28. March 2012

Präsidenten ungeplant „abgehört“

Von Ulrich Heyden, MZ

Seoul/Moskau . Dass der eigentlich langweilige Nukleargipfel in Seoul doch noch für Aufsehen sorgte, hing mit einer Äußerung von Präsident Barack Obama zusammen, die dieser in einem vertraulichen Gespräch mit dem seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew machte. Anderthalb Stunden konferierten die beiden im Hotel über die von den USA geplante Raketenabwehr in Europa und andere Fragen. Das Treffen war streng geheim, aber am Ende der Unterredung gingen überraschend die Mikrophone an. So konnte man den vertraulichen Wortwechsel zwischen Obama und Medwedew mithören.

Obama erklärte mit leiser Stimme, die Frage der Raketenabwehr „kann geklärt werden“. Aber es sei nötig „space“ (Raum) dafür zu haben. Die Moskauer Iswestija war sich nicht sicher, was Obama mit „space“ meinte. Möglicherweise wollte Obama sagen, dass er nach der Präsidentschaftswahl im November freiere Hand in der Raketenfrage habe. Vielleicht wollte Obama aber auch seinen Wunsch ausdrücken, dass Medwedew in seinem zukünftigen Amt als Ministerpräsident an den Raketenabwehr-Verhandlungen beteiligt wird, kommentierte das Blatt.
Der US-Präsident hatte seinen russischen Kollegen in Seoul als „besten Partner“ gelobt. Beide äußerten sich zufrieden über den „Neustart“ der Beziehungen 2009 nach den Spannungen während des Georgien-Krieges 2008. Im April 2010 unterzeichneten Obama und Medwedew in Prag einen neuen Abrüstungsvertrag für strategische Atomraketen, der im Februar 2011 in Kraft trat. Auch in der Libyen-Frage gab es letztlich eine Einigung.
Die leise Unterhaltung zwischen Obama und Medwedew in Seoul endete mit Medwedews Zusicherung, er werde die Informationen „Wladimir“ (Putin) übermitteln. In den Verhandlungen der letzten Jahre ging es insbesondere um die Frage, ob russische Spezialisten Raketen-Codes oder auch Zugang zu den Abschuss-Anlagen erhalten. Russland sieht die geplanten Abwehrraketen gegen Angriffe etwa aus dem Iran in Polen und Rumänien und den weitreichenden Radar in der Türkei als Bedrohung.
Das ungeplant mitgehörte Gespräch wurde zur Sensation, weil der wahrscheinliche Obama-Herausforderer Mitt Romney Verrat an Amerika witterte. Obama habe offenbar eine geheime Agenda, die er nach seinem erneuten Einzug in das Weiße Haus verwirklichen wolle. Er sei äußerst besorgt, denn Russland sei „ohne Frage unser geopolitischer Feind Nr. 1“. Moskau unterstütze die „schlimmsten Regime“ wie den Iran, Nord-Korea und Syrien. Der russische Präsident reagierte auf die Worte von Romney vergleichsweise gelassen. „Das riecht nach Hollywood“, meinte Medwedew.

veröffentlicht in: Mittelbayerische Zeitung

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