7. October 2009

Russische Kalaschnikow-Fabrik in Not

Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau

Produktpiraten und Gläubiger setzen legendärer Waffenschmiede zu. Die Arbeiter werden mit Mehl und Sonnenblumenöl „bezahlt“.

Moskau - Sie schießt bei sengender Hitze und selbst bei Schlamm und Regen: das „AK 47“ oder „Avtomat Kalaschnikowa“ wie das 1947 von Michail Timofejewitsch Kalaschnikow erfundene Schnellfeuergewehr in Russland genannt wird. Das Gewehr ist unverwüstlich. 80 Armeen auf der ganzen Welt sind mit Schnellfeuergewehren ausgerüstet, die auf der Basis der Kalaschnikow entwickelt wurden.
Das Gewehr diente in seiner Geschichte afrikanischen Freiheitskämpfern ebenso wie Taliban-Terroristen. Michail Kalaschnikow, der sich schon im Schützengraben während des Zweiten Weltkriegs mit Verbesserungen an Geschützen Anerkennung erwarb und noch heute als Berater der russischen Kalaschnikow-Fabrik „Ischmasch“ arbeitet, kann eigentlich stolz sein auf sein Lebenswerk. Selbst wenn das von ihm erfundene Gewehr nicht nur dem Frieden dient, wie er einst hoffte. Doch wenn der Waffen-Erfinder am 10. November in der Kalaschnikow-Fabrik in Russlands Teilrepublik Udmurtien seinen neunzigsten Geburtstag feiert, mischt sich auch ein bitteres Gefühl in den Jahrestag.

„Die Kalaschnikow wird geklont“, meint Ischmasch-Sprecher, Andrej Semtschonok, in einer Mischung aus Betrübnis und Stolz. Da sind zum einen die zahlreichen Patenträuber in Osteuropa, China, im Nahen Osten und in Afrika, welche die Waffe ohne Lizenz herstellen. Dass es in Russland laut Berichten auf der Internetseite „Compromat.ru“ illegale Werkstätten gibt, die aus fabrikneuen Kalaschnikow-Teilen Waffen für Killer und Mafiosis herstellen, gehört ebenso auf die Negativ-Seite.

Finanzkrise reißt Auftragsloch

Jubilar Michail Timofejewitsch betrübt aber noch eine andere Nachricht. Das Unternehmen Ischmasch, welches in verschiedenen Werken Kalaschnikows herstellt, stehe vor dem Bankrott, meldet die internationale Presse. Nach Angaben der Zeitung Kommersant steht Ischmasch gegenüber Finanzbehörden und Kreditgebern mit 17 Millionen Euro in der Kreide. Wegen der Finanzkrise wurden Aufträge storniert, heißt es von Unternehmensseite. Die Kreditgeber werden bereits unruhig. Heute verhandelt ein Schiedsgericht in Udmurtien über die Klage des Geschäftsmannes Andrej Markin, der von Ischmasch die Zahlung von 186 000 Euro fordert. Doch ein Sprecher der russischen Staats-Holding Rostechnologii, zu der auch Ischmasch gehört, erklärte gegenüber der SZ, 186 000 Euro seien nun wahrlich keine Summe, wegen der so eine berühmte Fabrik pleitegehe. „Ein Unternehmen, welches Kalaschnikows für die russische Armee herstellt, wird nie bankrott gehen,“ so der Sprecher. Nicht nur die Kalaschnikow-Fabriken, sondern die gesamte Maschinenbau-Industrie Russlands ist durch die Finanzkrise schwer angeschlagen.

Die Lage des russischen Maschinenbaus sei heute so dramatisch wie Anfang der 1990er-Jahre, als die Sowjetunion zerfiel, erklärte Ischmasch-Generaldirektor, Wladimir Grodezki im staatlichen Fernsehkanal „Westi 24“. Damals warteten Millionen Russen monatelang auf ihre Löhne. Damit sein Unternehmen rentabel arbeitet, müsste der Anteil der Staatsaufträge eigentlich bei 30 Prozent liegen, so Grodezki. Zurzeit liege der Anteil der Staatsaufträge jedoch bei nur fünf Prozent. Wie schwer die Lage für das Unternehmen ist, zeigte sich im Ischmasch-Zweigwerk „Molot“ (Hammer). Dort hatten sich gegenüber den 5000 Arbeitern bis April dieses Jahres Lohnschulden in Höhe von 2,8 Millionen Euro angehäuft. Die Arbeiter wurden anstatt mit Löhnen mit Sonnenblumenöl, Mehl, Nudeln und Zucker „bezahlt“.

Kläger mit Schmuddelimage


Die Bankrottklage des Geschäftsmannes Andrej Markin wirft jedoch nicht nur ein Schlaglicht auf die angespannte Situation in Russlands Maschinenbau, sondern auch auf die in der Region Udmurtien, die zu den Hochburgen der russischen Mafia gehört. Andrej Markin hat nicht den besten Ruf. Der Geschäftsmann, der auch Abgeordneter im Regionalparlament von Udmurtien ist und zu den führenden Köpfen von Wladimir Schirinowskis LDPR (Liberaldemokratische Partei Russlands) gehört, hat nach Presseberichten Konkakte zur Mafia. In der Unterwelt soll Markin unter dem Namen „Markel“ bekannt sein, berichtete die Internetzeitung Utro.

Der Geschäftsmann hat in der Region – wohl nicht immer mit lauteren Mitteln – ein ganzes Imperium von Bau- und Handelsfirmen erobert. Auch im Steuerparadies Zypern soll der Liberaldemokrat Besitztümer haben. Wie verschiedene Internetzeitungen berichten, ist dort Markins Briefkastenfirma Konvi Development Limited registriert. Mit seinem Engagement für die Schirinowski-Partei versucht Markin offenbar, sein Image zu verbessern. Das ist typisch für Geschäftsleute mit Schmuddel-Image. Die LDPR kam in den letzten 15 Jahren immer wieder in die Schlagzeilen, weil kriminelle „Autoritäten“ mit viel Geld in der Partei Unterschlupf suchten, um – ausgestattet mit einem Parlamentssitz – ihre Geschäfte besser schützen zu können.

"Sächsische Zeitung"
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