7. October 2012

Putin regiert wie ein Monarch

Das Geheimrezept des russischen Präsidenten ist eine gut durchdachte Mischung aus Härte, patriarchaler Fürsorge und gepfefferten Sprüchen.

Von Ulrich Heyden, MZ

Moskau. Wladimir Putin feierte seinen 60. Geburtstag im engsten Kreis von Familie und Freunden in seiner Heimatstadt St. Petersburg. Ob es davon Bilder geben wird, ist ungewiss. Doch der russische Fernseh-Kanal NTW hat dem Geburtstag des Kreml-Chefs eine dreistündige Abend-Show mit einem Putin-Interview und Bildern vom Leben des Präsidenten außerhalb des Kreml gewidmet. Man sieht Russlands Fast-Monarchen im Sportsaal, im Schwimmbad und in der Präsidenten-Limousine.

Im NTW-Interview gibt sich der Präsident gegenüber der Protestbewegung versöhnlich. Angesprochen auf den Blogger und Anti-Korruptions-Kämpfer Aleksej Nawalni meint Putin, „wenn ein Mensch danach strebt etwas zu führen, soll er das tun, um zu zeigen, was er kann.“

Die Teilnehmerzahlen an den Demonstrationen der Protestbewegung gehen nach Putins Amtsantritt im Mai deutlich zurück. Putin setzt gegenüber der Protestbewegung auf eine Doppelstrategie. Einige bekannte Vertreter werden von den staatlichen Medien in die Ecke der vom Ausland bezahlten gerückt. Bei diesen will man strafrechtlich vorgehen. Für die große Masse der Unzufriedenen findet Putin dagegen versöhnliche Worte. Auf einer Pressekonferenz wurde der Kreml-Chef gefragt, warum, als er mit den Störchen im Motorsegler flog, nicht alle Vögel folgten. Das sei „Schuld des Piloten“, der „zu schnell beschleunigt“ habe, konterte Putin reumütig. Und in Anspielung auf die Bürger, die ihn nicht wählten und demonstrieren gehen, meinte der Kreml-Chef, die Vögel, die ihr eigenes Nest bauen, seien so oder so „Mitglieder unserer Population“. Man müsse sie „vorsichtig behandeln“.

Putin wurde im März mit 63 Prozent der Stimmen zum Präsidenten wiedergewählt und könnte Russland theoretisch noch zwei Amtszeiten bis 2020 regieren. Mit der russischen Protestbewegung für „ehrliche Wahlen“, die im vergangenen Winter bis zu 100.000 Menschen auf die Straße brachte, ist für Putin ein ernster Gegner entstanden. Deshalb arbeiten die staatlichen Fernsehkanäle auf Hochtouren und produzieren immer neue Enthüllungsfilme über die angebliche Finanzierung der Protestbewegung durch das westliche Ausland.

1999 schien Putin den Russen wie ein Retter

Was ist sein Erfolgrezept? Putin ist kein abgehobener Intellektueller. Er wurde 1952 in einer Arbeiterfamilie geboren, musste sich in einem Hinterhof von St. Petersburg auch schon mal der Faust durchsetzen. Die Karriere wurde ihm nicht in die Wiege gelegt. Die Karriere im Geheimdienst, die er dann einschlug und die ihn bis nach Dresden brachte, schien ihm patriotisch und ehrenhaft.

Trotz allem Macho-Gehabe: Putin ist kein Protzer. Unternehmer, die sich mit Putin gut stellen, wie Roman Abramowitsch, machen gute Geschäfte, können sich sogar Villen in London kaufen. Doch der Kreml-Chef selbst präsentiert sich als sauber und tadellos. Die Villen die ihm die Opposition zuschreibt, seien Staats-Villen, kontern die Kreml-nahen Medien.

Wer verstehen will, warum Putin sich so lange an der Macht hält, muss nochmal in das Jahr 1999 zurückgehen. Damals erschien Putin, der Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB war, den meisten Russen wie ein Retter. Denn Russland befand sich in einer Staatskrise. Das Land hatte gerade mal wieder einen Rubel-Crash überstanden. Doch die Ministerpräsidenten wechselten ständig und in Tschetschenien und Dagestan eskalierten die Kämpfe mit Separatisten. Da kam der damals fast unbekannte Putin wie gerufen. Das Volk jubelte ihm auch zu, als er versprach, die tschetschenischen Terroristen, die angeblich Wohnhäuser gesprengt hatten, bis auf Klo zu verfolgen und dort „zu ertränken“.

Seitdem wurden zwar die Möglichkeiten für kritischen Journalismus massiv eingeschränkt, die Korruption begleitet das Leben der Russen auf Schritt und Tritt, kleine und mittlere Geschäftsleute haben es deutlich schwerer als die Großunternehmen doch was den Lebensstandard betrifft, hat sich für viele Russen etwas verbessert. Von einer Auslandsreise, einem schicken West-Auto und einer Renovierung der Wohnung nach „Europa-Standard“ konnten die Russen in den 1990er Jahren nur träumen. Heute ist das für viele Großstädter eine Selbstverständlichkeit.

Putin regiert wie ein Monarch indem er zeigt, dass er sich um die Sorgen und Nöte aller Bevölkerungsschichten kümmert. Patriotische Russen beeindruckt er als Copilot in einem Kampfflieger oder als Jäger mit der Flinte in der sibirischen Taiga. Die Mittelschicht versucht er mit Medien-Auftritten als aufgeklärter Freizeitmensch zu beeindrucken, beim Amphoren-Tauch im Schwarzen Meer oder beim Singen des Evergreens „Blueberry Hill“ auf einem Wohltätigkeitsball in St. Petersburg.

Putin inszeniert sich äußerst geschickt

Auch in Russland reduziert der Staat seine sozialen Verpflichtungen. Das Privileg aus der Sowjetzeit, kostenlose Schulbildung und medizinische Versorgung, existiert nur noch eingeschränkt. Der Graben zwischen Arm und Reich wird auch in Russland immer größer. Doch Putins Medienauftritte suggerieren das Gegenteil. Immer wieder zeigt sich der Präsident bei der Einweihung neuer Auto-Fabriken - selbst wenn dort ausländische Autos produziert werden - Krankenhäusern oder neuen Offiziers-Wohnheimen. Die Menschen in Russland sollen sehen, dass er sich um sie sorgt und ihre sozialen Nöte kennt.

Putin versteht es außerdem die verschiedenen Interessengruppen in der Wirtschafts-Elite und den Sicherheitsapparaten in sein Macht-Korsett zu zwingen. Wer dem Kreml treu ergeben ist, dem lässt man seine Villa und seine Auslandskonten. Wer aber mit der Protestbewegung zusammenarbeitet oder wie der Milliardär Alexander Lebedew die Kreml-Kritische Novaya Gazeta finanziert, bekommt mit ständigen Kontrollen seiner Unternehmen zu spüren, dass es besser ist, sich an die von Putin vorgegebenen Spielregeln zu halten. Dem Sprecher der Protestbewegung und Duma-Abgeordneten Gennadi Gudkow wurde vor kurzem wegen angeblicher Nebentätigkeit in privaten Sicherheitsfirmen das Duma-Mandat entzogen. Der ehemals reichste Russe und Chef des Öl-Unternehmens Yukos, Michail Chodorkowski, der Oppositionsparteien finanzierte, sitzt seit 2003 wegen Steuerhinterziehung im Arbeitslager. Mit der harten Bestrafung für Chodorkowski sammelte Putin auch bei den Russen Pluspunkte, die über die wilde Privatisierung von Staatseigentum in den 1990er Jahren sauer waren.

Die Zeiten für Putin werden schwieriger. Weil sich das russische Staats-Budget immer noch vorwiegend vom Rohstoff-Export finanziert und damit extrem abhängig von äußeren Wirtschaftskrisen ist, könnten sich die sozialen Probleme in Russland bei einer Ausweitung der Euro-Krise vergrößern. Ob die von Putin geplante Bildung einer Eurasischen Union dann noch Abhilfe schaffen kann, ist unwahrscheinlich.

Für Putin bleibt zudem ein ganz menschliches Problem: Er muss mit seiner Machtfülle überall und dauernd präsent sein. Ob er dieses Tempo bis zum 68ten Lebensjahr durchhält, ist eher unwahrscheinlich. Doch auch für diesen Fall gäbe es eine Lösung: Der 13 Jahre jüngere ex-Präsident Dmitri Medwedew oder eine andere noch nicht bekannte Person aus der politischen Elite könnte den Kreml-Chef in drei Jahren ablösen. Putin würde dann - wie zwischen 2008 und 2012 - aus dem Hintergrund die Fäden ziehen.

veröffentlicht in: Mittelbayerische Zeitung

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