Rochade auf dem Tandem der Macht
Mit ihrem Ämtertausch begraben Putin und Medwedew die Hoffnung auf Demokratisierung. Der Show-Parteitag entpuppt sich als Krönungsmesse.
Von Ulrich heyden, MZ Moskau. Es war die größte politische Show, die das neue Russland je erlebt hat. 11000 Menschen, Parteitags-Delegierte, Journalisten und Gäste hatten sich im Moskauer Sportstadion Luschniki zum Wahl-Kongress der Kreml-nahen Partei „Einiges Russland“ versammelt. Als Präsident Dmitri Medwedew seinen Vorgänger, Wladimir Putin, als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen im März vorschlug, brandeten Ovationen auf.
Putin erklärte, dass man ihn zur Wahl vorschlage, sei „eine große Ehre.“ Dann rief er dazu auf bei den Duma-Wahlen die Partei „Einiges Russland“ mit Spitzenkandidat Dmitri Medwedew zu wählen. Nach der Duma-Wahl solle Medwedew dann die Leitung der Regierung übernehmen.
Die politischen „Notwendigkeiten“
Endlich war die Katze aus dem Sack. Über ein Jahr lang hatten Putin und Medwedew der Öffentlichkeit eine klare Aussage über ihre Zukunftspläne verweigert. Medwedew erklärte, er habe den Ämtertausch mit Putin schon seit Langem vereinbart. Wegen politischer Notwendigkeiten gebe man die Vereinbarung aber erst jetzt bekannt. Medwedew wirkte entspannt. Die Situation war außergewöhnlich. Wo sieht man schon einen lächelnden Präsidenten, der sein Amt ohne Not einem Anderen übergibt? Dass Putin im März zum neuen Präsidenten von Russland gewählt wird, erscheint in diesem von Putin und Medwedew sorgfältig geplanten Vorgehen nur noch als Formalie.
Nach der russischen Verfassung könnte Putin zwei Amtszeiten das Präsidenten-Amt ausüben. Dann könnte theoretisch wieder Medwedew zum Zug kommen.
Nach westlichem Demokratieverständnis wirkt das, was da in Moskau passierte, wie ein schlechtes Schauspiel. In Russland wundert sich aber kaum jemand. Ein Proteststurm blieb aus. Nur auf dem Parteitag der oppositionellen Partei von Boris Nemzow gab es harte Worte. Der Liberale Nemzow, der unter Boris Jelzin Vizepremier war, ist sich sicher, dass es unter enem Präsidenten Putin „zu Kapitalflucht, dem Zerfall des Staates und ausländerfeindlichen Konflikten“ kommt.
Stunk bei Medwedews Beratern
Doch nicht nur bei liberalen Fundamental-Oppositionellen, wie Nemzow, ist die Stimmung schlecht. Medwedews Wirtschaftsberater Arkadi Dworkowitsch schrieb in seinem Twitter-Blog: „Es gibt keinen Grund zur Freude.“ Der Politik-Berater Gleb Palowski, der 1990 Putins Weg zur Macht organisiert hatte und vor kurzem in die Mannschaft von Medwedew wechselte, erklärte, Medwedew habe die verraten, „die an ihn glaubten“.
Der liberale Finanzminister Aleksej Kudrin kündigte gar an, dass er einem Kabinett Medwedew nicht angehören wolle. „Ich werde natürlich ablehnen“, erklärte der Finanzminister, der seit Putins Machtantritt im Jahre 2000 das Finanzministerium leitet und es geschafft hatte, den russischen Haushalt vor der internationalen Finanzkrise 2008 ins Plus zu bringen.
Seine Absage an eine zukünftige Mitarbeit in einem Kabinett Medwedew begründete der Finanzminister mit Meinungsverschiedenheiten im Bereich der Wirtschaftspolitik und insbesondere wegen des hohen Defizits in der Rentenkasse und den steigenden Ausgaben für das Militär. Nach den Plänen der russischen Regierung sollen die Ausgaben für das Militär bis 2014 um drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Allein diese Steigerung entspreche den gesamten Ausgaben für den Bildungsbereich, erklärte Kudrin, der sich immer für eine strikte Haushaltsdisziplin eingesetzt hatte. Mit der jetzigen Prioritätensetzung der russischen Regierung werde die Rohstoff-Abhängigkeit Russlands erhalten bleiben.
Viele Russen werden die jetzige Lösung des Tandems Putin/Medwedew nur mit einem Magengrummeln hinnehmen. Denn die beiden Politiker haben die Russen enttäuscht, die auf eine zügige Verbesserung der Lebensverhältnisse und ein effektives Vorgehen gegen die Korruption hofften. Doch die russischen Liberalen sind wegen ihrer Politik in den wilden 1990er Jahren, als große Teile der Bevölkerung verarmten, immer noch keine politische Alternative für die Mehrheit der Bevölkerung. Dass Demokratie auch Wohlstand für breite Bevölkerungskreise bedeuten kann, dass konnte bisher kein Politiker in Russland praktisch zeigen. So erscheint vielen Russen das Macht-Tandem Putin/Medwedew notgedrungen als einzige Lösung.
Die Umfragewerte der Kreml-nahen Partei Einiges Russland waren in den vergangenen Monaten stark abgesackt. Nach einer Meinungsumfrage sehen viele Bürger „Einiges Russland“ als „Partei von Dieben und Gaunern“. Um der Kreml-Partei einen neuen Schub zu geben, gründete Putin im Mai eine „Volksfront“.
Ein Abweichler bei 528 Delegierten
Dieser schlossen sich 500 Organisationen an, darunter Verbände von ehemaligen Afghanistan-Soldaten, Frauen-Organisationen, Unternehmer-Vereinigungen und Verbände der Autoliebhaber. Bei dem Parteitag von Einiges Russland bekamen Mitglieder der Volksfront 180 der 600 Kandidaten-Plätze für die Duma-Wahl. Von dieser Auffrischung der Kreml-Partei erhofft sich Putin nun mehr Glaubwürdigkeit für die „Partei der Macht“.
Putin kündigte an, er wolle die hohen Wachstumsraten von sechs bis sieben Prozent, die es vor der internationalen Finanzkrise 2008 gab, wieder erreichen. Zur Zeit gibt es in Russland ein Wachstum von vier Prozent. Putin versprach ein günstiges Investitionsklima und unbürokratische Regelungen bei Unternehmensgründungen. Gleichzeitig erklärte der Premier, die Steuern für reiche Bürger müssten steigen. Man werde die Steuern für Immobilien und anderes Eigentum erhöhen. Das Steuersystem müsse die unterstützen, welche die Wirtschaft modernisieren. Wer nur Rohstoffe verkaufe, müsse mehr Steuern zahlen.
Die Kandidatenliste von „Einiges Russland“ wurde in geheimer Abstimmung verabschiedet. 528 Delegierte stimmten dafür. Es gab eine Gegenstimme. Putin bat die Parteitagsdelegierten, das Wahl-Protokoll zu bestätigen, fragte dann aber: „Wo ist dieser Mensch? Wo ist dieser Dissident? Es wäre besser, er würde sich zeigen.“
veröffentlicht in: Mittelbayrische Zeitung