Alexandr Ginsburg - Leiter der Sputnik-V-Forschergruppe am Moskauer Gamaleja-Institut. Screenshot: Rossija 24
Das Gamaleja-Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie wurde 1891 gegründet. Das Zentrum residiert in einem alten, zweistöckigen Gebäude im neoklassizistischen Stil im Nordwesten von Moskau. Am Eingang des Forschungszentrums hängen Steinreliefs bärtiger russischer Gelehrter, die Bedeutendes auf dem Gebiet der Epidemiologie geleistet haben. Man sieht das Porträt von Nikolai Gamaleja (1859 bis 1949), dem Gründer der russischen Mikrobiologie. Und man sieht den Kopf von Jewgeni Pawlowski (1884 bis 1965). Er entwickelte die Lehre über die natürlichen Reservoire von Krankheitserregern für Menschen. Als solche identifizierte er wildlebende Nagetiere und Vögel. Für seine Forschungen wurde Pawloski 1958 mit der britischen Darwin-Wallace-Medaille ausgezeichnet.
Wladimir Putin, der sich selbst bisher nicht hat impfen lassen, berichtete Anfang August von der Impfung einer seiner beiden Töchter. Nach der ersten Impfung sei die Temperatur der Tochter auf 38 Grad angestiegen. Die Temperatur sei dann auf 37 Grad und schließlich am dritten Tag auf das Normal-Niveau gefallen. Dass es nach der Impfung Begleiterscheinungen gibt, berichtete auch der russische Gesundheitsminister Michael Muraschko. Er erklärte, bei 14 Prozent derjenigen, die sich freiwillig impfen ließen, habe es unangenehme Begleiterscheinungen gegeben, wie Muskelschmerzen, Schwäche und erhöhte Temperatur.
Sputnik V wurde zunächst an Mäusen, Schweinen und Affen getestet. Dann so berichtet die New Yorker Nachrichtenagentur Bloomberg ohne Quellen zu nennen, habe das Gamaleja-Zentrum "hunderten" erkrankten Mitgliedern der russischen Elite eine Impfung angeboten. Die russische Nesawisimaja Gaseta zitierte diese Meldung kommentarlos.
In russischen Medien und von Organisationen im russischen Gesundheitssektor gab es kritische Fragen zu Sputnik V. Die "Assoziation der Organisationen für klinische Forschungen" kritisierte die Registrierung des neuen Impfstoffes Anfang August als "übereilt" und forderte in einem Brief an das Gesundheitsministerium, den neuen Impfstoff nicht eher freizugeben, bis die dritte klinische Testphase abgeschlossen ist.
Das russische Wirtschaftsmagazin Ekspert meinte, die normale Testzeit für neue Medikamente betrage zehn Monate, deshalb sei "unklar, welches Ergebnis man nach einem halben Jahr erwarten kann".
Russische Medien berichten, dass die Menschen der Hygiene-Anweisungen müde sind und Schutzmaßnahmen wie Masken und Handschuhe nur nachlässig oder gar nicht mehr getragen werden. Auch der Autor dieser hat derartige Beobachtungen gemacht.
Bie Bereitschaft zu einer Anti-Corona-Impfung hält sich in der russischen Bevölkerung in Grenzen. Nach einer im August durchgeführten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WZIOM erklärten 42 Prozent der Befragten auf die Frage "Werden wir uns impfen lassen oder nicht?", "Ja, wahrscheinlich". 52 Prozent antworteten: "Nein, wir werden uns nicht impfen lassen."
Die Regierungszeitung "Rossiskaja Gaseta" befragte Aleksander Ginsburg, den Leiter der Arbeitsgruppe, die Sputnik V entwickelt hatte. Ginsburg erklärte, er und seine Mitarbeiter hätten sich bereits impfen lassen. Vom Gesetz her sei das Impfen freiwillig, aber er könne nicht zulassen, dass seine Mitarbeiter sich im Kontakt mit dem Coronavirus infizieren. Die Reporterin fragte, ob der Impfstoff negative Auswirkungen auf die männliche Potenz habe. Der Forscher antwortete mit einem knappen "Nein".
In russischen Medien wird berichtet, dass bei einer massenhaften Impfung zunächst Lehrer und Ärzte geimpft werden sollen. Laut Gesetz sind Impfungen freiwillig. Aber es scheint, dass man bestimmte Berufsgruppen zur Impfung verpflichten will.
Die neuen Impfstoffe kommen gerade zur rechten Zeit. Folgt man den offiziellen Angaben, dann steht Russland in diesen Tagen vor einer neuen Herausforderung. Nachdem die Zahl der Neu-Infizierten im Sommer stark zurückging, werden in ganz Russland seit Anfang Oktober neue Rekord-Zahlen von Corona-Infizierten gemeldet. Vergangene Woche lag die Zahl der Infizierten um 31 Prozent höher als in der Vorwoche. Am Dienstag wurden in ganz Russland 13.868 Neu-Infizierte gemeldet. Seit Beginn der Corona-Krise starben in Russland nach offiziellen Angaben 22.966 Personen an dem Virus.
Um einen erneuten Anstieg der Infektionszahlen zu bremsen, arbeitet ein Teil der Beschäftigten in Moskau - wie schon im Frühjahr - wieder von zuhause. Der Moskauer Bürgermeister hat angeordnet, dass in den Schulen nur die Schüler der Klassen 1 bis 5 unterrichtet werden. Die älteren Schüler sollen über das Internet unterrichtet werden. Menschen über 65 und Menschen mit chronischen Erkrankungen sind aufgerufen, zuhause zu bleiben. Einen Lockdown - wie im Frühjahr - will die russische Regierung möglichst verhindern, ganz ausschließen will sie diese Maßnahme aber nicht. (Ulrich Heyden)
veröffentlicht in: Telepolis