Reich werden in Russland
Manche bunkern ein Vermögen auf Zypern, die meisten aber darben: In Russland geht die Einkommensschere weit auseinander
Würde man in Russland eine Abstimmung über die Begrenzung der Manager-Gehälter durchführen, wie in der Schweiz, wäre eine Zustimmungsrate von 99 Prozent sicher, meint der russische Politologe Georgi Bowt. Die Gehälter der russischen Manager sind irreal hoch, meint Bowt, die Leistungen dieser Spitzenkräfte jedoch oft mäßig.
Dem ehemaligen Generaldirektor von Norilski Nickel, Wladimir Strschalkowski, wurde eine Abfindung von 100 Millionen Dollar gezahlt, eine selbst nach westlichen Maßstäben „unvorstellbare Summe“, so der Politologe. 2012 stieg die Bezahlung der Manager von Norilski Nickel um das 1,9-Fache auf vier Millionen Euro pro Person. Womit diese Gehaltssteigerung begründet wurde, ist unklar. Denn in der gleichen Zeit fielen die Aktien und die Löhne der Mitarbeiter. Teile des Unternehmens sind aus steuerlichen Gründen auf Zypern registriert.
Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2012 lag der Durchschnittslohn in Russland bei 641 Euro und die Durchschnitts-Rente bei 225 Euro. Nur 13 Prozent der Russen verdienen nach Angaben des russischen Statistikamtes über 880 Euro. Die exakte Lohnsumme zu ermitteln ist schwer, denn immer noch gibt es Angestellte, die einen Teil des Gehalts im Briefumschlag erhalten.
In Moskau und St. Petersburg entwickelt sich immer stärker ein zweigleisiges Bildungs- und Gesundheits-System. Für Gutverdiener gibt es kommerziell betriebene Schulen und Kliniken. Die staatlichen Sozial-Einrichtungen für die Normal- und Gering-Verdiener bieten nur einen Minimal-Standard.
Egal ob arm oder reich, die Korruption erfasst alle Lebensbereiche. Wenn die Spitzenbeamten sich bestechen lassen, dann dürfen wir auch etwas schwarz dazuverdienen, sagen sich die einfachen Leute. Dass Polizisten gegen ein kleines Bestechungsgeld (wsjatka) Verkehrsverstöße nicht protokollieren, hat den Rang eines Kavaliersdeliktes. Größere Bestechungsgelder wandern allerdings nicht direkt von Hand zu Hand , sondern werden über Scheinfirmen übermittelt.
Die russischen Milliardäre besetzten heute die vordersten Plätze in der Forbes-Reichen-Liste. In den 1990er-Jahren hießen die Leute, die sich mit dem Handel von Computern, Jeans und West-Klamotten ihr erstes Kapital anhäuften, „neue Russen“. Meist waren es gut ausgebildete Sprösslinge aus Funktionärs-Familien, die sich über ihre guten Beziehungen in die Beamtenschaft und Tricks die Staatsbetriebe aneigneten. Als die Erfolgreichen dann auch nach politischer Macht griffen, Parteien und Fernsehkanäle sponserten, nannte man sie Oligarchen. Einige der Oligarchen, die sich dem von Putin vorgegebenen national-russischen Kurs widersetzten, wurden mit Steuerverfahren in die Enge getrieben. Heute kann in Russland nur jemand Geschäfte machen, der sich an die Vorgaben des Kreml hält.
veröffentlicht in: Südkurier