Russische Neonazis jagen Ausländer
Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau
Es war ein Kampf um Leben und Tod. Der Ghanaer Solomon Attengo Gvadjo schrie aus Leibeskräften und versuchte sich zu befreien. Doch zwei dunkel gekleidete Jugendliche hielten ihn fest und stachen mit Messern auf ihn ein. Das geschah am 25. Dezember 2009 in St. Petersburg. Gegen 21.30 Uhr wurde der Afrikaner mit 40 Stichwunden in ein Krankenhaus eingeliefert. Doch die Verletzungen waren zu schwer. Am nächsten Morgen war Solomon tot.
Inzwischen ist der Überfall auch im Internet zu sehen. Eine rechtsradikale Gruppe mit dem Namen „Nationalsozialismus – Weiße Macht“ (NS-WP) stellte ein Video der Bluttat ins Netz. Unmittelbar nach den Aufnahmen vom Tatort ruft in dem Video ein maskierter Mann vor einer Hakenkreuzfahne den „russischen Widerstand“ zum Handeln gegen das „Okkupations-Regime“ auf. Mit „Okkupations-Regime“ ist der Kreml gemeint.
Am 17. Januar kam es zu einem weiteren Überfall, diesmal in Moskau. Eine Bande von jungen Rechtsradikalen fällt mit Messern über den 20-jährigen Askat N. her, der gerade auf dem Heimweg ist. Die maskierten Messerstecher sind so schnell verschwunden, wie sie gekommen sind. Als ein Krankenwagen eintrifft, ist Askat N. bereits tot.
Opfer rechtsradikaler Überfälle sind meist Studenten aus Afrika oder Arbeiter aus den ehemaligen Sowjetrepubliken im Kaukasus und in Zentralasien.
Weil die russische Staatsanwaltschaft seit Mitte 2008 die Mitglieder mehrerer rechtsradikaler Banden vor Gericht stellte, ist die Zahl der Überfälle inzwischen gesunken. Nach dem Bericht des Moskauer Sova-Analyse-Zentrums gab es in Russland im letzten Jahr 71 Tote und 333 Verletzte durch rechtsradikale Gewalttaten. 2008 waren es noch 110 Tote und 487 Verletzte. Die Zahl der wegen rechtsradikaler Gewalt Verurteilten stieg von 26 (2004) auf 127 (2009).
Seit sechs Jahren dokumentiert das Sova-Analyse-Zentrum rechtsradikale Gewalt in Russland. Finanziert wurde das Zentrum von westlichen Stiftungen, inzwischen aber auch vom Kreml. Die Zahl der Opfer sei zwar gesunken, sagt Galina Koschewnikowa, die Autorin des Berichts, aber die Rechtsradikalen reagierten auf die strafrechtliche Verfolgung nun mit Angriffen auf Vertreter des Staates. Sie hätten im vergangenen Jahr 20 Bomben- und Brandanschläge gegen Wehrämter, Verkehrspolizisten, Polizeiwachen und die Privatwohnungen staatlicher Ermittler verübt. Das Ziel der Rechtsradikalen habe sich geändert, so Galina Koschewnikowa. Man habe begriffen, dass es unrealistisch sei, alle Ausländer aus Russland zu vertreiben. Hauptziel sei nun die „Destabilisierung der politischen Situation“ mit dem Ziel einer „nationalen Revolution“, so Koschewnikowa, die selbst Morddrohungen erhielt.
"Sächsische Zeitung"