2. July 2009

Nichts geht mehr in Russlands Casinos

Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau

Rund 15 Jahre lang rollten am Neuen Arbat, der Vergnügungs- und Einkaufsmeile im Zentrum von Moskau, die Roulettekugeln. Nachts blinkten üppige Leuchtreklamen. Langbeinige Schönheiten entstiegen schwarzen Limousinen, um ihren Gönnern im Imperia, Golden Palace oder Metelitsa (Schneesturm) über die Schulter zu gucken.

Nun hängt vor den Glaspalästen – den stummen Zeugen des wilden Kapitalismus der 1990er-Jahre – das Schild „Sakryto“ (Geschlossen). In der Nacht auf Mittwoch trat ein von der Duma beschlossenes Gesetz in Kraft, welches Roulettetische und einarmige Banditen aus den russischen Städten in vier Sonderzonen in der Provinz verbannt.

Die geschäftstüchtigen Spielhallen-Besitzer geben jedoch nicht einfach auf. Viele widmen ihre Einrichtungen um in Poker-, Lotterie- oder Internet-Klubs. Das Kartenspiel ohne Geld, „Sport-Poker“, Pferdewetten, die Lotterie und auch das Roulette per Internet sind weiterhin erlaubt.

Der größte Teil der Spieler wird nach Meinung der Experten jetzt zum Glücksspiel im Internet oder in dunkle Keller abwandern, wo man, wie zu Sowjetzeiten, nur auf ein bestimmtes Klopfsignal Einlass bekommt. Viele russische Glücksspielunternehmen planen auch ins Ausland zu gehen, vor allem nach Weißrussland, Armenien, Georgien und die baltischen Republiken. Dort wartet man schon auf die betuchteren russischen Gäste.

Die Fahrt ins Ausland hat Tradition. Eine der bekanntesten Erzählungen Dostojewskis, „Der Spieler“, veröffentlicht 1866, handelt von dem Russen Aleksej Iwanowitsch, der nach einem Riesen-Gewinn an einem Roulettetisch in Deutschland das Interesse an seiner großen Liebe verliert und völlig in der Spielsucht aufgeht, die ihn letztlich in die Armut stürzt.

Von den vier versprochenen russischen Sonderzonen, nach dem Vorbild von Las Vegas, existiert bisher keine einzige. Weder in der Ostsee-Exklave Kaliningrad, dem Krasnodar-Gebiet, im Altai-Gebirge noch im fernöstlichen Primorje stehen die versprochenen Zocker-Tempel, Hotels und Wellness-Zentren. Das Einzige, was bisher zu sehen ist, sind ein paar Stahlträger der künftigen Spielerstadt „Asow-City“ im südrussischen Krasnodar.

500000 Croupiers, Barmixer und Hostessen sind jetzt arbeitslos. Sie müssen sehen, wo sie unterkommen. Oleg Medwedew, ein junger Mann, der zusammen Kollegen auf dem Puschkin-Platz im Zentrum von Moskau den letzten Arbeitstag feiert, hofft, im Ausland Arbeit zu finden. „Ich glaube die Sprachkenntnis und die Erfahrungen, die ich habe, werden mir helfen.“

Tatjana Dmitrijewa, Leiterin der angesehenen Serbsky-Psychiatrie-Klinik begrüßt das Casino-Verbot, denn „die Spielsucht zerstört die Persönlichkeit,“ meint die Ärztin. Zumindest in einer Übergangszeit erwartet Dmitrijewa einen deutlichen Anstieg von hilfesuchenden Patienten.

Ist der russische Staat aber in diesem Fall ausnahmsweise wirklich einmal um das Wohl seiner Bürger besorgt und verzichtet deshalb auf jährlich 680 Millionen Dollar Steuereinnahmen? Daran zweifeln in Russland viele. Tatsächlich ist es wohl so, dass der Staat hofft, in den vier Sonderzonen die Steuerhinterziehung und Kriminalität besser in den Griff zu bekommen.

"Sächsische Zeitung"

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