Nationale Revolution: Neue Strategie russischer Neonazis
Moskau. Die Zahl der Opfer rechtsradikaler Gewalt in Russland ging in 2009 auf 71 Tote zurück. Auf zunehmende gerichtliche Verfolgung reagieren russische Rechtsradikale allerdings mit Terror gegen Polizisten und Ermittler.
Die Zahl der Opfer russischer Neonazis war 2009 mit 71 Toten und 333 Verletzten weiter rückläufig. 2008 hatte es noch 110 Tote und 487 Verletzte gegeben.
Dies geht aus dem neuesten Untersuchungsbericht des Sova-Analysezentrums hervor, das seit sechs Jahren rechtsradikale Gewalt dokumentiert. Das Zentrum bekommt Geld von westlichen Stiftungen, aber inzwischen auch vom Kreml.
Opfer rechtsradikaler Gewalt in Russland sind meist Menschen mit nicht-slawischen Äußeren, vor allem Gastarbeiter aus ehemaligen Sowjetrepubliken im Kaukasus und Zentralasien, aber auch Studenten und Geschäftsleute aus China, Indien, Vietnam und Afrika.
Unter den Opfern sind allerdings auch junge Antifaschisten. Allein 2009 wurden fünf Mitglieder der russischen Antifa-Szene von Rechtsradikalen getötet.
Bomben und Brände – und neue Ziele
Die Zahl der Opfer sei zwar gesunken – so Galina Koschewnikowa, die Autorin des Berichts – aber die rechtsradikalen Organisationen reagierten auf ihre zunehmende strafrechtliche Verfolgung nun mit Angriffen auf Vertreter des Staates. So seien im letzten Jahr von Rechtsradikalen 20 Bombenanschläge und Brände gegen Wehrämter, Verkehrspolizisten, Polizeiwachen und die Privatwohnungen staatlicher Ermittler verübt worden.
Das Ziel der Rechtsradikalen habe sich geändert, so Galina Koschewnikowa vom Sova-Analysezentrum. Man habe begriffen, dass es unrealistisch sei, alle Ausländer aus Russland zu vertreiben. Hauptziel sei nun „die Destabilisierung der politischen Situation“ mit dem Ziel einer „nationalen Revolution“, so Koschewnikowa, die selbst schon von Rechtsradikalen Morddrohungen erhielt.
Prozesse gegen Skinheads
Der Rückgang der rechtsradikalen Überfälle hänge damit zusammen, dass die Staatsanwaltschaft in Moskau, „dem Zentrum rechtsradikaler Gewalt in Russland“, mehrere große Skinhead-Gruppen vor Gericht brachten. Die wichtigsten Gruppierungen in Moskau und dem Umland der russischen Hauptstadt seien damit zerschlagen.
Diese Gruppen machten abends und nachts Jagd auf Menschen mit nichtslawischem Äußeren. Die Zahl der wegen rechtsradikaler Gewalt Verurteilten stieg von 26 (2004) auf 127 (2009). Die Zahl derjenigen, die wegen „schüren von Hass“ gegen Nicht-Slawen verurteilt wurden, stieg von drei (2004) auf 48 Personen (2009).
Mord an Menschenrechtsanwalt
Eine der aktivsten und größten legalen Gruppen in der rechtsradikalen Szene Russlands ist heute die Organisation „Russische Art“. Im November letzten Jahres wurden zwei Personen, welche dieser Organisation nahe stehen, verhaftet. Es handelt sich um Nikita Tichonow und seine Freundin Jewgenija Chasis.
Tichonow soll im Januar 2009 den Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow in Moskau auf offener Straße erschossen haben. Seine Freundin Chasis soll den Anwalt zuvor beschattet haben. Zur Zeit sitzen die beiden Tatverdächtigen in Untersuchungshaft.
Die Expertin Galina Koschewnikowa hält es für möglich, dass der Mord an dem Menschenrechtsanwalt eine Racheaktion der Rechtsradikalen war, denn der Anwalt brachte mehrere Neonazis hinter Gitter.
„Halte das Blut sauber!“
Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus bleiben auch deshalb ein großes Problem, so Koschewnikowa, weil einzelne Politiker, Beamte des Innenministeriums und einzelne Kreml-nahe Jugendorganisationen mit ausländerfeindlichen Parolen Stimmung machten.
So wirbt die Kreml-nahe Jugendorganisation „Junge Garde“ mit Parolen wie „Unser Geld – für unsere Menschen“. Zum Teil kommt es auch zu einer Zusammenarbeit von staatlichen Einrichtungen mit Rechtsradikalen. So veranstaltete das Katastrophenschutzministerium in St. Petersburg einen Sportwettkampf „für eine gesunde Lebensform“,
an dem auch zahlreiche Rechtsradikale teilnehmen. Die hielten während der Veranstaltung Transparente mit Aufschriften wie „Halte das Blut sauber!“ hoch. Niemand schritt ein.
"Russland-Aktuell"