18. December 2020

Navalny, Corona-Virus und neue russische Waffen – Wladimir Putin nimmt auf Jahrespressekonferenz zu Fragen Stellung (Nachdenkseiten)

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Foto: kremlin.ru

Viereinhalb Stunden dauerte die diesjährige Jahrespressekonferenz (Protokoll) des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Im Mittelpunkt stand die Corona-Pandemie, Preiserhöhungen, soziale Missstände und das Verhältnis Russlands zu anderen Staaten. Wladimir Putin erklärte, Russland könne im internationalen Vergleich stolz sein auf seine Leistungen im Kampf gegen das Corona-Virus. Ein Rüstungswettlauf fürchte Russland nicht. Denn trotz eines viel geringeren Verteidigungsbudgets sei Russland dank kluger Köpfe den Amerikanern bei den Hyperschallwaffen voraus. Trotz coronabedingtem Produktionsrückgang stehe Russland heute viel besser da als in den 1990er Jahren, als die Menschen monatelang auf Renten und Löhne warten mussten. Aus Moskau von Ulrich Heyden.

Regierungsnaher Journalist fragte zum Fall Navalny

Der „SPIEGEL“ hatte offenbar gehofft, dass die zusammen mit Bellingcat und CNN vorgelegte „Untersuchung“ zum Fall Navalny auf der Jahreskonferenz von Putin wie eine Bombe einschlagen würde. Doch dem war nicht so. Keiner der Journalisten verteidigte die „Untersuchung“ des SPIEGEL.

Nach der Meinung von Putin zu der SPIEGEL-„Untersuchung“ fragte kein Kreml-Kritiker, sondern ein Journalist des regierungsnahen Internetportals Life.ru. Der Journalist stellte die völlig sachliche Frage, „warum wurde bisher kein Verfahren wegen seiner Vergiftung eingeleitet und wer ihn vergiftet hat“.

Putin: Legalisierung von geheimdienstlichen Behauptungen

Putin antwortete, das vom SPIEGEL und anderen vorgelegte Material sei keine Untersuchung, sondern „eine Legalisierung“ von US-Geheimdiensten ausgedachten Behauptungen. „Der Patient der Berliner Klinik erhält Unterstützung von den Geheimdiensten der USA“, sagte Putin. Den Namen von Navalny nennt der russische Präsident prinzipiell nicht.

Für SPIEGEL Online waren die Aussagen Putins auf der Jahrespressekonferenz zum Fall Navalny „bizarr“. Da Navalny mit seinen unendlichen Anti-Korruptions-Kampagnen exakt das in den USA entwickelte Programm für „bunte Revolutionen“ in Osteuropa abarbeitet, ist der Vorwurf von Putin zumindest nicht an den Haaren herbeigezogen. Mangelnde Sachkenntnis darüber, wie Geheimdienste arbeiten, kann man dem russischen Präsidenten, der selbst lange im KGB und später im FSB arbeitete, zudem kaum vorwerfen.

Putin: FSB-Mitarbeiter benutzen auch Telefone

Putin berichtete auf der Jahrespressekonferenz, die FSB-Mitarbeiter würden Telefone an Orten benutzen, „wo sie meinen, dass sie sich nicht verbergen müssen.“ Diese Aussage scheint eher realistisch als bizarr.

Weil die US-Geheimdienste Navalny unterstützten, müsse der russische Geheimdienst ein Auge auf den „Berliner Patienten“ werfen. „Aber“ – so Putin – „das heißt ganz und gar nicht, dass man ihn umbringen muss. Wen interessiert der schon? Wenn man es wollte (ihn umbringen, UH), hätte man die Sache wahrscheinlich zu Ende geführt. Aber seine Frau hat sich an mich gewandt und ich habe in einer Sekunde den Befehl gegeben, ihn zur Pflege nach Deutschland ausreisen zu lassen.“

Leider, so erklärte der russische Präsident, verstehe das „breite Publikum“ nicht, dass man mit der Lüge von der Vergiftung Navalnys auf hochgestellte Personen, wie den russischen Präsidenten, ziele. Im politischen Kampf würden solche „Tricks“ angewandt.

Putin mahnte, um Beachtung zu finden, müsse man „nicht mit Tricks arbeiten, sondern ein konkretes Programm vorlegen, welches so realistisch ist, dass es in einem konkreten Land, in diesem Fall unserem Land, angewandt werden kann.“ Der russische Präsident erklärte, er rufe „alle unsere Opponenten auf“, sich „nicht von Ambitionen leiten zu lassen“, sondern „ein positives Programm vorzulegen“, um die Fragen zu lösen, vor denen Russland steht.

Online-Pressekonferenz über mehrere Städte verteilt

Die Jahrespressekonferenz des russischen Präsidenten war wegen der Pandemie als Online-Veranstaltung und mit Sicherheitsabständen organisiert worden. Der russische Präsident trat in seiner Vorstadtresidenz Nowo-Ogarjowo vor einem kleinen Kreis von Journalisten auf. Online zugeschaltet war ein großer Saal mit zweihundert russischen und ausländischen Journalisten im Moskauer Internationalen Handelszentrum und mehrere kleinere Säle in verschiedenen Städten Russlands, in denen sich Journalisten regionaler Medien versammelt hatten.

Insgesamt wurden dem russischen Präsidenten 60 Fragen gestellt. Es fragten nicht nur Journalisten. Zusätzlich wurden aus einem Call-Center noch Fragen und Beschwerden von Bürgern vorgelesen.

Hauptthema der Veranstaltung war die Corona-Virus-Pandemie. In Moskau sind die Unternehmen verpflichtet, dass 30 Prozent der Mitarbeiter von Zuhause arbeiten. Schüler der höheren Klassen bekommen zuhause Online-Unterricht. Menschen über 65 Jahre sind angehalten, zuhause zu bleiben und nur für allernötigste Besorgungen aus dem Haus zu gehen.

„Ein Meer von Problemen“

Putin erklärte, wegen des Coronavirus gäbe es „ein Meer von Problemen“. Man könne aber „mit Sicherheit sagen, dass wir diese Probleme würdig und teilweise besser gelöst haben als andere Staaten der Welt, die zu recht stolz sind auf eine stabile Wirtschaft und ein entwickeltes Sozial- und Gesundheitssystem.“

Der Kreml-Chef erklärte, Russland habe nach den ersten Nachrichten über die Coronavirus-Infektionen in China schnell reagiert und somit Zeit gewonnen, um entsprechende Maßnahmen zu treffen. Man habe die Zahl der Krankenhausbetten auf insgesamt 277.000 verdreifacht, indem man 40 Corona-Zentren gebaut habe. Auch bei der Produktion von Masken und Medikamenten habe Russland schnell aufgeholt. Bei den Tests liege Russland nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation auf Platz drei. Mit der britisch-schwedischen Firma AstraZeneca haben man einen Vertrag unterschrieben.

Russland sei das erste Land, welches mit der Produktion von Impfstoffen gegen das Corona-Virus begonnen habe. Die Impfstoffe heißen Sputnik V und Vektor. Putin erklärte, er werde sich impfen lassen, sobald der Impfstoff für seine Altersgruppe da sei. Eine Massenimpfung sei – so der russische Präsident – das beste Mittel, um eine Immunität im nationalen Maßstab zu erreichen.

Russische Impfdosen sollen auch im Ausland produziert werden

Zum Beginn des nächsten Jahres werde man „Millionen Impfdosen“ haben. Man werde die Produktionskapazitäten zügig ausbauen. Bisher reiche die technische Ausrüstung in Russland nicht aus, um die nötige Zahl von Impfdosen zu produzieren. Deshalb sei geplant, Komponenten für die Impfdosen auch in ausländischen Staaten zu produzieren. Das Ziel sei es, 70 Millionen Menschen, also die Hälfte der Bevölkerung Russlands, gegen das Corona-Virus zu impfen.

Alewtina Kilseljowa, eine Freiwillige, die während der Jahrespressekonferenz im Moskauer Call-Center die Anrufe von Bürgern aus ganz Russland angenommen hatte, berichtete dem russischen Präsidenten über die raue Realität im Land. Die Freiwillige erklärte, es gäbe Probleme mit den Tests und Probleme, einen Arzt zu sich nach Hause zu rufen. In Apotheken und Krankenhäusern mangele es an Medikamenten. Auf einen Krankenwagen müsse man eine Woche warten. Im Gebiet Murmansk, Swerdlowsk und Nischni-Nowgorod gäbe es Probleme bei der Zahlung der versprochenen Zuschläge für Ärzte, die mit corona-infizierten Patienten arbeiten. Auch Reinigungs- und Küchenpersonal, das mit Corona-Patienten direkten Kontakt habe, bekomme die versprochenen Gehaltszuschläge oft nicht.

Putin erklärte, man habe 168 Millionen Euro in die Regionen überwiesen, für Schutzanzüge und kostenlose Medikamente für Personen, die ihre Corona-Infektion zuhause auskurieren. Warum das Geld offenbar nicht überall angekommen ist, müsse geklärt werden. Allen Klagen über Unzulänglichkeiten werde man nachgehen. Erst kürzlich hätten ihm die Senatoren aus den genannten Gebieten berichtet, „alles sei in Ordnung“. Man werde die Fälle jetzt genauer untersuchen, sagte der Präsident.

Nicht mit Kritik sparte auch Aleksandr Gamow, ein bekannter Redakteur der Zeitung Komsomolskaja Prawda. Der Redakteur berichtete, er bekomme Anrufe aus den Regionen. Die Menschen berichteten ihm, dass das Leben noch nie so schwer war, die Armut steige, Arme noch ärmer würden, die Arbeitslosigkeit zunehme und die Einkommen und die Lebenserwartung sinken. Seit August stiegen zudem auch noch die Preise.

Wladimir Putin erwiderte, es stimme nicht, dass das Leben in Russland noch nie so schwer war wie jetzt. Im Jahr 2000 hätten 29 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze gelebt. Heute seien es 13,5 Prozent.

Der Grund der Preissteigerungen sei, dass die russischen Exporteure ihre Preise für Getreide, Zucker und andere Grundnahrungsmittel nach dem Weltmarktpreis festlegen. Da müsse die russische Regierung gegensteuern, indem sie die Zölle erhöhe. Er hoffe – so Putin – dass es bei den Preisen in einigen Wochen eine „Erleichterung“ gebe.

Russlands Finanzpolster wächst

Die wirtschaftliche und finanzielle Situation Russlands ist nach Meinung des Kreml-Chefs leidlich. Das Bruttoinlandsprodukt sei zwar um 3,6 Prozent gesunken. Doch das sei weniger als in den führenden Ländern Europas und weniger als in den USA. In Großbritannien sei das Bruttoinlandsprodukt um neun Prozent gesunken. In Russland gäbe es zudem im verarbeitenden Sektor im Oktober und November 2020 ein Plus von 1,1 Prozent. In der Landwirtschaft betrage das Plus sogar 1,8 Prozent.

Putin erklärte, dass die realen Einkommen um drei Prozent gesunken und die Arbeitslosigkeit von 4,7 Prozent zum Jahresbeginn auf 6,3 Prozent gestiegen ist. An den nationalen Programmen zur Modernisierung der russischen Wirtschaft, der Entwicklung von künstlicher Intelligenz und anderen Technologie-Programmen werden man festhalten.

Russlands Finanzreserven wachsen, so Putin. Die Reserven in ausländischen Währungen seien von 554 zum Jahresbeginn auf jetzt 587 Milliarden Dollar gestiegen. Die Reserven des Nationalen Wohlstandsfonds seien von 86 Milliarden Euro auf 149 Milliarden Euro gestiegen. 70 Prozent der Einnahmen des russischen Haushalts stammen nicht aus dem Öl- und Gassektor. Russland könne man heute also nicht mehr als „Tankstelle“ bezeichnen.

veröffentlicht in: Nachdenkseiten

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