10. September 2023

Warum das ZDF 90 Minuten für Alina Lipp opfert (Overton-Magazin)

Screenshot aus ZDF-Film zu Alina Lipp
Foto: Screenshot aus ZDF-Film zu Alina Lipp

10. September 2023 

Die in Russland lebende deutsche Bloggerin lässt den deutschen Medien keine Ruhe.

Vor einigen Tagen hat das ZDF einen dreiteiligen Film unter dem Sammel-Titel „The Princess of Desinformation“ gesendet. Der Dreiteiler hat bestimmt viel Geld gekostet. Die drei Filme mit insgesamt 90 Minuten Länge sind als „Dokumentation“ aufgemacht. Aber man muss sich schon zwingen, sie bis zu Ende zu gucken.

Weil der Telegramm-Kanal von Lipp – „Neues aus Russland“ – mit fast 200.000 Abonnenten täglich neue Infos und Videos bringt, hielt man es in der ZDF-Chefredaktion offenbar für nötig, der in Russland lebenden Bloggerin gleich drei Filme zu widmen.

Charmant, aber gefährlich!

Die deutsche Staatsanwaltschaft nahm 2020 gegen Lipp Ermittlungen auf „wegen Unterstützung des russischen Angriffskriegs“, stellte die Ermittlungen dann aber ein, weil Lipp im Ausland wohnt. Das Verfahren kann aber wieder aufgenommen werden, heißt es in dem ZDF-Dreiteiler.

Es gibt also einen dringenden Grund dafür, dass das ZDF den Fall Lipp groß aufzieht. Man warnt vor einer jungen Frau, welche von der russischen Frontseite im Ukraine-Krieg berichtet und sich dabei erdreistet, charmant zu lächeln. Die unterschwellige ZDF-Devise lautet: Bürger habt acht! Da will sich eine Propagandistin in eure Seelen einschleichen!

Ein künstlerisches Niveau und eine Dramaturgie hat der ZDF-Dreiteiler nicht. Denn es wird schon am Beginn der Serie klar gemacht, wer die Böse ist. Eben Lipp. Schon bei den „Grünen“ wollte sie sich „in den Vordergrund spielen“, zitiert das ZDF einen anonymen Lipp-Weggefährten, der nicht vor die Kamera tritt.

Niemand, der Alina aus Deutschland kennt, wollte mit Namen genannt werden und vor der Kamera sprechen, heißt es im ZDF-Film. Das ist schon ein starkes Stück. Da hat man eine „Propagandistin des Kreml“ am Schlafittchen und zahlreihe Zeugen wollen anonym bleiben. Aber, na ja, es ist ja für eine gute Sache, für den Kampf gegen Putin und den Sieg der Ukraine. Also lassen wir „Zeugen“ vor einem Millionen-Publikum ohne Gesicht und Namen zu Wort kommen. Medien als Wächter der Demokratie, das war einmal.

Recherche am Küchentisch

Lipp sei „von ihrem russischen Vater beeinflusst“, behauptet in dem Dreiteiler die „Sozialpsychologin“ Pia Lamberty. Ihre Meinung zu der Bloggerin Alina Lipp ist nichts weiter als eine Recherche am Küchentisch. Eine echte Psychologin würde sich mit Alina Lipp treffen und sich mit ihr unterhalten. Aber die Expertin Lamberty forscht zu „Verschwörungsideologien“ – und da kommt ihr die deutsche Bloggerin gerade ganz gelegen. Lamberty gehört zur Geschäftsführung des Center für Monitoring, Analyse und Strategie.

Zur handwerklichen Arbeit des ZDF stellen sich einige Fragen. Wofür werden die Leute beim ZDF bezahlt? Dass sie fast alle Außenaufnahmen für den Dreiteiler aus YouTube-Videos von Lipp rausschneiden? Warum waren für den Dreiteiler nicht die Kamerateams des teuren ZDF-Studios in Moskau im Einsatz?

Und warum hat man Alina Lipp nicht bei ihrer Arbeit im Donbass begleitet? Warum berichtet das deutsche Fernsehen selbst nicht aus dem Donbass? Warum lässt sie Lipp diese Lücke? ZDF und ARD berichten seit 2014 nicht aus den „Volksrepubliken“ Lugansk und Donezk und nicht von der Krim. Eine Ausnahme waren nur die Wahlen in den „Volksrepubliken“ 2018. Da berichteten Korrespondenten der beiden öffentlich-rechtlichen Kanäle aus Donezk und Lugansk, trotz Krieg, den es damals schon gab. Warum ist heute nicht möglich, was damals möglich war?

Die Abwesenheit von ZDF- und ARD-Korrespondenten auf der russischen Seite der Front begründen die deutschen Fernsehsender damit, dass deutsche Korrespondenten in dem von Russland besetzten Gebiet nicht frei arbeiten können und dass das militärische Risiko für die Journalisten zu groß sei. Aber warum beteiligen sich deutsche Fernsehkorrespondenten nicht wenigstens an den militärisch geschützten Pressetouren des russischen Verteidigungsministeriums? Muss man nicht jede Gelegenheit nutzen, um aus einem Kriegsgebiet zu berichten? Ist es ZDF und ARD nicht unbenommen den Augenschein in Donezk, Lugansk und Simferopol mit eigenen Bemerkungen und Einschätzungen anzureichern? Warum besuchen ZDF und ARD nicht wenigstens die Wohnorte der Flüchtlinge aus der Ukraine in Russland und versuchen dort etwas von der Realität des Krieges einzufangen?

Dass es in einem Kriegsgebiet Beschränkungen gibt, dass die Militärs nicht jeden Korrespondenten an die Front lassen, ist übrigens kein Alleinstellungsmerkmal von Russland. Beschränkungen gibt es auch auf der ukrainischen Seite der Front, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland im April berichtete. Kiew hat an der Front „rote Zonen“ eingerichtet, zu denen Journalisten keinen Zugang haben, heißt es da schwarz auf weiß.

Was ist also der wahre Grund für die Abwesenheit von ZDF und ARD-Korrespondenten auf der russischen Seite des Kriegsgebietes? Der wahre Grund ist, dass man es sich mit den ukrainischen Institutionen nicht verderben will, die jede Reportage westlicher Journalisten von der russischen Seite als „Zusammenarbeit mit dem Aggressor“ diffamieren und westliche Journalisten, die solche Reportagen machen, auf ihre „Feindes“-Liste „Myrotworets“ setzen.

Kriegsberichterstattung aus klinisch weißen Studios

So sah man sich beim ZDF für den Lipp-Dreiteiler gezwungen, über den Krieg auf der russischen Seite der Front mit sorgfältig inszenierten Interviews in klinisch sauberen Räumen zu berichten.

Wie die „Expertinnen“, im ZDF-Dreiteiler in Szene gesetzt wurden, war bezeichnend. Sie wurden in großen, weißen, fast leeren Räumen gefilmt, die das Ambiente einer Villa oder eines edlen Büros haben. Das soll offenbar den Eindruck von neutraler Analyse und fundiertem Wissen vermitteln. Der Kontrast zu Schmutz, Blut und Tränen im Krieg könnte nicht größer sein.

Die „Expertinnen“, die in dem Dreiteiler über Alina Lipp auftreten, sind waschechte Propagandistinnen mit ein und derselben Behauptung: Lipp ist gefährlich, weil sie mit ihrer „Kreml-Propaganda“ auch Schwankende und Unentschlossene erreicht. Diese Personengruppe erreicht der ZDF-Dreiteiler vermutlich nicht, denn er ist zu grob gestrickt und nicht feinfühlig genug.

„Experten“ aus dem Dunstkreis der Nato

Bei den Experten, die im ZDF-Dreiteiler zu Wort kommen, handelt es sich fast ausschließlich um junge Personen, die sich auf Fragen der Sicherheitspolitik spezialisiert haben und zum Dunstkreis der Nato gehören.

Da ist zum Beispiel Julia Smirnowa. Sie arbeitet für das Institute for Strategic Dialogue in London zur Verbreitung von Desinformationen, Verschwörungsmythen und extremistischen Ideologien im Internet. Smirnowa hat den Masterstudiengang „Conflict, Security and Development“ am King’s College London abgeschlossen. Zuvor arbeitete die in Russland aufgewachsene Expertin als Korrespondentin der „Welt“ in Moskau.

Eine weitere Expertin, die vom ZDF als Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Berlin vorgestellt wird, ist Sarah Pagung. Sie ist Expertin zu russischer Außen- und Sicherheitspolitik und sie promoviert derzeit zu russischer Einflussnahme im Ausland.

Das einzig Beruhigende an dem Dreiteiler: Das ZDF opfert 90 Minuten, um die Argumente der deutschen Russland-Freunde in Grund und Boden zu stampfen. Offenbar sind diese Argumente zu einem Hindernis der Bundesregierung geworden.

veröffentlicht in: Overton-Magazin

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