10. March 2009

Oligarchen ohne Bodenhaftung

Krise. Die Zahl der Milliardäre ist von 101 auf 49 geschrumpft. Allein die zehn reichsten Russen verloren zwei Drittel ihres Vermögens.

ULRICH HEYDEN Moskau (SN, n-ost). Der Föderationsturm in der „Moscow City“, dem Manhattan der russischen Hauptstadt, sollte mit 506 Metern das höchste Gebäude Europas und heuer fertig werden. Doch der Kran, der sich bis vor Kurzem noch in 230 Metern Höhe gedreht hat, steht still. Bauherr Sergej Polonski steht angeblich vor dem Bankrott. Sein Vermögen schrumpfte nach Angaben des russischen Wirtschaftsmagazins „Finans“ von 4,35 Milliarden Dollar auf 70 Millionen. Polonski musste mit den Banken, unter anderem mit der Credit Suisse, über eine veränderte Rückzahlung der Kredite verhandeln. Auch der Run auf die Luxusappartements und Büros im Förderationsturm hat nachgelassen.

2008 hatte Polonski bei einer Party in Cannes noch getönt: „Wer keine Milliarde hat, kann gleich wieder gehen.“ In dem französischen Nobelort ließ der Baulöwe für eine Feier seiner Firma „Mirax Group“, die auch in London, der Schweiz und der Türkei baut, nach eigenem Bekunden vier Millionen Dollar springen. Mittlerweile ist der „Developer“, wie er sich nennt, auf der Liste der russischen Reichen von Platz 40 auf Platz 348 gerutscht.

Die Zahl der Milliardäre in Russland schrumpfte von 101 im Jahr 2008 auf 49 im Jahr 2009. Allein die zehn reichsten Russen verloren zwei Drittel ihres Vermögens. Der Grund: Die Aktienpakete, mit denen die Oligarchen ihre bei West-Banken aufgenommenen Kredite abgesichert hatten, haben durch die Finanzkrise stark an Wert verloren. Die Banken fordern deshalb Kredite zurück oder verlangen zusätzliche Sicherheiten, die die Oligarchen nur mit Hilfe der russischen Staatsbanken bieten können.

Jakow Pappe, Wirtschaftsexperte der Russischen Akademie der Wissenschaften, sagt, das Schicksal der Oligarchen liege in der Hand der Staatsbanken. Diese könnten die Kredite verlängern – oder eben nicht. Die Verluste seien aber relativ. Dass etwa Oleg Deripaska seinen Anteil beim kanadischen Automobilzulieferer „Magna“ und der deutschen Baufirma „Hochtief“ verkaufen musste, sei angesichts seines Gesamtvermögens zu vernachlässigen. Oleg Deripaska war mit 40 Milliarden Dollar 2008 der reichste Mann Russlands. Zu seiner Industrie- und Finanzgruppe „Basic Element“ gehören Aluminiumfabriken, Baufirmen und Versicherungen. Heute hat Deripaska noch ein Vermögen 4,9 Milliarden Dollar – sowie 20 Milliarden Dollar Schulden.

Dass sich die Oligarchen übernommen haben, meint Pappe nicht. Von einem Oligarchen mehr Augenmaß zu verlangen, widerspreche seiner Natur. „Vorsichtige Leute werden keine Oligarchen.“ Pappe meint, dass die russischen Großunternehmen aus der Krise lernen werden. „Man muss einmal verlieren, um klug zu werden.“ Außerdem sei zu bedenken, dass der russische Kapitalismus erst zwanzig Jahre alt sei. Das sei keine lange Zeit.

Für das Management von Polonskis Baufirma „Mirax“ bedeutet die Finanzkrise ein Umdenken. Die Zeiten, als Polonski vor Studenten der Moskauer Universität sagte: „Wenn du etwas im Leben erreichen willst, musst du hingehen und es nehmen“, sind vorbei. Es muss gespart werden, auch an Gagen und Prämien. „Die Oligarchen haben ihre Kapitalausstattung überschätzt“, resümiert der Marxist und Wirtschaftsprofessor Aleksandr Busgalin. „Ich habe schon vor Jahren vor der Krise gewarnt“, sagt der 55-Jährige, der auch beim Bündnis „ATTAC Russland“ aktiv ist. „Die Oligarchen hätten mehr in Humankapital investieren und ihr kurzfristiges Denken überwinden müssen“, meint der Professor, der davon träumt, einmal Marxismus-Kurse für Unternehmer zu geben. Bisher gibt es noch keine Interessenten.

Vergleichsweise glimpflich kam der Oligarch Michail Prochorow, zurzeit auf Platz 1 der Milliardärsliste, davon. Während ihn die Zeitschrift „Finans“ 2008 mit 21,5 Milliarden notierte, wird sein Vermögen jetzt auf 14,1 Milliarden Dollar geschätzt. Kurz vor dem Absturz der Rohstoffpreise verkaufte Prochorow noch schnell seinen 25-Prozent-Anteil am Nickelproduzenten „Norilsk Nickel“ um sieben Milliarden Dollar. „Norilsk Nickel“ hat mittlerweile 80 Prozent verloren. Derzeit feilt Prochorow an seinem Image. Die Eskapaden von Russlands berühmtestem Junggesellen im französischen Skiort Courchevel im Jahr 2007 sind nicht vergessen. Damals war er wegen des Verdachts der Zuhälterei verhaftet, kurz darauf aber wieder freigelassen worden. Prochorow hatte zur Neujahrsfeier eine ganze Gruppe „Models“ aus Moskau einfliegen lassen. Nun setzt er lieber auf gesellschaftliches Engagement. Im Oktober wurde er Präsident des russischen Biathlon-Verbandes.

"Salzburger Nachrichten"

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