19. April 2002

Nebel im Pankisi-Tal

GEORGIEN

Anti-Terror-Kampf gegen 15 al-Qaida-Kämpfer und 50 tschetschenische Rebellen

In das georgische Pankisi-Tal, einer Gebirgslandschaft an der Grenze zu Tschetschenien im Großen Kaukasus (s. Karte), sollen nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums al-Qaida-Kämpfer aus der rebellischen Kaukasus-Republik eingesickert sein. Das hat Georgien zum quasi Frontstaat im Anti-Terror-Krieg befördert und der Regierung Schewardnadse in Tiflis Militärhilfe der USA beschert. Vorerst 200 Berater werden einer Armee zur Seite stehen, die seit 1993 nicht nur den Verlust der Region Abchasien hinnehmen musste, sondern auch die separatistischen Revolten in Südossetien und Adscharien nie eindämmen konnte.

Zwei Schlagbäume versperren die Straße hinunter zum Pankisi-Tal. Soldaten des georgischen Innenministeriums haben Sandsäcke zu kleinen Festungen aufgetürmt und dahinter Maschinengewehre in Stellung gebracht, Munitionskisten komplettieren das alles andere als friedvolle Stillleben mitten im Großen Kaukasus.

Die Designerin Maki Asatian aus Tiflis stört das wenig - im Gegenteil, sie hat die bizarre Kulisse für eine Schau georgischer Avantgarde-Mode okkupiert. Die Vorführung soll eine Demonstration der Normalität sein. Georgien hat zwar US-Militärhilfe geordert, um das Pankisi-Tal von Terroristen und Drogenhändlern zu säubern, fühlt sich dabei aber von der Welt missverstanden. Dies sei alles andere als das martialische Vorspiel eines Feldzuges, man plane "keine weitreichende Militäraktion wie in Afghanistan", beteuert Petre Mamradse, der Chef der georgischen Präsidialkanzlei.

Die mit viel Geld gesponserte Modenschau entlockt manch angereistem Journalisten einen heftigen Begeisterungsschrei. Andere finden das Spektakel in Rufweite tschetschenischer Flüchtlingsquartiere eher als zynisch - besonders die Komparserie georgischer Soldaten. Die Kalaschnikow über der Schulter ziehen sie die Models auf kleinen Wägelchen durch den Sand. Als Claqueure der Show sind immerhin der Innen- und der Kulturminister Georgiens zugegen. Ganz so dramatisch, wie es Schlagzeilen in London und Washington zuweilen suggerieren, kann es in dem 30 Kilometer langen Tal also nicht sein.

Mancher Kolumnist sah in Georgien schon eine "dritte Front" gegen den internationalen Terrorismus heraufziehen. Doch bisher wird die Schlacht - wenn überhaupt - nur von den Medien und in Moskau geschlagen. Russische Politiker werfen den Georgiern und Präsident Schewardnadse persönlich Passivität gegenüber den im Pankisi-Tal untergetauchten tschetschenischen Rebellen vor. Die Amerikaner geben sich ebenfalls beunruhigt, möchten sie doch Georgien - durch das bald mehrere Öl- und Gastrassen laufen werden - in eigener Regie kontrollierbar halten. Und die Georgier schließlich, sie hoffen, mit der anlaufenden US-Militärhilfe das Land endlich aus dem Sog einer lähmenden Wirtschaftskrise zu rudern und mehr Schulterschluss mit dem Westen zu finden.

Anton, unser Fahrer aus Tiflis, hält das Gerede von "terroristischen Umtrieben" im Pankisi-Tal für reichlich übertrieben. Die Georgier seien doch nicht kriegslustig, vielmehr kriegsmüde. Man solle bitte nicht vergessen, wie die Armee 1993 in Abchasien gescheitert sei. Außerdem werde es dauern, bis die USA mit ihren 200 Instrukteuren die ersten 1.500 Georgier für den Anti-Terror-Kampf geschult hätten.

Wollen sie gegen Flüchtlinge kämpfen?

Die Schneegipfel des Kaukasus sind auch im April in dichten Nebel gehüllt. Es ist kalt, dennoch blühen in den Talsenken die Aprikosenbäume. An einer der zahlreichen Straßensperren kontrollieren georgische Soldaten in alten sowjetischen Armee-Fellmänteln oder in nagelneuen Kampfanzügen die durchfahrenden Autos und Kleintransporter. Als die Posten unseren Begleiter sehen - einen jungen Polizisten mit Kalaschnikow - lässt man uns anstandslos passieren.

In Duissi, der ersten Ortschaft hinter dem Schlagbaum, treffen wir in einem zum Flüchtlingsheim umfunktionierten Hospital den "schwarzen Bislan", einen stämmigen Tschetschenen mit dichtem Vollbart und grünem Samt-Käppchen. Der 46jährige diente zwei Jahre als Sowjet-Soldat im thüringischen Rudolstadt, nach seiner Rückkehr bis zu Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges im September 1999 lebte er in der südtschetschenischen Ortschaft Itum-Kale. Als das Dorf im November des gleichen Jahres von russischen Flugzeugen bombardiert wurde, flüchtete Bislan über die alte georgische Heerstraße gen Süden. Nachdem er den in 3.500 Meter Höhe gelegenen Pass überquert hatte, brachte ihn ein Lastwagen zusammen mit anderen Flüchtlingen in das Pankisi-Tal, wo seit dem 19. Jahrhundert die den Tschetschenen verwandte Volksgruppe der Kistier lebt. Deren Vorfahren ließen sich dort während des russischen Feldzuges zur Eroberung des Kaukasus nieder.

Während wir uns im Hausflur unterhalten, kommt eine alte Frau mit krummem Rücken und einem von Falten durchzogenen Gesicht die Treppe herunter. Beim Anblick der Journalisten grummelt sie: "Ich bin eine Bojewitschka - eine Kämpferin." Leise kichernd schlurft sie weiter in den Hof. Wir steigen in den ersten Stock des Holzhauses. Oben empfängt uns die 22-jährige Sarema. Sie wohnt mit ihrer Mutter Maja und der Großmutter Madina in einem kleinen Zimmer, dass außer Betten und klapprigen Stühlen vor allem ein massives Öfchen aus Blech beherbergt. "Mein Mann wurde 1995 in Grosny getötet", erzählt Maja. "Ein Flugzeug beschoss unser Haus, und er starb auf der Straße, buchstäblich vor der Haustür."

Mutter und Tochter flüchteten zunächst bis in das südtschetschenische Itum-Kale. Als auch dieser Ort bombardiert wurde, ging es weiter über die Berge nach Georgien. Tochter Sarema besucht jetzt einen Computerkurs, den eine Hilfsorganisation in Duissi anbietet. Auf den ersten Blick läuft das Leben relativ normal. Die humanitäre Hilfe reiche, meint Maja. Pro Kopf und Monat bekämen die Flüchtlinge 13 Kilo Mehl und zwei Kilo Bohnen. "Was wir nicht selbst verbrauchen, wird bei den Georgiern gegen Obst, Gemüse und Milch eingetauscht. Ja, Wahhabiten, streng gläubige Tschetschenen mit langen Bärten und schwarzen Gewändern gäbe es im Ort. Dass sich in dem Tal Terroristen aufhalten sollen, hat Maja schon gehört. Gesehen hat sie "diese Leute" allerdings noch nicht. Im Moskauer Rundfunk heiße es immer, man müsse gegen die Terroristen im Pankisi-Tal militärisch vorgehen. "Aber gegen wen? Hier gibt es keine Terroristen. Wollen sie gegen Flüchtlinge kämpfen?"

Sie sind alle todsicher im Computer

Petre Mamradse, Kanzleichef von Präsident Schewardnadse, meint in Tiflis, wegen der 7.000 Flüchtlinge sei die "kriminogene Lage" im Pankisi-Tal schwierig. Es gebe Drogen- und Waffenhandel. Georgische Grenztruppen befänden sich noch im Aufbau, aber Deutschland habe 60 gebrauchte Militärfahrzeuge geschickt. Und wegen der Amerikaner sollte man nichts dramatisieren - schließlich sei einst auch Boris Jelzin bei Eduard Schewardnadse vorstellig gewesen, um die Erlaubnis einzuholen, tschetschenische Freischärler von georgischem Territorium aus bekämpfen zu dürfen. Schewardnadse habe dieses Ansinnen seinerzeit selbstredend abgelehnt, schwört Berater Mamradse. An dieser Position habe sich seitdem nichts geändert.

Nach der Absage von Schewardnadse haben dann jedoch russische Flugzeuge regelmäßig georgisches Territorium attackiert und Minen abgeworfen. Viele tschetschenische Flüchtlinge, die im Herbst 1999 mit Verletzten über die Berge kamen, sind dabei umgekommen. Mamradse: "Wer das überlebt hat, wurde bei uns aufgenommen und ordnungsgemäß registriert. Die sind alle todsicher im Computer."

Nicht mehr als 15 al-Qaida-Kämpfer und etwa 50 tschetschenische Rebellen sollen auf georgischem Gebiet operieren, ist in Tiflis inoffiziell zu hören. Man werde aber nicht eher ruhen, bis die Osama-bin-Laden-Leute aus dem Pankisi-Tal verschwunden seien, wird allenthalben hinzugefügt. Was die Tschetschenen angehe, so sei man nicht überzeugt, dass es sich ausschließlich um Terroristen handele.

Manchmal höre sie Schüsse, meint Maja, die tschetschenische Flüchtlingsfrau aus Duissi. Doch das seien wohl die üblichen Freudenschüsse der Tschetschenen, wenn sie - wie es Sitte ist - eine Braut "entführen" und verheiraten. Sie habe allein aus Angst um ihre Tochter für derartige Bräuche nichts übrig. Es komme leider vor, dass Zivilisten ausgeraubt und Mädchen verschleppt würden. "Immerhin sind wir nicht zum Heiraten hergekommen", meint Maja und streicht der Tochter zärtlich über den Kopf, "irgendwann wollen wir zurück nach Tschetschenien."

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