21. August 2009

RUSSLAND: Es geht zu wie im Krieg

Putin besorgt über Zustand der Industrieanlagen

MOSKAU - Der russische Premier, Wladimir Putin, will heute den havarierten Staudamm Sajano-Schuschenskoje im südsibirischen Chakassien besuchen. Putin zeigte sich am Donnerstag auf einer Sitzung des Präsidiums des russischen Kabinetts besorgt über den Zustand der russischen Industrie-Anlagen. „Die tragischen Vorfälle“ am Staudamm in Chakassien hätten gezeigt, „wie viel noch getan werden muss, um die Zuverlässigkeit der technischen Anlagen zu erhöhen“.

Putin ordnete eine Inventur aller strategischen und lebenswichtigen Infrastruktur-Objekte im ganzen Land an. Außerdem müssten Verfahren entwickelte werden, damit diese Objekte regelmäßig kontrolliert und modernisiert werden. „Was auf unseren Straßen passiert, das ist wie ein Bericht aus einem Kriegsgebiet, und so ist es auch bei der Arbeit in komplizierten technischen Anlagen. Die technologische Disziplin ist sehr niedrig.“
Am Montag war der Boden des hundert Meter langen Kraftwerk-Turbinen-Saals aufgebrochen. Die Wassermassen des Jenessej stürzten auf die etwa 70 Arbeiter, die sich in der Maschinen-Halle befanden. 17 Arbeiter wurden tot geborgen, 58 werden noch vermisst. Suchtrupps mit Hunden suchen die Räume des Kraftwerks nach eingeschlossenen Arbeitern ab. Taucher machten sich im überfluteten Maschinensaal, aus dem seit Mittwoch das Wasser abgepumpt wird, auf die Suche nach Menschen, die möglicherweise in Schächten und Zwischenräumen überlebt haben. Die Erfolgs-chancen werden allerdings als sehr gering eingeschätzt.
Das Kraftwerk mit seinen zehn Turbinen, von denen zwei zerstört wurden, liefert zur Zeit keinen Strom. Die Wiederherstellungsarbeiten können nach Meinung von Experten bis zu fünf Jahre dauern und nach Meinung des russischen Energie-Ministers Sergej Schmatko 888 Millionen Euro kosten. Schmatko erklärte, bei dem Unfall handele es sich um „die größte und unerklärlichste Havarie auf der ganzen Welt“. Wie die Zeitung „Kommersant“ berichtete, wurden in dem havarierten Wasserkraftwerk bei einer technischen Kontrolle im August vergangenen Jahres 250 technische und Sicherheits-Mängel festgestellt. Offenbar habe das Geld für die notwendige Modernisierung des 30 Jahre alten Kraftwerkes nicht gereicht.
Energie-Minister Sergej Schmatko erklärte, man werde die Milliarden-Verluste durch den erzwungenen Stillstand des Kraftwerkes durch die Installierung von neuen Turbinen ausgleichen. Nach einer Modernisierung werde die Leistung des Kraftwerks dann von 6,4 auf 7,2 Millionen kW steigen. Wie russische Zeitungen berichteten, wird – wegen des Kraftwerk-Stillstands – mit einem Anstieg der Strompreise in Sibirien um 30 Prozent gerechnet.
In der Bevölkerung, die am Unterlauf des Jenessej lebt, gab es in den letzten Tagen Panik. Katastrophenschutz-Minister Sergej Schojgu, der vor Ort die Rettungsarbeiten leitet, versicherte zwar, dass der Staudamm nicht gefährdet sei, aber dass das Management des halbstaatlichen Kraftwerkbetreibers Rus-Hydro immer noch über die Unglücksursache streitet, trägt offenbar nicht zur Beruhigung der Anwohner bei, die sicherheitshalber schon Wasser und Benzin horten. Während der frühere Generaldirektor Aleksandr Toloschinow von einer Explosion im oberen Bereich einer der Turbinen ausgeht und einen Maschinenschaden für möglich hält, erklärte die Presseabteilung des Unternehmens, Unglücksursache sei ein Wasserschlag, das heißt ein plötzlicher Druckanstieg in den mächtigen Wasserleitungen des Kraftwerks. Der „Kommersant“ berichtete unter Berufung auf einen Vertreter der Herstellerfirma, die zerstörte Turbine Nr. 1 habe nach 30 Jahren ihre maximale Nutzungszeit bereits erreicht. (Von Ulrich Heyden)

"Märkische Allgemeine"

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