Putin ernennt zweiten Kronprinzen
Ex-Verteidigungsminister Sergej Iwanow gilt als weiterer Kandidat für die Präsidentschaftswahl.
Wenn Sergej Iwanow auftritt, wirkt er so steif, als habe er einen Stock verschluckt. Sein Lächeln ist nicht gewinnend, eher listig. Doch überheblich ist der Mann, den Putin zum „ersten stellvertretenden Ministerpräsidenten“ befördert und vom Amt des Verteidigungsministers befreit hat, nicht. Das macht wohl die Schule für Aufklärer, die Iwanow in den 70er Jahren absolvierte.
Der 54-Jährige fixiert seine Gesprächspartner sehr aufmerksam. Dabei scheint er Informationen in verschiedene Schubladen zu packen, so wie damals in den 80er Jahren, als er für die sowjetische Spionage in Finnland, Großbritannien und Kenia arbeitete.Anstatt sich mit den Problemen der russischen Armee herumzuschlagen, bekommt der ehemalige Verteidigungsminister von Putin nun die Möglichkeit, sich für die Präsidentschaftswahlen 2008 in ein günstiges Licht zu setzen.Iwanow kommt aus einer Familie von Militärangehörigen. Als Putin ihn Ende 2001 zum Verteidigungsminister berief, war das für den Geheimdienstmann eine echte Herausforderung. An den rauen Ton in der Armee und die immense Aufgabenlast musste er sich erst gewöhnen. Mehrmals beklagte Iwanow Überlastung. An dem langen Tisch des russischen Regierungskabinetts sitzen sich nun die beiden möglichen Putin-Nachfolger, Sergej Iwanow und Dmitri Medwedjew, direkt gegenüber. Beide sind nun „erster stellvertretender Ministerpräsident“ und somit ranggleich. Der Professoren-Sohn und Jurist Medwedjew ist das Gegenteil von Iwanow. Er wirkt gewandt, gibt sich liberal und hört sich gerne die Sorgen der einfachen Leute an.
Iwanow war immer an Putins Seite. Während seiner Ausbildung beim KGB und der Tätigkeit für die Auslandsaufklärung kreuzten sich die Wege von Iwanow und Putin mehrmals. Als der Kreml-Chef 1998 den Inlandsgeheimdienst FSB leitete, war Iwanow sein Stellvertreter. Dass Putin seinen langjährigen Vertrauten gerade jetzt befördert, hängt offenbar auch mit der Rede zusammen, die Putin in München hielt. Auf der internationalen Sicherheitskonferenz hatte er die Sicherheit als oberste Priorität bezeichnet. Darum sei der Kurs von Iwanow jetzt gestiegen, erklärte der Kreml-nahe Polit-Technologe Gleb Pawlowski.
Vor Armeeskandalen schützen
Dem Westen gegenüber ist Iwanow höchst misstrauisch. Die geplante amerikanische Raketenabwehr in Osteuropa kritisierte er mit scharfen Worten. Iwanow gefällt sich in der Rolle des Prellbocks gegenüber den USA. Unter Verteidigungsminister Iwanow wurden Milliarden-Rüstungsaufträge mit Indien abgewickelt. Auch das erste russisch-chinesische Manöver, bei dem eine Luftlandeoperation gegen Separatisten geübt wurde, fand unter der Ägide Iwanow statt.
Mit der Amtsbeförderung möchte Putin nun – ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen – seinen Vertrauten Iwanow von Alltagssorgen befreien und vor Armee-Skandalen schützen. Iwanow soll sich weiter um die Rüstungsindustrie kümmern. Zusätzlich gehört jetzt auch die „Erneuerung“ der russischen Industrie zu seinem Aufgabenbereich. Putin lobte Iwanow für das bisher Geleistete. Die russische Rüstungsindustrie habe im letzten Jahr ein Export-Rekordergebnis von sechs Milliarden Dollar eingefahren.
Verkehrsunfall mit Folgen
Bei den immer wiederkehrenden Armee-Skandalen hatte der ehemalige Verteidigungsminister oft eine mehr als peinliche Figur abgegeben. Als Fernsehreporter ihn im Januar 2006 auf den Rekruten Andrej Sytschow ansprachen – dem Wehrpflichtigen, dem nach Quälereien durch andere Soldaten beide Beine und die Geschlechtsteile amputiert werden mussten – erklärte Iwanow: „Ich glaube, dass es dort nichts Ernstes gibt. Andernfalls hätte ich auf jeden Fall davon gehört.“
Iwanow hängt noch eine andere Geschichte an. Sein Sohn Aleksandr hatte im Mai 2005 eine alte Frau überfahren, die Zeugenaussagen zufolge bei Grün über einen Zebrastreifen ging. Die Frau starb, Iwanows Sohn wurde freigesprochen. Die Fernsehjournalistin Olga Romanowa, die über den Fall beim russischen Kanal Ren TV berichtete, wurde entlassen.
Sächsische Zeitung
Kommentar
Scheinwahl
Von Ulrich Heyden über Putins Demokratie-Inszenierung
In Russland läuft scheinbar alles völlig demokratisch. Es gibt zwei mögliche Kandidaten für die Putin-Nachfolge 2008, es gibt zwei Parteien, „Einiges Russland“ und „Gerechtes Russland“, die sich anlässlich der Parlamentswahlen im Dezember um das Wahlvolk in der politischen Mitte und im linken Spektrum kümmern und es gibt, wie Putin auf einem Verlegerkongress erklärte, mit 1500 Zeitungen eine wirkliche Pressevielfalt. Doch die Bürger in Russland wissen, dass diese „Vielfalt“ vom Kreml inszeniert wurde. Putin-kritische Kandidaten kommen im Fernsehen so gut wie nicht zur Wort.
Und obwohl alle wissen, dass es nur eine inszenierte Vielfalt ist, werden die Bürger wohl auch bei der Präsidentschaftswahl 2008 dem Mann die Stimme geben, den Putin als Nachfolger auswählt, einfach deshalb, weil der Kurs des amtierenden Kreml-Chefs gegenüber den Jelzin-Jahren eine gewisse soziale Stabilität verspricht. Dass für dauerhafte Stabilität auch freier Meinungsaustausch und eine Offenheit gegenüber dem Westen nötig ist, davon spricht bisher nur die zahlenmäßig kleine russische Opposition.
Sächsische Zeitung