Nichts wie weg – Flucht vor Putin
Moskau. Eine Woche vor den Duma-Wahlen sagen die Meinungsumfragen der Kreml-Partei „Einiges Russland“ große Verluste im Parlament voraus. Ihren Erfolg von den Duma-Wahlen 2007, als „Einiges Russland“ (ER) mit 64 Prozent siegte, wird die Kreml-nahe Partei am 4. Dezember nach letzten Umfragen wohl nicht wiederholen können. Der Versuch Putins, der schwächelnden ER mit einer „Volksfront“ neues Leben einzuhauchen, ist gescheitert. In der neuen Duma würde ER damit die für Verfassungsänderungen notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit verlieren.
Den grandiosen Sieg von 2007 hatte Einiges Russland nicht nur der umstrittenen Stimmenauszählung zu verdanken, sondern auch einer Wirtschaftskonjunktur, welche die Löhne und Gehälter steigen ließ. Doch mit dem günstigen Wirtschafts-Klima ist es vorbei. Die Russen müssen sich im Konsum beschränken. Arbeitsplätze gingen verloren. Zur Verärgerung vieler Wähler trägt wohl auch bei, dass Putin, wenn er im März zum Präsidenten gewählt wird, faktisch bis 2024 durchregieren kann.
Nun kursieren die ersten Witze über das Machtdreieck Putin-Medwedew-,,Einiges Russland“. Und die Opposition von liberal bis links rückt angesichts der vom Kreml gesteuerten Übermacht immer enger zusammen und veranstaltet am Wochenende eine Kundgebung gegen die befürchteten Wahlfälschungen. Manche Bürger kleben sich frech das Symbol der Opposition aufs Auto: Einen großen Bären – das Symbol von „Einiges Russland – , der einen prallgefüllten Sack wegschleppt.
In den letzten Jahren hat sich viel Unmut angestaut. Zu selbstherrlich regieren manche vom Kreml ernannten Gouverneure. Korrupte Beamte wirtschaften in die eigenen Tasche.
Am Sonntag wird Putin offiziell zum Präsidentschaftskandidaten gekürt. Er hat die öffentliche Salbung nötig, denn diese Woche musste Putin eine erste öffentliche Schlappe einstecken. Als er im Moskauer Sport-Komplex Olimpiski den russischen Boxer Jemeljanenko für seinen Sieg über den Amerikaner Jeff Monson beglückwünschte, gellten Pfiffe durch die Halle. Putins Auftritt empfanden viele Zuschauer als überflüssig.
Besonders unter jungen Russen hat sich der Unmut gegen Putin angestaut. Zehntausende verlassen ihre Heimat. Beobachter sprechen von einer regelrechten „Flucht vor Putin“. Die Furcht, noch Jahre von dem Machttandem aus Putin und dem derzeitigen Kremlchef Dmitri Medwedew regiert zu werden – ohne jegliche Aussicht auf Wandel, treibt gut ausgebildete junge Leute in die Ferne. In den vergangenen Jahren sind Schätzungen zufolge etwa eineinhalb Millionen Menschen emigriert.
veröffentlicht in: Nordsee-Zeitung