Putin will in Russland wieder Helden der Arbeit sehen
Von SZ-Korrespondent Ulrich Heyden, Moskau
In seiner ersten Rede an die Nation ruft der Präsident zu neuem Enthusiasmus auf. Doch das Land hat ganz andere Probleme.
Warten Sie mit dem Klatschen. Vielleicht gefällt Ihnen nicht alles“, sagte Wladimir Putin gestern zu den Abgeordneten der beiden russischen Parlamentskammern, den Spitzenbeamten und Personen des öffentlichen Lebens. Diese wollten im Georgi-Saal des Kreml gerade zu einem erneuten Applaus für die Rede des russischen Präsidenten ansetzen.
Minister, Spitzenbeamte und ihre nächsten Verwandten müssten in Zukunft die Immobilien deklarieren, welche sie im Ausland besitzen, erklärte Putin. Auch müsste angegeben werden, woher die finanziellen Mittel für den Kauf einer Immobilie kommen. Werden sich die russischen Spitzenbeamten mit dieser neuen Regelung anfreunden oder werden sie neue Schlupflöcher suchen, um nicht legal verdientes Geld in Europa anzulegen?
Warnung an die Protestler
Nicht nur russische Geschäftsleute, auch Spitzenbeamte und Minister haben sich in den letzten Jahren größere Villen in Europa gekauft. Und die Kampagnen des Kremls, die ausufernde Korruption im Staatsapparat zu stoppen, sind nur von mäßigem Erfolg. Seit zwei Monaten läuft in Moskau nun eine neue Anti-Korruptions-Kampagne. Mitarbeitern des Verteidigungs-Ministeriums wird die Veruntreuung von 100 Millionen Euro zur Last gelegt. Der Kreml-nahe Fernsehkanal Rossija-1 wirft der ehemaligen Landwirtschaftsministerin Jelena Skrynnik sogar die Veruntreuung von 975 Millionen Euro vor.
Dass die Ex-Ministerin eine Villa in Frankreich besitzt, wurde vom Fernsehkanal ebenfalls berichtet. Mit seiner Rede, die trotz Putins Rückenproblemen länger dauerte als geplant, machte der Kreml-Chef klar, dass er der russischen Protestbewegung, die am Sonnabend zu einer erneuten Demonstration in Moskau aufgerufen hat, das Thema Beamten-Korruption nicht überlassen will.
Kritik müsse „konstruktiv“ sein, erklärte Putin gestern auf einer Versammlung mit seinen Vertrauensleuten aus den Regionen. „Der überwältigende Teil der Bürger will keine Revolution, sondern viel Veränderungen zum Besseren, und das je schneller je besser“, so der Kreml-Chef.
Kampf um die Köpfe
In seiner gestrigen Rede kündigte der russische Präsident noch ein weiteres Zugeständnis an. Das gemischte Wahlsystem mit Partei-Listen und Direktkandidaten soll wieder eingeführt werden. Dadurch werde das „politische System Russlands noch offener“, erklärte der Präsident. Putin selbst hatte das gemischte Wahlsystem vor sieben Jahren zugunsten von reinen Partei-Listen abgeschafft.
Ein weiteres Schwerpunkt-Thema in Putins gestriger Rede war die Industrie- und Technologie-Politik. Wenn Russland nicht von anderen Ländern abhängig werden wolle, müsse es auf dem Gebiet der Technologie-Entwicklung vorankommen. Nur die Länder, die in der Lage seien ein „intellektuelles Produkt“ zu entwickeln, gehörten zu den reichen Ländern, erklärte der Kreml-Chef. Mit günstigen Krediten will Putin der russischen Industrie helfen. Der Kreml-Chef hatte sich bereits auf der Versammlung mit seinen persönlichen Vertrauensleuten dafür ausgesprochen, den Titel „Held der Arbeit“ wieder einzuführen. Der Titel soll allerdings nach neuen Kriterien vergeben werden. Wichtig seien nicht mehr die geleisteten Arbeitsjahre, sondern der „Beitrag zur Entwicklung Russlands“. Die Entwicklung der russischen Industrie ist zurzeit das große Thema in russischen Wirtschaftskreisen. „Ohne eine neue Industrialisierung stirbt das Land – An die Werkbänke!“, hatte das angesehene russische Wirtschaftsmagazin „Expert“ vor Kurzem getitelt und unschöne Fakten präsentiert. Danach befindet sich Russland bei der Mehrwertschöpfung in der verarbeitenden Industrie auf dem Stand der Türkei und Thailand.
veröffentlicht in: Sächsische Zeitung