Russland: Streit um Aufführung des Films „Mathilda“
Eigentlich soll der Film „Mathilda“ am 26. Oktober in die russischen Kinos kommen. Doch die Führung der russisch-orthodoxen Kirche meint, das Werk über die Liebesaffäre des letzten russischen Zaren verletze die Gefühle der Gläubigen. Auf das Büro des Regisseurs wurde bereits ein Brandanschlag verübt.
Der umstrittene Film "Mathilda" handelt von dem russischen Kronprinzen Nikolai, der die russische Tänzerin Mathilda Kschessinskaja liebt, doch als Thronfolger der Pflicht gehorcht und die deutsche Prinzessin Alix von Hessen-Darmstadt heiratet. Die Affäre mit der Tänzerin begann nach historischen Überlieferungen im Jahr 1890 - Nikolai war damals 22 Jahre alt - und dauert bis 1896, als der Kronprinz die deutsche Prinzessin heiratete.
Im dem Film bekommt die deutsche Prinzessin, die zum Heiraten nach Sankt Petersburg gekommen ist, schnell mit, dass Nikolai ein Verhältnis mit der Tänzerin Mathilda Kseschinsskaja hat. Doch Alix steht das mit eisernem Gesicht durch. Mit dieser Haltung steht sie in starkem Kontrast zu Mathilda, die wie ein Vulkan von Emotionen wirkt. „Niki, Niki“ rufend, läuft sie dem Zug hinterher, mit dem der Kronprinz Sankt Petersburg verlässt. Und es geschieht ein Wunder. Der Kronprinz steigt –trotz strenger Bewachung – aus dem rollenden Zug aus, um Mathilda noch einmal zu umarmen.
Alix wirkt zwar sehr streng, aber sie hat etwas, was die russischen Zuschauer beeindrucken wird. Die deutsche Prinzessin, die in Russland den Namen Aleksandra Fjodorowna annahm, musste, um den Kronprinzen heiraten zu können, zum russisch-orthodoxen Glauben überwechseln. Im Film erlebt man die Prinzessin als tief Gläubige. Sie sagt Nikolai, die bevorstehende Heirat sei etwas von Gott Gegebenes, was man nicht auflösen könne.
Dass es eine Deutsche mit den göttlichen Gesetzen so ernst nimmt, entspricht ganz dem Bild, welches die Russen von den Deutschen haben, ordnungsliebend und geradezu pflichtbesessen. Im Kontrast zu der deutschen Prinzessin wirkt der russische Kronprinz, dem ab und zu die Tränen kommen, weich und innerlich zerrissen.
Der Film-Regisseur nimmt Stellung
Den Regisseur von „Mathilda“, Aleksej Utschitel, treibt in diesen Tagen nur eine Sorge: Wird der Film am 26. Oktober in die russischen Kinos kommen? Bei einer Vor-Premiere für Journalisten Mitte Oktober in Moskau erklärte der Regisseur:
Ich sage es ihnen offen. Die Situation ist nicht einfach. Alle vernünftigen Menschen in diesem Land brauchen jetzt Unterstützung.
Besorgt weist Utschitel darauf hin, dass die russischen Fernsehkanäle die Reklame für den Mathilda-Film eingestellt haben. Er deutete an, dass Kino-Betreiber aus Angst vor Anschlägen christlicher Fundamentalisten den Film nicht zeigen. Die Fundamentalisten um die Organisation „Christlicher Staat – Heiliges Rus“ und die Duma-Abgeordnete Natalja Poklonskaja meinen, mit dem Film werde die Ehre des letzten russischen Zaren besudelt. Es habe gar keine Liebesaffäre von Kronprinz Nikolai mit der Tänzerin gegeben. Insbesondere wird eine Film-Szene beanstandet, in welcher Mathilda beim Tanz ein Träger ihres Kleides herunterrutscht und Nikolai II. erregt aus dem Zuschauersessel springt.
Ausgerechnet vor dem bevorstehenden 100. Jahrestag der „Oktoberrevolution“ am 7. November – so die Kritiker - könne man keinen „staatsfeindlichen“ Film in die Kinos bringen. Nikolai II. wurde im Juli 1918 zusammen mit Familienangehörigen in Jekaterinenburg erschossen. Von der russisch-orthodoxen Kirche wurde der letzte russische Zar deshalb am 20. August 2000 als Märtyrer heilig gesprochen.
Film-Regisseur Utschitel wies darauf hin, dass die lautesten Kritiker den Film gar nicht gesehen haben. Die von Natalja Poklonskaja geforderte Untersuchung des Filmes durch die Staatsanwaltschaft ergab, dass der Film die Gefühle der Gläubigen nicht verletzt.
Kritik des russisch-orthodoxen Patriarchen
Der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche, Kirill, äußerte sich Mitte Oktober das erste Mal zu dem Werk. Kirill meinte, man müsse unterscheiden zwischen „künstlerischen Erfindungen und Lügen“. Das eine sei ein Mittel, um Zuschauer für sich zu gewinnen, mit Lügen aber würden historische Tatsachen verfälscht. Nach Meinung der Nesawisimaja Gaseta stellte der Patriarch den Film-Regisseur Utschitel - ohne seinen Namen zu nennen - in eine Reihe mit „den Propagandisten des Bolschewismus“.
Der russische Kulturminister Wladimir Medinski sieht keinen Grund, den Film abzusetzen. „Mathilda“ sei ähnlich wie der Streifen „Shakespeare in Love“. Auf der Buchmesse in Frankfurt erklärte der russische Minister, „Mathilda“ werde in allen russischen Kinos gezeigt. Bei Filmgegnern handele es sich um eine „kleine, aber sehr aktive Gruppe“ von Bürgern.
Einige Kritiker des Films sind offenbar zu allem entschlossen. Im September gab es mehrere Brandanschläge. In das Büro von Regisseur Utschitel wurde ein Molotow-Cocktail geworfen. In Moskau wurde ein Auto angezündet. Wegen dem Autobrand wurden mehrere Personen der Organisation „Christlicher Staat“ festgenommen. Zwei Verdächtige müssen bis zum 11. November in Haft bleiben.
Natalja Poklonskaja, die mit ihrer Forderung, den Film abzusetzen und ihrer öffentlich bekundeten Verehrung für Nikolai II. von einigen Russen schon als Fanatikerin angesehen wird, hat nun einen Gang zurück geschaltet. Anfang Oktober rief sie dazu auf, gegen die Brandstifter vorzugehen. Zwei russische Kino-Ketten – Cinema park und Formula Kino – haben es aus Angst vor Anschlägen abgelehnt, den Film zu zeigen. Zu diesen beiden Kino-Ketten gehören etwa 20 Prozent der Kinos in Russland.
Der deutsche Schauspieler Lars Eidinger, der in dem Film Nikolai II. spielt, hat erklärt, er werde nicht zur Film-Premiere nach Moskau kommen, da er Angst vor tätlichen Angriffen habe. Im russischen Internet kursierten Behauptungen, er sei ein schwuler Pornodarsteller und Satanist. Das sei eine Verleumdung.
Der Zar als Balletttänzer
Wer den Film gesehen hat, merkt, dass die Vorwürfe von Seiten der christlich-orthodoxen Kirche an den Haaren herbeigezogen sind. Die Bettszenen mit Nikolai und Mathilda sind einfach nur romantisch. An der Ehre des russischen Zaren wird nicht gekratzt. Im Gegenteil, er wird als eine liebenswerte und manchmal auch lustige Person dargestellt, wenn er zum Beispiel in den Privatgemächern seiner Geliebten versucht, die 360-Grad-Fouette-Drehung der Balletttänzerinnen nachzumachen, dabei aber auf der Nase landet.
Wenn man dem Regisseur einen Vorwurf machen kann, dann den, dass er das Bild des letzten Zaren beschönigt. Es ist bekannt, dass Nikolai gerne auf Krähen schoss, einfach so, aus Spaß. Das wird in dem Film auch gezeigt. „Das machte er zum Stress-Abbau“, meinte Regisseur Utschitel auf Nachfrage des Autors dieser Zeilen.
Feuerwerk zu Ehren der Toten auf dem Chodinka-Feld
Nicht alles in dem Film ist historisch authentisch. So sieht man Nikolai II. am Abend nach seiner Krönung am 18. Mai 1896 auf dem Moskauer Chodinka-Feld ein Feuerwerk anzünden. Die Szene ist gespenstisch. Denn unter dem schön erleuchteten Himmel sieht man ein Feld voller Leichen. Es handelt sich um 1.389 einfache Menschen, die am Tag der Krönung auf das Chodinka-Feld kamen, um Geschenke in Empfang zu nehmen, dann aber in einem Massengedränge starben.
War das Feuerwerk die letzte Ehre des Zaren für die Toten? Diese Frage beantwortet der Film nicht. War Nikolai II. am Tag der Krönung überhaupt auf dem Chodinka-Feld? Historiker sagen nein. Nikolai II. sei am Abend dieses Tages auf einem Empfang in der französischen Botschaft gewesen.
Als ich den Regisseur Utschitel mit den Untersuchungen der Historiker konfrontiere, meinte er, der Zar „kam nicht an diesem Tag auf das Chodinka-Feld, das ist richtig. Aber dass er an einem anderen Tag kam, ist eine Tatsache. Man kann uns historische Ungenauigkeiten vorwerfen, ich leugne das nicht. Aber wenn er dort war, dann ist es unsere Sache, wie wir das künstlerisch interpretieren.“
Die Versuche, den letzten russischen Zaren ein menschliches Gesicht zu geben und die Russen mit ihrer Geschichte vor der Oktoberrevolution zu versöhnen, sind nicht neu. Im Jahr 1998 – damals war Boris Jelzin Präsident Russlands - wurden die in Jekaterinenburg gefundenen Gebeine der Zarenfamilie in der Peter-Paul-Kirche von Sankt Petersburg beerdigt. Die russisch-orthodoxe Kirche zweifelte die Echtheit der Gebeine damals zwar an, beteiligte sich aber trotzdem an den Gedenkfeierlichkeiten.
Dass der russische Staat einen großen Teil der Kosten für die 25-Millionen-US-Dollar teure Produktion übernommen hat, kann mit dem Wunsch zusammenhängen, dass Russland ein positiveres Verhältnis zu seiner Geschichte vor der Oktoberrevolution bekommt und Nikolai II., der den Krieg gegen Deutschland verlor und im Februar 1917 abdankte, verzeiht.
Krönungssaal in einer Rüstungsfabrik
Die Vorarbeiten für den Film waren äußerst aufwendig. Sie dauerten eineinhalb Jahre. An dem Drehbuch schrieben mehrere Schriftsteller. Die Filmmusik stammt von dem US-Amerikaner Marco Beltrami. Die Suche nach einer Schauspielerin für die Rolle der Mathilda war langwierig. Insgesamt 300 Bewerbungen wurden geprüft. Die Wahl des Regisseurs fiel auf die polnische Schauspielerin Michalina Olszańska. Die 25-Jährige war in ihrer Heimat durch die Veröffentlichung eines Tagebuchs berühmt geworden. Außerdem hatte sie eine CD mit russischen Liedern veröffentlicht.
Die Suche nach einem Darsteller für die Rolle des letzten Zaren war einfacher. Regisseur Utschitel hatte den deutschen Schauspieler Lars Eidinger während eines Gastspieles der Berliner Schaubühne in Moskau entdeckt. Im Gegensatz zu Michalina Olszańska spricht Lars Eidinger kein Russisch. Seine Stimme wurde komplett von Maksim Matweew vertont. Auch die Arbeit an Dekoration und Kostümen war äußerst aufwendig. Über 7.000 Kostüme mussten genäht werden. Um Kosten zu sparen, wurde ein Teil der Näharbeiten in Indien ausgeführt.
Gedreht wurde in den Zarenschlössern in und um Sankt Petersburg. Die Ballettszenen wurden im Sankt Petersburger Marinski- und im Moskauer Bolschoi-Theater aufgenommen. Die Krönungszeremonie konnte nicht in der Uspenski-Kirche im Kreml stattfinden, da diese für die Dreharbeiten zu eng war. Man drehte in einer ehemaligen Rüstungsfabrik in Sankt Petersburg, wo die Kulisse des Kirchenschiffes in einer etwas größeren Ausführung nachgebaut worden war.
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