der Elbe in eine hintere Reihe gestellt. Und dann wurde er von Michael Kretschmer, dem sächsischen Ministerpräsidenten auch noch beschulmeistert. Kretschmer sagte, „an dieser Stelle haben die Amerikaner und die Russen geschworen, dass es niemals wieder Krieg geben soll. Nie wieder Krieg, Herr Netschajew, das wollte ich dann auch noch mal an Ihre Adresse sagen“. Das war peinlich bis zum Gehtnichtmehr.
Hätte Kretschmer sich jemals so gegenüber einem amerikanischen Botschafter benommen und ihm gesagt, was ist denn nun mit „Nie wieder Krieg“? Die Amerikaner haben in den letzten 80 Jahren 30 Kriege geführt. Aber der Russe wird gemaßregelt?
In so einer Zeit wie heute ist es wichtig, dass man auch Russland die Hand reicht. Und deswegen bin ich hier, um zu sagen, wir vergessen nicht, was die Sowjetarmee damals geleistet hat, dass sie die größten Opfer gebracht hat.
Und wir vergessen auch nicht, was die Sowjetunion, geführt von Moskau, anschließend geleistet hat, um wenigstens dem Teil Deutschlands, aus dem ich komme, wieder auf die Füße zu helfen.
Diese Leistungen alle in Klump zu treten, weil die Ukraine und Russland in diesem Konflikt stecken, den man selber noch die ganze Zeit befeuert, das finde ich einfach unwürdig. Deswegen bin ich hier, um das andere Zeichen zu setzen.
Nicht um zu sagen, man findet das ganz toll, dass Russland in einem Krieg mit der Ukraine steht. Nein, das findet man nicht ganz toll. Die Russen finden es auch nicht ganz toll. Aber was haben wir Deutsche für ein Recht, uns gerade an so einem Feiertag moralisch aufzuspielen und uns Russland zur Brust zu nehmen? Demut würde uns besser zu Gesicht stehen.
Seit elf Jahren sind Sie schon aktiv zu den Themen Frieden, Friedenssicherung und Verständigung zwischen Russland und Deutschland. Was hat es in diesen elf Jahren an Erfolgen und Niederlagen gegeben?
Eigentlich bin ich seit 2002 aktiv geworden, als es darum ging, ob Deutschland in den Irakkrieg einsteigt oder nicht. Eine halbe Million Menschen standen damals zwischen der Siegessäule und dem Brandenburger Tor und haben gesagt, „wir wollen nicht“. Da hab ich auch gesungen. Und der Erfolg war, dass unser Bundeskanzler Schröder damals den Amerikanern 'nen Korb gegeben hat und gesagt hat, wir machen mal nicht mit.
Das war ein Erfolg, und an diesen Erfolg möchte ich an dieser Stelle auch dringend erinnern. Das war nämlich ein Erfolg der Massen. Man wusste, die Deutschen wollen nicht in diesen Krieg gezogen werden, also nicht kriegstüchtig gemacht werden. Und daran müssen wir uns erinnern, weil viele Menschen jetzt — und das ist eine Art Misserfolg — glauben, wir können sowieso nichts ändern. Man hat es geschafft, über die Jahre das deutsche Volk und besonders die Friedensbewegung zu spalten und allen verschiedene Etiketten aufzudrücken, Putin-Versteher, Russland-Versteher, Querdenker, Aluhut-Träger, Faschisten, Linke, Rechte, Lumpenpazifisten, gefallene Engel. Dadurch haben sich unter den Menschen Berührungsängste entwickelt, auch innerhalb der Friedensbewegung.
Die Linke hat sich gespalten in das BSW und Die Linke. An Stellen, wo eigentlich dringend Einigkeit gebraucht wird, gehen sie nicht aufeinander zu. Das ist ein Misserfolg.
Aber gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass ganz viele Leute auch verstehen. Jetzt, wo man in der deutschen Regierung wieder Vokabeln von Goebbels benutzt, um das Volk „kriegstüchtig“ zu machen, gibt es viele, die sich noch nicht äußern und nicht wissen, wie man sich äußert, oder denen nichts daran liegt, auf Demonstrationen zu gehen, die aber trotzdem hinter den Kulissen das Richtige sagen, das Richtige denken und verstanden haben, dass wir auf 'nem schlechten Weg sind, die verstanden haben, dass man die Russen nicht stigmatisieren kann, dass der Ukraine-Russland-Konflikt als Alibi benutzt wird, um eine alte Revanche zu führen.
Wenn Sie nach Deutschland zurückkehren, sind Sie dann froh, betrübt oder hoffnungsvoll?
Ich bin jemand, der immer hoffnungsvoll ist. Sonst würde ich ja erstarren bei manchen Aussagen, die so getroffen werden. Und ich bin natürlich immer froh, nach Hause und zu meinen Leuten zu kommen, auch Leuten, die jetzt zum Teil mit hier waren, in der 40 Leute starken Delegation. Meine Konzerte zu machen, vor das Publikum zu kommen, meine Sprache zu sprechen und auch verstanden zu werden, das sind ja alles Dinge, die einen froh machen, in die Heimat zurückzukommen. Natürlich kenne ich aber auch die Aufgaben, die anstehen. Und denen will ich mich auch weiterhin stellen. Irgendwie mitzuhelfen, Licht ins Dunkel zu kriegen. Etwas anderes kann man ja nicht machen.
Wie reagieren deutsche Medien darauf, dass Sie russische Kriegslieder ins Deutsche übersetzen?
Die „Kriegslieder“ sind ja alles Friedenslieder. Sie heißen hier zwar „wojennye pesni“ (Lieder des Krieges), weil sie zum größten Teil im Krieg entstanden sind. Es sind wunderbare Lieder.
Bei den deutschen Medien gab es am Anfang so einen kleinen Aufschrei. Aber ich glaube, ich war nicht wichtig genug, und man hat sich eher darauf verlegt, über meine Arbeit in Russland lieber nichts zu erzählen, als dass man mich irgendwie größer macht, als ich eigentlich bin. Ich glaube, das ist die Strategie.
Es gibt überall, auch unter den Veranstaltern und in den Medien, Leute, die mich vorher schon kannten, aber mich seitdem ignorieren. Aber es gibt auch die anderen, und manchmal taucht immer mal wieder von den öffentlich-rechtlichen Medien ein Ableger auf, wo man die Gelegenheit bekommt, Dinge zu erklären.
Im Schloss Ettlingen bei Karlsruhe hatte man organisiert, dass wir unser Puschkin-Programm spielen. Wir starteten dieses Programm vor zwei Jahren, weil das Russland- und gleichzeitig das Puschkin-Bashing begonnen hatte, weil man Denkmäler von Puschkin abriss, mit der Begründung, man sei mit Putin nicht einverstanden. Da wird´s ja auch schon wieder ulkig, aber auch entlarvend. Ich beschloss, Puschkin selbst zu Wort kommen zu lassen, und habe dieses Musikprogramm zu Puschkin und seinen Erben entwickelt.
Die Zeitung, die in Ettlingen gelesen wird, stellte mir dann im Vorfeld des Konzerts Fragen, und sie versuchten einen ausgewogenen Bericht daraus zu machen. Das wurde aber flankiert von einem langen Schriftverkehr, den ich mit der Kollegin von der Zeitung hatte. Ich musste ihr viele Sachen erklären, wo ich merkte, sie kennt weder den Puschkin noch den Eisbrenner, sie weiß aber, wie die KI funktioniert, und sie gibt sich Mühe. Wenn ich merke, jemand gibt sich Mühe, dann bleibe ich dran und spreche bis ins Morgengrauen.
Da war auch der NDR, der sich in seinem Programm damals Mühe gegeben hat, wenigstens vorkommen zu lassen, dass ich in Moskau war und das „Shuravli“-Lied gesungen habe. Ich lebe ja in Mecklenburg-Vorpommern.
Es gab aber eine Riesendiskrepanz zwischen dem NDR-Rundfunkbeitrag, wo ich auch selbst zu Wort kam, und dem Fernsehbeitrag, der viel kürzer war, wo ich eigentlich nur erklären durfte, was das russische Festival ist. Dazu setzten sie dann Sätze wie: „Tino Eisbrenner glaubt, dass er nicht instrumentalisiert wird.“ Die Redakteurin des NDR sagte mir, an dem Drei-Minuten-Fernsehstück, das eine Woche lang bearbeitet wurde, habe ein Justiziar gesessen, damit der Eisbrenner auch ja nichts unterbringt, was dem Sender schaden könnte.
Mich würde sehr interessieren, wie Ihre Kontakte mit russischen Künstlern laufen. Sie haben ja das Kranich-Lied mit einem russischen Orchester vorgetragen, und da wurde ja wohl auch geprobt. Wie ist so eine Probe mit Russen? Gibt´s da irgendwelche Besonderheiten?
Na ja, ich habe ein ganzes Buch „Shuravli“ darüber geschrieben, wie das alles lief. Das Besondere war, dass das Orchester zu großen Teilen aus Frauen bestand. Wir haben ja immer so ein komisches Bild von den Russen und glauben, dass wir Deutschen mit der Emanzipation ganz vorne dran sind.
Hier habe ich erlebt, dass die Regisseurin 'ne Frau ist, die Assistenten alles Frauen sind und das Orchester zu mehr als der Hälfte aus Frauen besteht und was das für ein große Selbstverständlichkeit hat, dass es Frauen in allen diesen Funktionen gibt, ohne dass sie sich die ganze Zeit als Emanzen aufspielen müssen.
Ich erzähle immer dieses Beispiel: Keine russische Frau würde sich 800 Aktenordner aufladen, wenn daneben zwei Männer stehen, die ihr das abnehmen können. Man hat ja in Deutschland oft die Situation, dass wenn man helfen will, die Antwort bekommt, „Selbst ist die Frau“ oder sich manche sogar angegriffen oder diskriminiert fühlen, weil man ihnen nicht zutraut, dass sie dieses schwere Ding auch tragen können.
Mit russischen Musikern zu arbeiten, ist eine große Freude, weil sie alle auf einem ganz hohen Niveau musizieren und viele auch mehrere Instrumente spielen.
Das hat auch was mit der Kulturförderung zu tun, ob es sich Leute leisten können, auf ein Konservatorium zu gehen, um die Dinge wirklich von der Pike auf zu lernen und dann auch professionell einzusetzen, ob die Theater noch Orchester haben oder ob die alle abgewickelt sind, so wie in Deutschland.
Erreichen Sie mit Ihren lyrischen Liedern auch Jugendliche? Ich habe den Eindruck, Jugendliche stehen nicht so auf lyrische Lieder. Aber ich kann mich täuschen. Wie können wir die Jugendlichen in Deutschland für den Frieden motivieren? Welche kulturellen Mittel sind da geeignet? Wollen Sie nicht mal einen Supersong machen, der ein Ohrwurm wird?
In Russland sind viel mehr Jugendliche in Klassik-Konzerten. In Deutschland sieht man da grauhaariges Publikum. Um Hits zu haben, die auch die Jugend irgendwie erreichen, brauchst man Medien. Wenn man aber als Friedensaktivist in die Medien nicht reinkommt, ist das Thema schon mal beendet.
Es gibt Rapper, die haben auf YouTube ein Millionenpublikum …
Genau, man muss dann auf diese Ebene gehen. Nun habe ich aber die 60 überschritten und bin nicht auf der Jagd nach kommerziellem Erfolg. Ich mache einfach Musik, wie sie mir liegt, und gucke, dass das jemand mitbekommt ,und die Menschen ordnen sich mir dann zu.
Es gibt auch jüngere Leute, die mal den ein oder anderen Song, den ich gemacht habe, toll finden. Aber die Jugendlichen heute haben eine andere Sprache. Ich sehe das an meinen jüngeren Töchtern, was die so hören, wo übrigens auch sehr viele poetisch-lyrische Sachen dabei sind.
Wenn man zum Beispiel jemanden nimmt wie Berq: Das ist ein junger Mann und ein totaler Lyriker. In der heutigen Lyrik wird oft auf den Reim verzichtet. Oder mal kommt er vor, mal kommt er nicht vor.
Ich als Älterer würde immer sagen, man kann sich entscheiden. Man nutzt die Reimform oder man nutzt sie nicht. Wenn man sie nutzt, dann konsequent. Aber die jungen Leute machen das heute irgendwie anders.
Ich muss nicht meine Sprache irgendwie verändern, um bei der Jugend Kommerzialität zu erreichen. Das ist gar nicht in meinem Interesse. Ich denke mir, dass die Lieder immer irgendwie ihren Weg finden. Und wer dann diejenigen sind, die das aufsaugen, darüber mache ich mir schon gar nicht mehr so viel Gedanken beim Schreiben.
Wie konnte sich die Russophobie in die deutsche Gesellschaft einschleichen? Sie haben den Begriff „einschleichen“ auf Ihrer Pressekonferenz hier benutzt.
Ich glaube, dass sich viele Sachen gar nicht ausgeschlichen haben über die vielen Jahre, dass die schon da waren, wenn man es mal ganz praktisch nimmt und ansetzt am Jahr 1933. Bis 1941 waren eben viele Deutsche bereit, und andere wurden eben eingezogen über die Wehrpflicht und losgeschickt, um die Welt zu erobern.
Dann ging´s gegen die Russen, dann schlugen die Russen zurück. 1945 war dann eine Situation, wo man verloren hatte. Das heißt aber nicht, dass in dem Moment alle sagten, oh, da haben wir aber Mist gebaut, und wir haben auch noch verloren, jetzt müssen wir alle mal ganz anders denken, sondern in Ost und in West ist bei den Großvätern und Vätern ein bestimmtes Gedankengut geblieben.
Ich bin ja ein in der DDR Geborener. Mein Vater war ein glühender, aber nicht dogmatischer Kommunist, der für die neue Zeit, für die neue Gesellschaft gebrannt hat. Sein Vater war ein Nazi, der bis ans Ende seiner Tage auf die Juden geschimpft hat, der zwar gesagt hat, „den Russen habe ich nichts vorzuwerfen. Die haben mich gut behandelt“. Er war drei Jahre in russischer Gefangenschaft. „Aber der Jude …“ (Eisbrenner schüttelt sinnbildlich einen drohenden Zeigefinger).
Das ist so ein altes Gedankengut, was einfach dringeblieben ist, was die jeweilige Gesellschaft so oder so behandelt hat.
In der BRD ist man etwas freundlicher umgegangen mit denen, die in der Nazizeit Verantwortung getragen haben. In der DDR ist man mit denen etwas unfreundlicher umgegangen. Aber trotzdem konnte man sie ja nicht alle loswerden. Das war ja die Bevölkerung.
Da musste man mehr investieren, um sie auf andere Gedanken zu kriegen. Das ist bei manchen gelungen, und bei anderen ist das nicht gelungen. Auf keinen Fall aber wurden Nazis vom Staat toleriert, während sich im Westen sehr schnell die „alten Kameraden“ wieder öffentlich formierten.
Was war der entscheidende Hebel, womit man die Leute vom Nazi-Gedankengut weggebracht hat? Mit Filmen, mit Liedern?
Ja, Sie sagen es schon. Der entscheidende Hebel ist, glaube ich, die Kultur. Die Kultur ist immer die festeste Brücke.
Wenn ich im Westen unterwegs bin und ich mit Künstlern und Musikern arbeite, die im Westen sozialisiert sind, erstaunt mich immer, dass die nicht unbedingt wissen, was Turgenjew geschrieben hat und den Namen auch noch nie gehört haben, dass sie auch kurz überlegen müssen, was Tolstoi geschrieben hat, oder dass sie Puschkin nie gelesen haben oder dass sie nicht wissen, wer Gorki ist. Zu Dostojewski höre ich: Okay, ja, da hab ich mal eine Verfilmung gesehen.
In der DDR-Zeit waren viele dieser Dinge Schulstoff. An den Theatern wurde das alles gespielt. Wir haben diese ganzen Filme gesehen über den Großen Vaterländischen Krieg. Wir hatten den Ernst-Thälmann-Film, wo man versucht hat zu erklären, was eigentlich vor 1933 stattgefunden hat und wie das war mit der KPD und der NSDAP, mit der Sozialdemokratie und so weiter.
Da hat man viel in Bildung investiert, um zu erklären, wie es dazu kommen konnte. Was auch eine wichtige Rolle spielte, war, dass man es in der DDR zumindest im Ansatz geschafft hat, zu erklären und beizubringen, dass Geld nicht alles ist, dass Geld nicht alles beantwortet, sondern dass es da noch etwas anderes gibt. Während man im Westen darauf konditioniert worden ist, dass, wenn man gut verdient und sich alles leisten kann, auch die Welt in Ordnung ist. Bei uns war da noch eine kulturelle Ebene mehr.
Hat es Sie schockiert, als der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan 2022 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels bekommen hat? Zhadan ist ja Anhänger der Bandera-Ideologie. Bandera arbeitete mit Hitler zusammen. Für mich zeigte diese Preisverleihung, dass die „progressive Intelligenz“ in Deutschland einem Nazifreund — ohne mit der Wimper zu zucken — einen Preis verleiht. Das ist doch, wie wenn ein Kind mit Feuer spielt.
Das hat mich nicht mehr schockiert, weil mir eigentlich schon alles klar war. Ich habe 2017 mein erstes Buch, „Das Lied vom Frieden“, auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt. Und da gab es eine russischstämmige amerikanische Schriftstellerin, die anhand von vier Biografien ein Buch geschrieben hat über das dunkle, finstere Putin-Russland. Für das Buch bekam sie den „Preis der Völkerverständigung“. Mein Buch „Das Lied vom Frieden“ wurde dagegen völlig ignoriert.
Ich beginne Diskussionen über das Thema immer so: Können wir uns darauf einigen, dass es in der Ukraine starke faschistische Tendenzen gibt, oder gibt´s die nicht? Wenn mir jemand erklären will — wie unsere Regierung —, die gibt´s da nicht, ist die Diskussion eigentlich schon beendet.
Aber wenn man sagt, ja, die gibt´s in der Ukraine, muss man als Nächstes fragen, ja und wie stehst du dazu? Warum kriegen diese Leute dann Preise und stehen in der ersten Reihe, während der russische Botschafter in der letzten Reihe steht?
veröffentlicht in: Manova