28. August 2007

Russland: „Und wo sind die Mörder?“

Im Mordfall Politkowskaja wurden zehn Verdächtige verhaftet. Sensation oder Instrumentalisierung?

Was der russische Generalstaatsanwalt Juri Tschaika am Montag im Arbeitszimmer von Kreml-Chef Wladimir Putin zu verkünden hatte, klang nach einer Sensation: „Wir sind in der Aufklärung im Mordfall der Journalistin Anna Politkowskaja ernsthaft vorangekommen. Bis heute sind in dem Fall zehn Personen verhaftet worden. In allernächster Zeit wird die Anklage wegen eines schweren Verbrechens gegen sie eröffnet.“

Politkowskaja hatte für die „Nowaja Gaseta“ unter anderem über Kriegsgräuel in Tschetschenien berichtet, hatte 2001 wegen Morddrohungen sogar das Land verlassen und in Wien Zuflucht suchen müssen. Am Nachmittag des 7.Oktober war sie in ihrem Hausflur erschossen worden. Mit der kremlkritischen Reporterin ging für viele die letzte Hoffnung verloren, dass die Öffentlichkeit je vom Schicksal der Tschetschenen erfahren würde. Nun will Tschaika die Schuldigen kennen: Der Mord sei genau vorbereitet worden, erklärte er. Die Journalistin sei von zwei Gruppen beschattet worden. Unter den Festgenommenen befänden sich Mitglieder einer kriminellen Gruppe von Tschetschenen, die Auftragsmorde zu verantworten habe (auch jene an „Forbes“-Chefredakteur Paul Chlebnikow und dem Chef der russischen Zentralbank, Andrej Koslow). „Leider“ seien auch vier Polizisten und ein Mitarbeiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB verhaftet worden.

Es ist das erste Mal seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, dass von staatlicher Seite eingestanden wird, dass Mitarbeiter russischer Sicherheitsstrukturen in einen politischen Mord verwickelt sind. Für russische Verhältnisse gleicht das einer Sensation. Tschaika versuchte, den Verdacht zu zerstreuen, höchste Stellen könnten ein Interesse an dem Mord gehabt haben. Die Auftraggeber säßen im Ausland, erklärte er.

Vorzeigeerfolg für den Vorwahlkampf?

Der Name des nach London geflüchteten Oligarchen Boris Beresowski fiel nicht. Doch Tschaika sagte ausdrücklich: „Die Person, die den Mord anordnete, lebt im Ausland.“ Kremlnahe Politologen hatten Beresowski, der öffentlich zum Sturz des „Regimes Putin“ aufruft, bereits kurz nach dem Mord als Drahtzieher genannt. Der Generalstaatsanwalt erklärte nun, mit dem Mord an der Journalistin sollte die Stabilität Russlands untergraben werden. Diejenigen, die den Mord in Auftrag gegeben haben, wollten, „dass in Russland wieder das frühere Verwaltungssystem zurückkehrt, als alles über Geld und Oligarchen bestimmt wurde“.

Es gibt aber auch Zweifel am raschen Fahndungserfolg. Oleg Panfilow vom „Russischen Zentrum für Journalismus in Extremsituationen“ meinte: „Die Morde an Journalisten in den vergangenen 14Jahren wurden so schlecht untersucht, dass man kaum Vertrauen in diese Meldungen haben kann. Ich vermute, dass sie mit der Tatsache zusammenhängen, dass sich ihr Tod bald jähren wird. Da fragen die Leute: ,Und wo sind die Mörder?‘“ Die „Nowaja Gaseta“ begrüßte die Festnahmen, äußerte aber die Befürchtung, der Fall könne im Vorwahlkampf politisch instrumentalisiert werden.

"Die Presse"

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