13. August 2017

Russische Revolution nur für Auserwählte – Moskauer Politologe darf in Schweiz nicht mitdiskutieren (RT DE)

Screenshot: Boris Kagarlitsky diskutiert mit Video-Blogger Dmitri Putschkow
Foto: Screenshot: Boris Kagarlitsky diskutiert mit Video-Blogger Dmitri Putschkow

Die Angst mit „Kreml-Freunden“ an einem Tisch zu sitzen, treibt in der westlichen Linken merkwürdige Blüten. In der Schweiz fordern Linke die Ausladung eines russischen Politologen von einer Podiumsdiskussion über die Oktoberrevolution.

Ulrich Heyden, Moskau

Wie hältst Du es mit Putin? Wer aus Russland nach Deutschland oder die Schweiz kommt, muss diese Frage früher oder später beantworten. In der linken Szene hängt von der Antwort ab,  wie und wo man aufgenommen wird. Boris Kagarlitsky, ein linker Politologe aus Moskau, muss die Frage, wie er es mit Putin hält jetzt schon beantworten, obwohl er erst im November in die Schweiz fahren will.

Für den 10. November ist der 58jährige russische Politologe nämlich vom  Schweizer Thinktank „Denknetz“ in Bern zu einer Podiumsdiskussion „Sozialismus und Demokratie“ eingeladen. Anlass der Debatte ist der 100te Jahrestag der Oktoberrevolution. Doch nun gibt es in der Schweiz Stimmen, die eine Ausladung des Politologen wegen „Krem-Nähe“ fordern.

Die Stimmen, welche eine Ausladung des Politologen und Chefredakteurs des linken Internetportals Rabkor.ru fordern, wurden von Anna Jikhareva, Redakteurin bei der „Wochenzeitung“ (WOZ) in einem  Artikel  http://www.woz.ch/1731/denknetz-tagung/ein-umstrittener-gast zusammengetragen. Gegenüber der WOZ sagt der Schweizer Historiker Adrian Zimmermann, Kagarlitsky sei das „pseudolinke Sprachrohr des autoritär-nationalkonservativen Putin-Regimes.“ Dan Gallin vom Global Labour Institut erklärt, der russische Politologe vertrete schon „seit zehn Jahren“ Kreml-nahe Positionen. Was das genau für Kreml-nahe Positionen sind und welche linken Positionen Kagarlitzky angeblich aufgegeben hat, sagen die Wissenschaftler nicht.

Da es immer wieder vorkommt, dass Menschen aus Russland sich in Europa rechtfertigen und ihre Kreml-Ferne beweisen müssen, soll am Beispiel des WOZ-Artikels einmal untersucht werden, mit welchen Methoden die Auseinandersetzung mit „verdächtigen Russen“ geführt wird. 

„In großen Teilen der russischen Linken diskreditiert“

Zunächst einmal: Boris Kagarlitzky hat die  WOZ-Autorin Anna Jikhareva für ihren Artikel nicht befragt. Die Autorin begnügte sich damit, aus Texten des russischen Politologen ein paar Worte zu zitieren. Kagarlitzky, der auch Leiter des Instituts zu Globalisierung und sozialen Bewegungen ist, habe die selbsternannten  „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk als „perfekte Verkörperung der revolutionären Ordnung“ und den Maidan als „faschistisch“ bezeichnet, schreibt WOZ-Autorin Jikhareva. Doch die aus dem Zusammenhang gerissenen Worte taugen nicht als Beweis. 

Kagarlitsky hatte zwar 2014 die Hoffnung geäußert, dass sich in den „Volksrepubliken“ ein links-patriotisches Projekt entwickelt, getragen von Bergarbeitern und Freiwilligen aus Russland und Europa, ähnlich wie im Spanischen Bürgerkrieg. Dass es 2014 in den Volksrepubliken eine anti-oligarchische Stimmung und die Forderung nach Enteignung gab, ist für Leute, die sich mit der Entwicklung im Donbass beschäftigt haben, eine unbestreitbare Tatsache. Dass der Kreml seit dem Spätsommer 2014 den sozialrevolutionären Impuls in den Volksrepubliken gestoppt hat, ist von Kagarlitsky mehrfach beschrieben worden, doch die WOZ-Autorin verschweigt es.

Jikhareva schreibt, Kagarlitsky sei wegen Kreml-naher Positionen „bei großen Teilen der russischen Linken diskreditiert“. Wenn die WOZ-Autorin mit „großen Teilen der russischen Linken“ kleine trotzkistische und anarchistische Gruppen in Russland meint, die zusammen nicht mehr als 500 Mitglieder haben, mag das stimmen. Aber sind diese Kleinst-Gruppen „die russische Linke“? Was ist mit den Mitgliedern und dem Umfeld von KPRF und Gerechtes Russland, was ist mit zahlreichen Sozial-Initiativen und unabhängigen Gewerkschaften KTR und MPRA? Diese Gruppen und Organisationen, für die linke Positionen und Patriotismus kein Wiederspruch sind, hat die  WOZ-Autorin  offenbar nicht im Sinn, wenn sie von „der russischen Linken“ spricht.

Kagarlitsky saß einmal in einer Kneipe. Da zückte Jemand einen Fotoapparat

Was ist nun mit dem seit einigen Jahren durchs Internet geisterndem Vorwurf, Kagarlitsky arbeite mit russischen Nationalisten zusammen? Nach meinen Recherchen gab es zwischen dem russischen Politologen und russischen Nationalisten nur zufällige Kontakte, wie sie im politischen Leben in Russland unvermeidbar sind. Sobald man in Russland an öffentlichen Debatten teilnimmt, ist eine physische Nähe zu Nationalisten meist nicht vermeidbar.

Vor einigen Jahren trat Kagarlitsky spontan mit einem kritischen Redebeitrag auf einer Veranstaltung auf. An der Veranstaltung beteiligte sich auch der ultranationalistische Eurasier Aleksandr Dugin. Ist das ein Beweis für Zusammenarbeit mit Nationalisten?

Im Juni 2014 gab es eine Veranstaltung in Moskau mit einem Vertreter der selbsternannten Volksrepubliken. Nach der Veranstaltung saßen die Teilnehmer unterschiedler politischer Strömungen in einer Kneipe. Kagarlitsky saß nicht weit von dem Ultranationalisten Konstantin Krylow entfernt. Krylow fordert eine Visapflicht für Arbeitsmigranten aus Zentralasien und die Einstellung der finanziellen Hilfen für die nordkaukasischen Republiken Tschetschenien und Dagestan. Irgendjemand fotografierte die Kneipenrunde. Und nun muss das Foto als „Beweis“ dafür herhalten, dass der russische Politologe die Zusammenarbeit mit Nationalisten sucht.

Können Fotos überhaupt als Beweise herhalten? Erinnert so ein Vorgehen nicht an die Stalin-Zeit, als zufällige Begegnungen mit Ausländern oder sogenannten „Abweichlern“ und Trotzkisten als Beweis für „Staatsfeindlichkeit“ ausreichten, als verurteilte Oppositionelle aus Fotos rausretuschiert wurden, weil sie zu „Volksfeinden“ erklärt worden waren?

Es gibt kein einziges Zitat aus den Texten und Videos von Kagarlitsky, in dem dieser sich für ein Bündnis mit russischen Nationalisten ausspricht.

Dass sich der russische Politologe jedoch für Bündnisse mit russischen Patrioten aussprach, um die selbsternannten Volksrepubliken zu unterstützen, ist  meiner Meinung nach allein schon aus humanitären Gründen verständlich. Die ukrainische Regierung hat gegen die „Volksrepubliken“ und die Krim eine Wirtschaftsblockade verhängt. Und die Menschen in den „Volksrepubliken“ werden von der ukrainischen Armee täglich beschossen.

Kagarlitsky rechtfertigt die Vereinigung der Krim mit Russland. Der Politologe begründet seine Position damit, dass die Bevölkerung auf der Krim in einem Referendum für die Vereinigung mit Russland gestimmt hat. Doch das Referendum auf der Krim zählt für viele westliche Linke nicht, da es angeblich  „unter Zwang“ abgehalten wurde. Wer auf die Krim fährt und sich mit den Menschen unterhält, wird aber erfahren, dass die Mehrheit der Menschen auf der Halbinsel seit 1991 auf eine Vereinigung mit Russland hofften. Also vielleicht mal auf die Krim fahren und dort die Stimmung erkunden?

Wenn Moskauer Liberale mit Rechten Bündnisse schmieden

Mit welcher Verbissenheit einige  westliche Linker angebliche „Kreml-Freunde“ enttarnen, ist schon  merkwürdig.  Man wünschte sich, dass diese Verbissenheit auch an den Tag gelegt wird, wenn Moskauer Liberale mit Ultranationalisten gemeinsame Sache machen. So geschehen auf den Großkundgebungen gegen Wahlfälschungen 2011/12 in Moskau. Da standen bekannte Sprecher der russischen Liberalen und liberale Schriftsteller auf der Rednertribüne einträchtig zusammen mit Nationalisten Ultranationalisten, wie  Aleksej Navalni und Konstantin Krylow.  

Nein, über die Zusammenarbeit von Moskauer Liberalen mit russischen Nationalisten während der Protestbewegung 2011/12 hat sich im Westen niemand aufgeregt. Kein Moskauer Liberaler wurde deshalb von Veranstaltungen in Europa ausgeladen. Warum nicht? Weil es 2011 ja um eine "gute Sache" ging. Der Sturz von Wladimir Putin schien greifbar nahe. Und da hat man bei Rechtspopulisten wie Aleksej Nawalny und Konstantin Krylow ein Auge zugedrückt. Genauso wie man ein Auge zugedrückt hat, als im Februar 2014 - mit ukrainischen Ultranationalisten als Stoßtrupp - ein Staatsstreich in Kiew durchgeführt wurde.

 Zurück zur Oktoberrevolution. Wer wissen will, wie diese Revolution heute von russischen Linken beurteilt wird, sollte zu Veranstaltungen russische Linke einladen. Wer „verdächtige Russen“ vorher schnell noch aussortieren will, sollte das dem Publikum nicht verschweigen und auf den Veranstaltungs-Flyer drucken: „Frei von Kreml-Einfluss“. 

Veröffentlicht in: RT deutsch

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