Nawalny will umgehend zurück nach Russland (Telepolis)
3. Januar 2021 Ulrich Heyden
Liberale und Linke in Moskau hoffen, dass sich der russische Machtapparat an der Frage Nawalny spaltet
Der russische Oppositionspolitiker Aleksej Nawalny hat am Mittwochvormittag angekündigt, am 17. Januar mit einer Maschine der russischen Fluggesellschaft Pobeda nach Moskau zurückkehren. Nachdem sportlichen Morgentraining habe er verstanden, dass er "fast gesund" sei und "nach Hause zurückkehren" könne.
Russische Nachrichtenagenturen meldeten die Rückkehrabsicht des Oppositionspolitikers erwartungsgemäß in nur wenigen Zeilen. Eine politische Bewertung der Rückkehrabsicht gab es aber weder von den großen russischen Zeitungen, den großen Fernsehkanälen, noch vom Pressedienst des Präsidenten.
Allein die bekannten russischen Liberalen und auch einige linke Journalisten und Blogger meldeten sich zu Wort. Der linke Journalist Maksim Schewtschenko bezeichnete die Entscheidung Nawalnys als "ziemlich mutig" und "am Rande des Abenteuers". Denn es bestände kein Zweifel, dass er "direkt auf der Gangway verhaftet wird".
Sicher sei auch, dass Nawalny am Flughafen "von Hunderten, wenn nicht Tausenden" seiner Anhänger empfangen werde. Doch man werde Nawalny keine Chance geben, seine Anhänger zu begrüßen. Und wenn doch, dann "hätte sich eine einflussreiche Gruppe von Sicherheitsbeauftragten der Kontrolle durch Putin widersetzt."
Doch bisher gibt es keine Anzeichen für ein solches Aufbröckeln der russischen Sicherheitsstrukturen.
Die ehemalige Fernseh-Moderation Ksenija Sobtschak, die 2018 zu den Präsidentschaftswahlen kandidierte und 1,68 Prozent der Stimmen erhielt, meinte, eine Sache sei es, Nawalny das Signal zu geben: "Komm nicht zurück, lebe wie Chodorkowski".
Eine ganz andere Sache sei es, diese Botschaft praktisch umzusetzen und Nawalny bei seiner Rückkehr zu verhaften. Das sei "keine einfache Entscheidung". Sobtschak hofft, dass Wladimir Putin den Rückkehrer "nicht gleich einsperrt". Worauf Sobatschk ihre Hoffnung gründet? Putin "mag keine öffentlichen Poker-Spiele", schreibt Sobtschak in ihrem Blog bei Radio Echo Moskau.
Kreml versucht die Bedeutung der Nawalny-Falls herunterzuspielen
Offensichtlich ist, dass der Kreml versucht, angekündigte neuen Strafverfolgungen gegen Nawalny herunterzuspielen. Es wird so getan, als ob der Fall keinerlei politische Bedeutung hat. Doch so einfach ist das nicht.
Zwar haben die Liberalen um Nawalny bei Wahlen nur in Einzelfällen Erfolge erreicht. Doch die offensive und hochprofessionelle Präsenz von Nawalny auf Youtube und seine immer neuen Enthüllungen nach seiner angeblichen Vergiftung haben seinen Bekanntheitsgrad enorm erhöht.
Nawalnys Youtube-Kanal hat 4,8 Millionen Abonnenten. Die beiden Videos, in denen Nawalny behauptet, er habe "seine Mörder" als Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes FSB identifizieren können, hatten jeweils 22 Millionen Klicks. Allein dieses große Zuschauerinteresse müsste den Kreml - oder zumindest die großen Fernsehanstalten - eigentlich veranlassen, selbst aktiver mit Argumenten des Mannes und seinen politischen Vorstellungen in die Debatte einzusteigen.
Aber das Gegenteil ist der Fall.
Gegen den Oppositionspolitiker wurde in Russland Ende Dezember ein neues Strafverfahren eröffnet. Er soll angeblich 3,9 Millionen Euro aus Spendengeldern für seinen "Fond zum Kampf gegen die Korruption" für private Zwecke entwendet haben.
Nawalny twitterte nach dem Bekanntwerden des neuen Strafverfahrens, "Putin wird hysterisch". Putins Sprecher Dmitri Peskow, antwortete auf diese Äußerung Ende Dezember, "Putin wird nicht hysterisch, Putin bereitet sich auf ein Treffen mit dem Ministerpräsidenten und internationale Telefongespräche vor
Auf Fragen von Journalisten meinte Peskow, die Situation mit Nawalny, rufe bei dem russischen Präsidenten "keinerlei Gefühle hervor". Über die einzelnen Schritte der Strafverfolgungsbehörde im Fall Nawalny sei Putin nicht informiert, erklärte Peskow. Ein politischer Hintergrund habe das neue Strafverfahren gegen den Oppositionspolitiker nicht.
Die russische Behörde für den Strafvollzug hatte Ende Dezember mitgeteilt, dass Nawalny nach seiner Entlassung aus der Berliner Uniklinik Charité Mitte Oktober die Aufforderung zugestellt wurde, bei der russischen Strafvollzugsbehörde vorstellig zu werden. Wenn Nawalny nicht vorstellig werde, werde man "Maßnahmen ergreifen".
Bewährungszeit beendet
Am 12. Januar hat die russische Gefängnisverwaltung beim Moskauer Simonoski-Bezirksgericht beantragt, eine gegen Nawalny 2014 verhängte Bewährungsstrafe von dreieinhalb Jahren wegen der Verletzung der Bewährungspflichten in eine Gefängnisstrafe umzuwandeln. Die Bewährungszeit für die Strafe von 2014 endete am 30. Dezember 2020. Nach Meinung der Strafvollzugsbehörde hätte Nawalny sich Mitte Oktober, nach seiner Entlassung aus der Charité, bei der russischen Strafvollzugsbehörde melden müssen, was er nicht tat.
Die Rückkehr von Nawalny stellt den russischen Staatsapparat vor eine harte Probe. Noch schweigt man über die Absicht des Oppositionspolitikers zurückkehren zu wollen. Doch Russland ist in das Netzwerk der internationalen Medien über viele Kanäle eingebunden. Der Kreml wird in den nächsten Tag hart arbeiten müssen, um eine für die Öffentlichkeit im In- und Ausland glaubwürdige Position zu entwickeln. (Ulrich Heyden)
veröffentlicht in: Telepolis