6. January 2018

Präsidentschaftswahlen Russland: Kommunistische Partei nominiert "roten Unternehmer"

Zu den russischen Präsidentschaftswahlen im März überrascht die KPRF mit dem Kandidaten Pawel Grudinin. Der Agrar-Unternehmer plädiert für die Verstaatlichung des Öl-Konzerns Rosneft, eine progressive Einkommenssteuer und einen modernen Sozialismus.

Die größte Oppositionspartei in Russland, die KPRF, wählte am 23. Dezember überraschend nicht den altgedienten KP-Chef Gennadi Sjuganow zum Präsidentschaftskandidaten sondern den Agrar-Unternehmer Pawel Grudinin. Der 57-Jährige ist seit dem Jahr 1995 Direktor der am südlichen Stadtrand von Moskau gelegenen "Aktiengesellschaft Lenin Sowchose", die große Erdbeer- und Apfelbaum-Plantagen besitzt und außerdem Milch verkauft.

Grudinin hat fünf feindliche Übernahmen seiner Sowchose abgewehrt, wie er in russischen Talk-Shows stolz berichtet. Windige Geschäftsleute hätten sich den Boden der Sowchose unter den Nagel reißen wollen, um auf dem begehrten Gebiet am Südrand von Moskau Einkaufszentren und Lagerhallen zu bauen. Die Sowchose Lenin sei einer der wenigen landwirtschaftlichen Betriebe am Stadtrand von Moskau, die dem Verdrängungswettbewerb gegen die Immobilien-Konzerne standgehalten habe.

Grudinin verspricht einen härteren Kurs gegen die Oligarchen

Ein Praktiker, der sich im rauen Wirtschaftsleben auskennt und dazu noch als Unternehmer mit Herz auftritt, könnte bei den Präsidentschaftswahlen Erfolg haben. Da sich Russland nun aufgrund des gesunkenen Ölpreises und den Sanktionen des Westens in einer lang anhaltenden Wirtschaftskrise befindet, deren Ende noch nicht abzusehen ist, könnte Grudinin zum Hoffnungsanker für die Menschen werden, denen Putins Haltung gegenüber den russischen Oligarchen zu lasch ist. Es gehe nicht an, dass Putin "seine reichen Freunde" schützt, sagt der Agrar-Unternehmer in Talk-Shows und übernimmt damit eine Rhetorik, wie man sie bisher nur von Alexei Nawalny kennt.

Der Kandidatur von Grudinin sei keine breite Debatte und keine Basisbewegung vorausgegangen, kritisiert der linke Politologe Boris Kagarlitsky. Von daher könne man nicht von dem Kandidaten "der russischen Linken" sprechen. Es gäbe sogar Hinweise, dass der Agrar-Unternehmer Grudinin für seine Kandidatur grünes Licht vom Kreml bekommen habe.

Grudinin ist kein Berni Sanders und kein Jeremy Corbyn, die sich auf eine breite Basisbewegung stützen konnten. Doch die goldenen Jahre unter Wladimir Putin, als der Ölpreis hoch war und die Russen das erste Mal seit der Sowjet-Zeit das süße Leben der Konsumgesellschaft genießen konnten, sind vorbei. Mit seiner Kritik an den russischen Oligarchen, die nach wie vor gut leben und gegen die Putin machtlos ist, spricht Grudinin vielen Russen aus dem Herzen. Grudinin verspricht, die Oligarchen zu zwingen, ihre in Offshore-Zonen geparkten Milliarden nach Russland zurückzubringen. Wie er das genau machen will, hat er aber bisher nicht verraten.

Immer wieder erinnert der Agrar-Unternehmer daran, dass das in der russischen Verfassung garantierte Recht auf kostenlose medizinische Versorgung und kostenlose Bildung nur auf dem Papier steht. Und er erinnert auch daran, dass zwanzig Prozent der Russen an der Armutsgrenze leben.

Was erstaunlich ist: Mit all dieser Kritik bekommt der rote Agrar-Unternehmer zurzeit breiten Raum in den russischen Medien. Grudinin trat bereits in den bekanntesten Talk-Shows (bei Solowjow) auf. Auch kleine Video-Kanäle veröffentlichen Interviews mit ihm. Man hat fast den Eindruck, dass hinter Grudinin nicht nur die KPRF sondern auch einflussreiche Personen aus der russischen Elite stehen.

Bekommt Grudinin Unterstützung vom Kreml?

Was er zu dem Vorwurf sage, seine Kandidatur sei mit dem Kreml abgesprochen, wollte der unabhängige Journalist Maxim Schewtschenko in einem Interview (Video-Kanal Maksim Schewtschenko) von dem roten Agrar-Unternehmer wissen.

Am "Alten Platz" in Moskau (ein Platz nicht weit vom Kreml, wo die Präsidialverwaltung ihren Sitz hat, U.H.), sei er das letzte Mal vor 15 Jahren gewesen, erklärte der Agrar-Unternehmer. Der Journalist hakte nach. Er, Grudinin, habe doch bis 2010 der Partei Einiges Russland angehört. Warum er da ausgetreten sei? Grudinin erklärte, er sei aus der Partei ausgetreten bevor man sie im Volksmund "Partei der Betrüger und Räuber" nannte. Maßgebliche Funktionäre von "Einiges Russland" (ER) hätten von ihm verlangt, dass er den Mitarbeitern seiner Sowchose die Anweisung gäbe, nicht an den Wahlen zum Rat des Moskauer Umlandes teilzunehmen. Offenbar fürchteten die ER-Funktionäre, dass Grudinin bei den Wahlen zu viele Stimmen bekommt.

Mit der Politik von Wladimir Putin ist Grudinin nur zum Teil einverstanden. Wie Putin die Interessen Russlands gegenüber dem Ausland vertrete, sei "sehr gut", aber mit der Politik in Russland sei er nicht einverstanden. "Die Reichen werden mehr, aber die Armen werden auch mehr". Der Reichtum werde "unter den Freunden Putins aufgeteilt". Die starke Seite von Putin – "ich stehe zu meinen Leuten" – werde zu seiner schwachen Seite. Personen, "welche dem Volk viel Geld geklaut haben", würden vom Präsidenten geschützt. Putin sei "ein sehr weicher Mensch". Gegenüber Oligarchen müsse man hart auftreten. Das könnten "keine Freunde sein". Denn sie hätten ihr Geld "nicht wie Bill Gates selbst erarbeitet", sondern sich einfach nur die Rohstoff-Ressourcen Russlands angeeignet. Die Oligarchen in Russland seien durch die "räuberische Privatisierung" in den 1990er-Jahren reich geworden und hätten ihr Geld nicht in Russland, sondern in Amerika und Europa angelegt.

"Korrupte Beamte behindern das Wirtschaftswachstum"

Wenn man als Unternehmer nicht "in dem korrupten System mitspielt", habe man "sehr viele Probleme", berichtete Grudinin, der mehrere feindliche Übernahme windiger Geschäftsleute abwehren musste und beklagt, dass die feindlichen Übernahme-Versuche von Richtern und Polizisten gedeckt wurden.

"Jeden Tag" müsse die Verwaltung seines Unternehmens "Kraft und Zeit aufbringen", um gegen die Korruption der Beamten zu kämpfen, meint der Sowchos-Direktor.

Diese Korruption hat alle Teile des Staatsapparats erfasst. Die Korruption verhindert, dass Russland sich entwickelt. Das Business in Russland erstickt an der Vielzahl der Ausführungsbestimmungen und der Vielzahl der Schmiergeld-Forderer. Man fühlt sich wie eine Kuh, der Jemand das Messer an den Hals hält wobei er fragt: Nun, heute Milch oder gleich Fleisch?

Die Menschen in Russland hätten heute zu wenig Geld, um das zu kaufen, was seine Sowchose produziert. Viele Menschen hätten ihre Arbeit verloren. Im Jahr 2017 habe man 800.000 Tonnen Erdbeeren geerntet. Man habe die gesamte Menge aber nicht wie früher verkaufen können. "Die russische Regierung hätte man schon vor drei Jahren, als die Sanktionen begannen, entlassen müssen. Denn das Anti-Krisen-Programm der Regierung nützt nur den Banken," meint der linke Präsidentschaftskandidat.

"Ich bin kein Kapitalist sondern Unternehmer"

Grudinin gehören heute 44 Prozent der Aktien der Sowchose Lenin. Bei der Gründung der Aktiengesellschaft im Jahr 1995 habe die Sowchose zunächst noch 526 Aktionäre gehabt. Doch man habe die Zahl der Aktionäre durch Aufkauf der Aktien vermindern müssen, um die Versuche der feindlichen Übernahme zu erschweren.

Nein, er sei kein Kapitalist sondern Unternehmer. Im Laufe von 22 Jahren hätten die jetzt 35 Aktionäre auf ihre Dividenden verzichtet. Stattdessen seien Lohnaufschläge für die Mitarbeiter, Hilfen für die Rentner sowie neue Investitionen bezahlt worden. Einfache Mitarbeiter bekämen heute umgerechnet 1.130 Euro Lohn, was für russische Verhältnisse ein gutes Gehalt ist.

Ja, er sei für den Sozialismus, denn nur unter diesem System habe Russland die Möglichkeit sich zu entwickeln. "In Russland reich zu sein, ist nicht möglich. Früher oder später siedelst Du ins Ausland über, wie unsere Oligarchen, oder du wartest in Russland auf den Aufstand der Armen."

Deutschland ist für Grudinin Beispiel für einen sozialen Kapitalismus. Dort gäbe es im Gegensatz zu Russland mit seinem festen Steuersatz von 13 Prozent immerhin eine progressive Einkommenssteuer. Und in Deutschland gäben die Reichen Geld ab, "um anderen Menschen ein würdiges Leben zu ermöglichen".

Bei seinen Talk-Show-Auftritten erklärte Grudinin, wenn Russland sich im Jahr 1991 nicht vom Sozialismus abgewandt und den Weg der Liberalen gegangen wäre, dann hätte das Land heute einen so hohen Anteil am Welt-Bruttosozialprodukt wie China. Die Sowjetunion habe Ende der 1980er-Jahre einen Anteil von 20 Prozent am Welt-Bruttosozialprodukt gehabt, so viel wie heute China.

Die ersten Primeries bei den Linken

Grudinin sagt, er sei Kandidat der "ganzen Linken". Das stimmt fast. Die zweite Links-Partei in der Duma, "Gerechtes Russland", hat angekündigt, keinen eigenen Kandidaten zu den Präsidentschaftswahlen aufzustellen, sondern zur Wahl von Wladimir Putin aufzurufen.

Außerdem gab es das erste Mal in der Geschichte der russischen Linken Primeries Vorwahlen, organisiert vom Leiter der Linken Front, Sergej Udalzow, an denen sich 15.000 Menschen beteiligten. In der zweiten Runde dieser Vorwahlen siegte der Agrar-Unternehmer Pawel Grudinin gegen den Gründer der linksliberalen Partei Jabloko, Juri Boldyrew.

In der ersten Runde der Primeries der Linken hatte Juri Boldyrew gesiegt (2.536 Stimmen) gefolgt von Pawel Grudinin (2.440 Stimmen), Konstantin Sjomin (Fernseh-Journalist, 1.539 Stimmen), Sergej Glasew (Putins Wirtschaftsberater, 1.460 Stimmen), Sachar Prilepin (Schriftsteller, Kommandeur von Soldaten in Donezk, 1.183 Stimmen), Sergej Schargunow (TV-Journalist, KPRF, 766 Stimmen) Michail Popow (Philosoph, 442 Stimmen) und Boris Kagarlitsky (Politologe, 416 Stimmen).

Der Leiter des Instituts zu Globalisierung und sozialen Bewegungen, Boris Kagarlitsky, zweifelte den korrekten Ablauf der Primeries an. Die Teilnehmer der Vorwahlen hätten sich nicht persönlich registrieren müssen. So wisse man nicht wie viele Mitarbeiter der Sowchose Lenin für ihren Chef Grudinin gestimmt haben. Enttäuscht vom Kandidaten Grudinin, der mit dem Segen des Kreml kandidiere, ruft Kagarlitsky jetzt zu einem Boykott der Präsidentschaftswahlen auf, sucht aber noch nach einer geeigneten Methode, um mit dem Boykott nicht dem Rechts-Populisten Alexei Nawalny zu nützen, der ebenfalls angekündigt hat, die Wahlen zu boykottieren.

Werden genug Menschen an die Wahlurnen gehen?

Um eine eindrucksvolle Wahlbeteiligung von 70 Prozent zu erreichen, muss sich die russische Präsidialverwaltung noch etwas einfallen lassen. Denn Die Prognosen sind bisher weit von dieser Zielmarke entfernt.

Das Meinungsforschungsinstitut Lewada, hat bei einer Umfrage Anfang Dezember ermittelt, dass nur 58 Prozent der Befragten am 18. März 2018 zur Wahlurne gehen wollen. Da die wirkliche Wahlbeteiligung erfahrungsgemäß niedriger liegt, als die Angaben bei den Umfragen vor den Wahlen, geht das Lewada-Zentrum von einer Wahlbeteiligung von nur 54 Prozent aus.

Nachdem die Zentrale Wahlkommission den Oppositionspolitiker Alexei Nawalny wegen seiner Vorstrafe nicht als Kandidat registriert hat, ist es dem Kreml offenbar ganz recht, wenn jetzt Personen kandidieren, die für etwas Pfeffer im Wahlkampf sorgen, wie der Agrar-Unternehmer Pawel Grudinin und die Liberale Ksenia Sobtschak.

Die Glamour-Kandidatin

Die Liberale Xenija Sobtschak, die nicht müde wird, sich als Mitglied der glamourösen Oberschicht in Szene zu setzen, hat zur Wahl ein buntes Programm vorgelegt, das aber eher auf die großstädtische Mittelschicht zielt. Sobtschak will Lenin aus dem Mausoleum holen. Stalin soll ohne Wenn und Aber als Mörder aller begabten Russen verdammt und auf der Krim soll ein neues Referendum organisiert werden. Homosexuelle sollen heiraten dürfen und das Rauchen von Mariuhana soll entkriminalisiert werden.

Zum Wahlkampfstab von Sobtschak gehören bekannte liberale Polittechnologen wie Igor Malaschenko, der den umstrittenen Wahlkampf von Präsidentschaftskandidat Boris Jelzin im Jahr 1996 mitorganisierte. Bei dieser Wahl wurden massive Fälschungen festgestellt.

Dass der Kandidat Pawel Grudinin dem Kandidaten Wladimir Putin bei den Präsidentschaftswahlen gefährlich werden könnte, hält die liberal-konservative Nesawisimaja Gaseta für ausgeschlossen, da die Macht die Medien, die politische Debatte im Land und die Duma-Parteien kontrolliere.

Gefährlich für die Pläne der Macht sind nicht Personen, sondern plötzlich aufkommende Haupt-Themen. Wenn es diese Themen gibt, dann geraten sogar die gegenüber der Macht loyal eingestellten Oppositionellen außer Kontrolle,“ schreibt das Blatt.

Einer, der solche neuen unvorhergesehenen Themen aufgreifen könne, sei Alexei Nawalny, weshalb die Macht ihn "klein halte". Zu Experimenten seien die „System-Parteien“ in der Duma nicht bereit. Sie wüssten, dass es "einen Übergang der Macht von einer Elite auf eine andere in Russland nur in Folge einer sozial-politischen Katastrophe gibt."

Dass Wladimir Putin wiedergewählt wird, ist sicher, doch sicher ist auch, dass es im Wahlkampf noch interessante Debatten geben wird.

Veröffentlicht von RT deutsch

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