WlasoW (links) und General Shilenkow (Mitte) mit Joseph Goebbels im Februar 1945. Bild: Bundesarchiv, Bild 183-H27774/CC-BY-SA-4.0
An dem Krieg gegen die Rote Armee habe sich während des Zweiten Weltkrieges auch die "Russische Befreiungsarmee" (ROA) unter General Andrej Wlasow beteiligt, so der Schriftsteller. Bykow kündigte an, demnächst eine Biographie über General Wlasow zu schreiben.
Wlasow war Kommandeur der 2. Sowjetischen Stoßarmee. Am 1. Juli 1942 geriet er in deutsche Gefangenschaft, wo er sich zur Zusammenarbeit mit der deutschen Armee bereit erklärte. Am 3. März 1943 verfasste Wlasow einen Offenen Brief unter der Überschrift "Warum ich den Weg des Kampfes gegen den Bolschewismus eingeschlagen habe".
Wlasow leitete die 130.000 Mann-starke "Russische Befreiungsarmee" (ROA) und war Leiter des Komitees zur "Befreiung der Völker Russlands". 1946 wurde er von einem sowjetischen Gericht wegen Landesverrat zum Tod durch den Strang verurteilt.
Der Hitlerismus - so Schriftsteller Bykow - , der bisher nicht für schönfärberische Äußerungen über den deutschen Faschismus bekannt war - sei vom sowjetischen Internationalismus - "einem Zeichen der Moderne" - besiegt worden, gestand Bykow immerhin ein. Wenn der nazistische "deutsche Archaismus" unter Hitler "etwas moderner und internationaler" und nicht so "brutal antisemitisch" gewesen wäre, wenn er "nicht alle Juden und einige Zigeuner vernichtet hätte", dann "hätte Hitler in Russland populär werden können".
Die "wichtigste Lehre" der russischen Geschichte sei - so der Schriftsteller -, dass die Macht nicht immer wieder versuchen dürfe, den "russischen Bürgerkrieg" - damit meinte er offenbar jeden Konflikt der Macht mit der Bevölkerung - "mit einem äußeren Krieg zu ersticken".
Mit dem Krieg, "den Russland seit 2014 gegen die Ukraine führt", habe sich "das jetzige Regime (gemeint ist die russische Regierung, U.H.) sein Grab gegraben". "Jeder richtige Patriot in Russland" - so Bykow - sei heute "russophob" und gegen den offiziellen Patriotismus.
Seine Äußerungen trug der Schriftsteller offenbar ganz bewusst provokativ vor. Offenbar war sein Ziel, eine Debatte um den Hitler-Kollaborateur Wlasow zu eröffnen. Möglicherweise beabsichtigte Bykow auch, das Regierung in Kiew gegen die russischen Medien zu unterstützen. In der Ukraine wird der Hitler-Kollaborateur Stepan Bandera, unter dessen Führung es in der Westukraine Pogrome gegen Juden und Polen gab, als "Nationalheld" gefeiert.
Der linke russische Fernseh-Journalist Konstantin Sjomin warnte in der Talkshow im russischen Fernsehkanal Rossija 1, der Schriftsteller Bykow sei kein Einzelfall, sondern Teil eines Trends. Zu diesem Trend zählt Sjomin, dass das russische Fernsehen in den letzten zwanzig Jahren zahlreiche Filme über den verurteilten Landesverräter General Wlasow gedreht habe und dass es immer wieder Jugendlichen gebe, die am Grabmal des Unbekannten Soldaten Spiegeleier braten und ähnliche Provokationen veranstalten.
Die patriotische Bildung an den Schulen habe nachgelassen. So brauche man sich nicht wundern über den Fall des Schülers Kolja aus dem nordrussischen Urengoi, der bei einer Gedenkstunde im Deutschen Bundestag behauptet hatte, viele deutsche Soldaten hätten gar nicht kämpfen wollen. Viele Russen verurteilten diese Äußerung als Beschönigung des deutschen Angriffs- und Vernichtungskrieges.
Der Schriftsteller Dmitri Bykow liegt mit seinen Äußerungen im Trend der Zeit. Weltweit werden die Rechtsradikalen stärker. Und die ehemaligen Staaten der Sowjetunion machen da keine Ausnahme. Besonders entwickelt ist rechtsradikales Gedankengut in Polen, Ungarn und den baltischen Staaten. Der Vorreiter in Sachen antisozialistische und antirussische Politik ist die Ukraine.
In der UN-Generalversammlung stimmte die Ukraine immer wieder zusammen mit den USA gegen Resolutionen, die eine Heroisierung des Nazismus verurteilen. Bei der letzten Abstimmung am 15. November 2018 stimmten nur die Ukraine und die USA gegen die Resolution. Für die Resolution waren 130 Staaten, 51 Staaten enthielten sich.
Auf Beschluss des ukrainischen Parlaments ist der 1. Januar seit diesem Jahr "Nationalfeiertag". Am 1. Januar 1909 wurde der Hitler-Kollaborateur Stepan Bandera geboren. Unter Bandera beteiligten sich ukrainische Nationalisten in der Westukraine an Pogromen gegen Juden und Polen.
In der Ukraine gibt fast täglich Nazi-Terror. Immer wieder kommt es zu Überfällen rechtsradikaler Schlägertruppen auf Andersdenkende oder Andersaussehende.
Im November 2016 erklärte der ukrainische Kulturminister Jewgeni Nischuk in einer Fernseh-Talkshow, bestimmte Gebiete in der Zentral- und Ost-Ukraine seien "genetisch unrein". Gemeint waren die Gebiete mit einem hohen Anteil russischsprachiger Bevölkerung.
In den regierungsnahen ukrainischen Medien stieß der Auftritt des russischen Schriftstellers Dmitri Bykow auf Begeisterung. Der bekannte ukrainische Fernseh-Moderator Dmitri Gordon schwärmte, Bykow sei "ein grandioser Schriftsteller. Er ist ein origineller Schriftsteller, auch mit seiner Kleidung." Es sei eine Schande, dass die Ukraine ihn nicht einreisen lasse. "Er ist doch kein Terrorist. Solche Leute wie Bykow muss die Ukraine offiziell einladen. Er ist ein Freund der Ukraine. Er hat so viel gegen die russische Macht geschrieben. Solche Leute muss man lieben."
Der russische Poet und Sänger Wadim Stepanow veröffentlichte auf die schlimmen Äußerungen des Schrifstellers Bykow eine traurig-ironische Video-Montage, in der er sang: "Danke Onkel Hitler, dass Du die Kinder aller Nationen und Nationalitäten, aller Hautfarben und Haarfarben ermordet hast." Weiter singt Stepanow: "Wir haben Piroggen zubereitet und die Freunde gerufen. Wir haben gesungen und auf Russland und Mutter Moskau getrunken, auf die Rasse, auf Odin, auf die Arbeiterklasse und auf Adolf Hitler, der uns alle liebt."
Der Traum von einem "guten Hitler" ist nichts Neues in Russland. Seit Anfang der 1990er Jahre gibt es Bücher russischer Autoren, die Hitler und Stalin auf eine Stufe stellen oder behaupten, dass eigentlich Stalin Europa angreifen wollte und Hitler ihm nur zuvorgekommen sei.
Obwohl in den russischen Medien immer wieder Versuche gemacht werden, Stalin und Hitler auf eine Stufe zu stellen, ist unter Bürgern Russlands die Sowjetnostalgie konstant hoch und sogar steigend. Nach Umfragen des Lewada- Meinungsforschungszentrum, ist die Zahl derjenigen, welche die Auflösung der Sowjetunion bedauern, von 49 Prozent im Dezember 2012 auf 66 Prozent im November 2018 gestiegen.
Ulrich Heyden
veröffentlicht in: Telepolis