27. January 2009

Russischer Sieg?

Antirussische Hysterie und sinkender Gaspreis: Die russische Presse fragt sich, ob der Gas-Streit mit der Ukraine für Russland erfolgreich endete.

Nach der Einigung im Gas-Streit zwischen Russland und der Ukraine gibt sich der Kreml als Sieger. Gleichzeitig versuchen der russische Präsident Dmitrij Medwedjew und Ministerpräsident Wladimir Putin bei öffentlichen Fernsehauftritten den Eindruck zu erwecken, als ob es sich bei dem Gas-Streit um eine rein ökonomische Angelegenheit gehandelt habe.

Doch die Kommentatoren in Russland sprechen recht offen über den geopolitischen Hintergrund, insbesondere den vom ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko angestrebten Nato-Beitritt der Ukraine, der für Moskau offenbar Anlass war, demonstrativ hart gegenüber Kiew aufzutreten. In den Kommentaren der seriösen russischen Zeitungen mischt sich neben die Siegesberichte auch die Sorge, Russlands Ansehen habe nicht nur in Europa sondern auch in den befreundeten Ländern der GUS Schaden genommen.

Unzuverlässigkeit der Ukraine

Der Direktor des Instituts für die GUS-Länder (Gemeinschaft unabhängiger Staaten) und Duma-Abgeordnete, Konstantin Satulin, schreibt für das führende russische Boulevard-Blatt Komsomolskaja Prawda – es verfügt über beste Kontakte in den Kreml – Russland habe aus dem Gas-Streit Nutzen ziehen können.

Es habe allerdings "politische Spesen" gegeben. "Wie immer wurde im Westen versucht, eine antirussische Hysterie zu entfachen, indem behauptet wurde, Russland versuche, die Ukraine für ihr Streben zur Demokratie zu bestrafen. ... Diese Leute sind schwer umzustimmen, weil sie zum Beweis Vorurteile benutzen, die sich schon beim Krieg in Georgien gebildet haben." Aber nicht nur im Westen, auch in Russland gäbe es leider genug Kritiker der Regierung und das gerade dann, "wenn die Mächtigen im Kampf um die nationalen Interessen entschieden und hart handeln."

Verlierer Juschtschenko

Wie fast alle russischen Kommentatoren meint Satulin, dass sich die Ukraine "in den Augen Europas" als "unzuverlässiges und korrumpiertes Gastransitland" diskreditiert habe.
Für den ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko, der seit den ukrainischen Waffenlieferungen an Georgien von der Moskauer Presse als US-Vasall beschimpft wird, sei der Gas-Streit eine "persönliche Niederlage". Die ukrainische Ministerpräsidentin, Julia Timoschenko, habe "natürlich gewonnen". Die Moskauer Presse schont Timoschenko, seit sie aus Rücksicht auf die Wählerstimmen der russischsprachigen Minderheit in der Ukraine gemäßigt gegenüber Russland auftritt – Anfang 2005, mittelbar nach der Orangenen Revolution fuhr sie noch einen harten antirussischen Kurs. Faktisch stärkt der Kreml damit die Position von Timoschenko gegenüber Präsident Juschtschenko.
Die Kreml-Kritikerin Julia Latynina spottete in einem Kommentar für die westlich orientierte Moscow Times, Gazprom könne seinen finanziellen Verluste beim Gas-Streit als Wahlkampfhilfe für Timoschenko bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen 2009 "abschreiben". Die ukrainische Ministerpräsdentin Timoschenko sei "die klare Gewinnerin" des Konflikts. Der "größte Verlierer sei der ukrainische Präsident Juschtschenko. "Der Kreml ist auch ein Verlierer, aber die Verluste wurden durch den Erfolg wettgemacht, die Inkompetenz von Juschtschenko bei der Regelung des Gasstreites auszunutzen."

Nächster Konflikt um Gastransport-Preise

Wladimir Milow, der 2002 als einer der letzten Reformer aus der Jelzin-Zeit stellvertretender russischer Energie-Minister war und sich jetzt zusammen mit Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow in der neu gegründeten Oppositions-Bewegung "Solidarnost" engagiert, zweifelt in einem Kommentar für die Kreml-kritische Nowaja Gaseta die russische Sieges-Euphorie im Gas-Streit an. Russland habe nicht nur einen ernsten Image-Schaden erlitten, die Ukraine habe in dem neu ausgehandelten Vertrag zwischen Gzsprom und Naftogaz die feste Anbindung des Gas-Preises an den Öl-Preis durchsetzen können, was für die Ukraine "in kurzfristiger Perspektive sehr vorteilhaft" sei. Nun stelle sich die Frage, "ob es sich für Gazprom für dieses Ergebnis gelohnt habe, Europa zwei Wochen lang das Gas abgeschaltet zu haben." Eine Antwort auf die rhetorische Frage gibt Milow allerdings nicht. Der Ex-Minister prophezeit, dass sich der nächste Konflikt zwischen Moskau und Kiew um die Frage des Transitpreises entwickeln wird, damit ist der Preis gemeint, den die Ukraine für den Transport von russischem Gas durch ihre Pipelines verlangen kann. Dieser soll sich laut neuem Vertrag ab 2010 an dem "europäischen Transitpreis" orientieren. Einen europäischen Transitpreis gibt es nach Meinung des Ex-Ministers aber gar nicht.

Blick nach Westen

Ein klarer Erfolg der ukrainischen Ministerpräsidentin – so Milow – sei, dass Gazprom sein Gas für die Ukraine nun direkt an Naftogaz verkaufe und die zwielichtige Zwischenhandelsfirma RosUkrEnergo mit Sitz in der Schweiz, für deren Dienste sich sowohl der russische Präsident Dmitrij Medwedjew als auch der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko einsetzten, nicht mehr zum Zuge komme. "Das Fehlen direkter Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine führte zu Problemen: Gazprom konnte die Einnahmen selbst nicht eintreiben, und hatte keine Möglichkeit, Naftogaz in die Pflicht zu nehmen."

Die national-konservative Nesawisimaja Gazeta weist auf ein anderes Problem hin, das durch die immer wiederkehrenden "Gaskriege" entstanden sei. Russlands Einfluss in der GUS sinke unaufhörlich. "Sogar der engste Verbündete Russlands – Belarus – sprach offen über die europäische Richtung seiner Außenpolitik und deren Perspektiven, obwohl bis vor noch nicht allzu langer Zeit die westliche Thematik in Minsk, gelinde gesagt, nicht zur Tradition gehörte." Belarus habe sich "eindeutig entschieden, neue Beziehungen mit der EU aufzunehmen. ... Die Länder der Gemeinschaft [GUS] ändern ihre Orientierung. Der Gaskrieg beschleunigte diesen Prozess auf ihrem Territorium, insbesondere der letzte." Moskau spreche zwar immer von der Bedeutung der Integration in der GUS, habe im Grund aber nichts anzubieten, "um die Integration in die Gemeinschaft attraktiv zu machen."

Ulrich Heyden

Ulrich Heyden kommt aus Hamburg und arbeitet seit 1992 als Korrespondent in Moskau. Er schreibt für "Sächsische Zeitung", "Rheinischer Merkur" und "Freitag".

veröffentlicht in: "eurotopics"
 

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