Russland und die EU streiten heftig über Gas
Gipfel. Moskau lehnt die europäische Energie-Charta bisher ab. Kreml-Chef Medwedew will ein eigenes Konzept vorlegen.
ULRICH HEYDEN CHABAROWSK (SN, n-ost). „Sie werden die Größe Russlands fühlen“, meinte ein verschmitzter Kreml-Chef am Donnerstag vor Studenten der „Pazifik-Universität“ von Chabarowsk. Zum 23. EU-Russland-Gipfel hatte Dmitrij Medwedew EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, EU-Außen-Sekretär Javier Solana und den tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus – sein Land hat zurzeit die EU-Ratspräsidentschaft – zum zehnstündigem Flug von Brüssel in die Pazifikregion eingeladen.
Sicher hätten die Gäste am Donnerstag gern ein paar Stunden in einem richtigen Bett geschlafen, doch auf dem Programm stand eine Bootsfahrt auf einem der größten Flüsse der Welt, dem 5000 km langen Amur, dem Grenzfluss zwischen Russland und China.
Dissens mit Moskau
Im russischen Fernen Osten haben sich ein paar moderne und zukunftsfähige Industriekerne entwickelt, wie Dmitrij Medwedew betonte. Dazu gehört die im Februar mithilfe des holländischen Shell-Konzerns gebaute und im Februar in Betrieb genommene erste russische Flüssiggas-Anlage auf der Insel Sachalin. Dazu gehören außerdem zwei Großbetriebe in der 40 Flugminuten nördlich von Chabarowsk gelegenen ehemaligen sowjetischen Rüstungsschmiede Komsomolsk am Amur. Dort wird in den Hallen des Flugzeugbauers Sukhoi mit italienischer und französischer Beteiligung der Superjet 100 gebaut, das erste neue Passagierflugzeug nach dem Ende der Sowjetunion. Drei Maschinen, die Ende 2009 ausgeliefert werden sollen, stehen bereits im Rohbau fertig in einer modernen Halle.
Zum Abendessen in Chabarowsk – die offiziellen Gespräche finden heute, Freitag, statt – durften die Europäer ohne Schlips kommen. Ein lockerer Stil kann sicher nicht schaden, denn zahlreiche Probleme haben sich zwischen der EU und Russland angestaut. Sogar das bisher stabile Fundament – der jahrelang sprunghaft wachsende Warenaustausch – schmilzt rapid. Nach Angaben von Kreml-Berater Sergej Prichodoko ist der Handel zwischen Russland und der EU in den vergangenen Jahren im Durchschnitt um 30% gewachsen, seit Beginn der Finanzkrise jedoch um 50% eingebrochen.
Dass es auf dem Gipfel ein Vorankommen bei dem auf Eis liegenden neuen Partnerschaftsabkommen gibt, ist kaum wahrscheinlich. Zu tief greifend sind die Meinungsverschiedenheiten über den Status der abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien und die Energie-Charta der EU, durch welche Brüssel die Energielieferungen nach Europa im Detail regeln will. Medwedew hat stattdessen ein eigenes Energiekonzept angekündigt, das die Interessen der Lieferländer stärker berücksichtigen soll.
Denn Moskau fürchtet nichts so wie den europäischen Zugriff auf seine Pipelines. Schon die bilaterale Vereinbarung zwischen Kiew und der EU über die Modernisierung der ukrainischen Pipelines stieß in Moskau auf Missfallen. Man fühlte sich ausgeschlossen. Angesichts dieser Gemengelage ist unklar, wie Gas-Lieferstörungen durch die Streitigkeiten zwischen Russland und der Ukraine in Zukunft verhindert werden können. Weil es zwischen Russland und der EU bisher nur einen Minimalkonsens gibt, entwickelt sich jetzt ein Wettlauf um den Zugriff auf Fördergebiete und Pipelines. Europa möchte die Förderländer im Kaspischen Raum und Zentralasien über die geplante „Nabucco“-Erdgas-Pipeline – unter Umgehung russischen Territoriums – an Europa binden, um sich von Russland unabhängiger zu machen. Doch zentralasiatische Gaslieferanten wie Turkmenistan, die bisher an die russische Gasprom liefern, wollen lieber zwischen Moskau und Brüssel lavieren und sich nicht einseitig auf die EU festlegen.
Uneins mit China
Auch die EU und China bleiben in wichtigen politischen Fragen uneins. Ein Gipfeltreffen in Prag zu strittigen Themen wie Burma und Sri Lanka, Menschenrechtsfragen, der Öffnung für Investitionen sowie der Bekämpfung von Produktpiraterie ging ohne eine gemeinsame Erklärung zu Ende. Zum Abschluss des Gipfels ver-bat sich Chinas Regierungschef Wen Jiabao am Mittwoch scharf jede Einmischung der EU in „innere Angelegenheiten“ seines Landes.
"Salzburger Nachrichten"