Russland fasst Piraten des Geisterschiffes
Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau
Der Hochsee-Thriller um die Arctic Sea hat eine neue Wende genommen. Zwar wurde das seit dem 28. Juli verschollene Frachtschiff am Montag von einem russischen Kriegsschiff aufgespürt. Viele Rätsel bleiben jedoch ungelöst.
Die Arctic Sea wurde „ohne einen einzigen Schuss“ befreit, teilte gestern der russische Verteidigungsminister Anatolij Serdjukow stolz Kreml-Chef Dmitri Medwedjew mit. Das Frachtschiff wurde in der Nacht auf Dienstag von dem russischen Kriegsschiff Ladnyj 480 Kilometer von den Kapverden vor der Küste von Westafrika aufgebracht.
Die 15 russischen Besatzungsmitglieder seien guter Verfassung, berichtete der Verteidigungsminister, sie konnten aber nach einer Meldung von Itar-Tass bisher keinen Kontakt zu ihren Angehörigen aufnehmen. Stattdessen wurden sie auf dem Kriegsschiff von Vertretern des zentralen Ermittlungskomitees verhört, wie auch die acht Piraten – darunter vier Esten, zwei Letten und zwei Russen.
„Glänzende Rettungsaktion“
Laut russischem Verteidigungsministerium hätten die ersten Befragungen ergeben, dass das Schiff vor der schwedischen Küste von acht Piraten geentert worden sei. Sie hätten wegen eines angeblichen Schadens um Hilfe gebeten. Frühere Spekulationen, wonach die Seeräuber das Schiff bereits nach wenigen Stunden wieder verlassen hätten, erwiesen sich als falsch. Russlands Nato-Botschafter Dmitri Rogosin sprach von einer „glänzenden Rettungsaktion“. Man habe gezeigt, dass Russland seinen Bürgern überall auf der Welt Schutz gewähren kann. Doch welchen Bedrohungen die 15 russischen Besatzungsmitglieder ausgesetzt waren, ist unklar. Die Besatzungsmitglieder des 98 Meter langen Schiffes befanden sich, so Serdjukow, „nicht unter militärischer Kontrolle“.
Am 21. Juli lief die Arctic Sea aus dem finnischen Hafen Pietarsaari aus, wo man 6700 Kubikmeter Holz geladen hatte. Am 4. August sollte das Schiff in dem algerischen Hafen Bejaia die Holzladung abliefern. Doch statt Kurs auf Algerien zu nehmen, fuhr der Frachter in Richtung Kapverden.
Erstmals nun bestätigte der Versicherer der Arctic Sea, dass die mutmaßlichen Seeräuber 1,5 Millionen Dollar Lösegeld erpresst hätten. Michail Woitenko, der Herausgeber der Internetzeitung Maritime Bulletin-Sovfracht, erklärte gestern, nach einem Gespräch mit den Besatzungsmitgliedern sei er noch verwirrter als vorher. Die Arctic Sea habe alle modernen Kommunikationsmittel an Bord gehabt. Es sei nicht erklärlich, wieso das Schiff geentert werden konnte, ohne dass es ein Notsignal gegeben habe.
Staatliche Interessen berührt?
Woitenko vermutet, dass sich an Bord des Schiffes außer der Ladung Holz eine nicht deklarierte Ware befand und dass staatliche Interessen berührt seien.
Auch die russische Journalistin Julia Latynina vermutet, dass sich an Bord des Schiffes eine geheime Ladung befindet. Möglicherweise handele es dabei sich um Ausrüstungsteile für eine atomare Anlage. Russland werde mit den Kaper-Aktionen von „dritter Seite“ ein Warnsignal gegeben, da Russland den Weg durch die Ostsee nicht das erste Mal für den Transport von hochsensibler Ware benutze, so die Journalistin. Um wen es sich bei dieser „dritten Kraft“ handele, sagte sie nicht. (mit dpa)
"Sächsische Zeitung"