1. April 2020

Russland will die Corona-Krise klein halten

 

Schon in der Hälfte der russischen Regionen leben die Einwohner im Quarantäne-Regime. Die meisten Infizierten gibt es in Moskau. Während Mechanismen zur Kontrolle der Bürger eingeführt werden, versucht Präsident Wladimir Putin, Steuerschlupflöcher zu stopfen. Von Ulrich Heyden, Moskau.

Von Montag auf Dienstag stieg die Zahl derjenigen, die sich in Russland mit dem Corona-Virus infiziert haben auf fünfhundert neue Fälle an. Das war eine große Steigerung. Der Chefarzt des bekannten Moskauer Sklifasowski-Krankenhauses, Sergej Petrikow, erklärte die Steigerung gegenüber dem Fernsehkanal Rossija 1 damit, dass die Möglichkeit den Virus festzustellen, „größer geworden sind“.

Wenn sich die Lage in Moskau verschlimmern sollte, seien die Moskauer Krankenhäuser darauf vorbereitet. Es sei Platz geschaffen und es seien Intensivabteilungen vorbereitet worden. Ob es eine Entwicklung wie in Italien in Russland möglich sei, wurde der Chefarzt von der Fernsehmoderatorin gefragt. Dazu müsse er die Zahlen aus ganz Russland sehen, meinte Petrikow.

Auffällig ist, dass nach Angaben der russischen Statistiker 33 Prozent der russischen Corona-Patienten zwischen 18 und 34 Jahre alt sind, also auch junge Leute in Gefahr sind.

Vor allem ein Moskauer Problem

Man könnte fast sagen, der Corona-Virus ist in Russland vor allem ein Moskauer Problem. Von den bis Dienstag registrierten 2.337 Infizierten leben allein 1.732 in Moskau und im Moskauer Gebiet. Alle anderen russischen Städte haben weniger als 100 Infizierte. In der zweitgrößten Stadt Russlands, St. Petersburg, und im umliegenden Leningrader Gebiet, sind insgesamt 112 Personen infiziert.

Fast die Hälfte der russischen Regionen unter Quarantäne

In der Hälfte der 82 russischen Regionen leben die Menschen seit Dienstag unter häuslicher Quarantäne. Vorreiter der Quarantäne-Maßnahmen ist Moskau. Am vergangenen Sonntag verfügte der Moskauer Bürgermeister, Sergej Sobjanin, eine verschärfte Quarantäne für die Bewohner der Hauptstadt. Am Dienstag folgten diesem Beispiel 31 weitere russische Regionen.

Die Moskauer dürfen ihre Wohnung jetzt nur verlassen, wenn sie auf die Arbeit oder einkaufen gehen. Mit dem Hund darf man sich nur 100 Meter vom Haus entfernen. Man darf Moskau verlassen. Man solle sich aber nicht „ohne schwerwiegenden Grund in der Stadt bewegen“, heißt es in der Anordnung des Bürgermeisters, die zunächst bis zum 5. April gilt.

In der letzten Woche, hatte der Verkehr in Moskau, wegen der Aufrufe zuhause zu bleiben, um zwei Drittel abgenommen. Seit Montag ist der Verkehr nun noch weniger geworden.

Persönliche Erfahrungen

Was die Versorgung der Moskauer mit einfachen Mitteln zum Schutz vor dem Virus betrifft, sieht es nicht gut aus. Seit zehn Tagen sieht man in der Stadt vermehrt Menschen mit Atemschutzmasken. Aber diese Masken haben sich die Leute oft mühsam ergattert. Viele haben sich ihre Maske übers Internet bestellen müssen, wie ich in Gesprächen mit Passanten erfuhr. In meinem Wohnbezirk wurde ich nur bei einer Apotheke fündig, die noch eine einfache Maske für fünf Euro auf Lager hatte. Eine andere Apotheke hatte einen gedruckten Aushang an die Tür gehängt, dass man keine Masken und Desinfektionsmittel verkaufe.

Erstaunlich fand ich auch, dass in meinem Wohnbezirk im Westen Moskaus, zwar die Kinderspielplätze mit weiß-rote-Plastikband abgesperrt sind, an einem 25-stöckigen Hochhaus-Neubau trotz Schneefall aber eifrig weiter gebaut wird.

Komplette Kontrolle aller Bürger

Um die Bewegungen in der Stadt maximal zu begrenzen, plant die Stadtverwaltung ein Ausweissystem. Die Zeitung Kommersant berichtete von der Präsentation des geplanten Ausweissystems. Danach sollen die Bürger verpflichtet werden, über das elektronische Portal der Stadt QR-Codes für die Besuche von konkreten Orten bestellen. Für Besuche des Müllcontainers, des Lebensmittelladens und des Freundes in einer anderen Straße braucht man bald einen Code auf seinem Handy. Wer von der Polizei auf der Straße ohne QR-Code angetroffen wird, muss Strafe bezahlen oder wird nach Hause gebracht. Die Duma beschloss am Dienstag Geld- und Freiheitsstrafen. Die Bewegung der Stadtbewohner soll auch über die Handys der Bürger kontrolliert werden.

Trostpflaster

Als Ausgleich für Entlassungen während der Corona-Krise verspricht der Moskauer Bürgermeister allen arbeitslos gewordenen Hauptstädtern umgerechnet 230 Euro im Monat zu zahlen. Die Auszahlung soll automatisch erfolgen, also ohne das man einen Antrag stellen muss.

Außerdem bieten die Moskauer Theater, Konzertsäle, Museen und Bildungseinrichtungen kostenlose Livestreams und Archivnutzung für alle Altersgruppen an.

Starkes Tempo, aber mangelnde Vorsorge

Russland wurde bisher von schweren Auswirkungen der Corona-Infektionen verschont. Bisher starben in Russland 17 Menschen an dem Virus. Die russische Regierung legte aber bei den Maßnahmen zur Eindämmung ein starkes Tempo vor. Ab dem 1. März wurden bei Flugpassagieren aus Italien am Moskauer Flughafen Scheremetjewo die Körpertemperatur geprüft. Am 5. März verhängte der Moskauer Bürgermeister einen Erlass, nachdem alle Personen, die aus „Corona-Ländern“ nach Moskau kommen, eine zweiwöchige häusliche Quarantäne einlegen müssen. Am 10. März wurden Veranstaltungen über 5.000 Personen verboten und der Bau eines neuen Infektionskrankenhauses mit 500 Betten beschlossen. Am 16. März ließ der Bürgermeister die Schulen schließen. Am 28. März ordnete Sobjanin die Schließung von Restaurants, von Großhandelsunternehmen sowie einzelnen Dienstleistungsbetrieben, wie Friseuren, an.

Allerdings zeigt sich auch, dass man besser hätte vorsorgen können. Der russische Ministerpräsident Michail Mischustin ordnete zwar am 23. März die Anschaffung von 5.700 Beatmungsmaschinen und anderem medizinischen Gerät zum Einsatz gegen das Coronavirus an. Der Auftrag hat ein Gesamtvolumen von 90 Millionen Euro. Aber wie die Kreml-kritische Internetplattform newsru.com meinte, werden die ersten Beatmungsmaschinen von dem russischen Hersteller erst im Sommer ausgeliefert werden können.

Wladimir Putin will den Kapitalabfluss stoppen

Um die Kosten zu decken, die Russland durch die Corona-Krise und den stark gesunkenen Ölpreis entstehen, hat Wladimir Putin in seiner Fernsehansprache vom 25. März zwei Vorschläge gemacht, die zu höheren Steuereinnahmen des Staates führen sollen.

  1. Bisher können Firmen oder Personen, die in Russland Dividenden erwirtschaften, diese Dividenen über Vermittlerfirmen steuerfrei in Offshore-Zonen transferieren. Das Schema läuft nach einem Bericht des Magazins Forbes wie folgt: Die in Russland erworbenen Dividenden werden zunächst in ein Land überwiesen, mit dem Russland ein Doppelbesteuerungsabkommen hat. Das sind die USA, Zypern, die Niederlande, Deutschland, Österreich, die Schweiz und einige andere Länder. In diese Länder können die in Russland erworbenen Dividenden an Vermittlerfirmen steuerfrei überwiesen werden. Die Vermittlerfirma überweist das Geld dann weiter in eine Offshore-Zone auf den britischen Jungferninseln, den Kaiman-Inseln oder den Seychellen.
  2. Ein zweiter Vorschlag des russischen Präsidenten wurde am Dienstag bereits in allen drei Lesungen von der Duma beschlossen: Wer ein Guthaben von über 11.000 Euro hat, muss sich darauf einstellen, dass die Zinserträge aus diesem Guthaben von nun an besteuert werden und zwar mit 13 Prozent.

Putin machte noch einen dritten Vorschlag: Die von den Unternehmen zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge sollen von 30 auf 15 Prozent gesenkt werden. Das ist eine Einladung an die Unternehmen, alle Beschäftigten legal zu beschäftigen. Viele Unternehmen zahlen nur ein Mindestgehalt legal. Den Rest bekommt der Mitarbeiter steuerfrei im Briefumschlag.

Die neuen Regelungen für Unternehmer und Besserverdienende sollen auch nach der Corona-Krise Bestand haben, erklärte der russische Präsident.

Russische Oppositionelle wütend

Linke russische Oppositionelle sind wütend und frustriert. Sie können ihre Kritik auf eigenen Video-Kanälen vortragen. Doch das hat keinen spürbaren Einfluss auf den Kreml.

Die Macht fahre in Bezug auf das Verfassungsreferendum einen Schlingerkurs und spiele nicht mit offenen Karten, kritisiert der Soziologe Boris Kagarlitsky. Erst habe der Kreml beim Verfassungsreferendum aufs Tempo gedrückt. Es sollte am 22. April stattfinden. Doch am 25. März sagte Putin das Referendum wegen der Corona-Krise ab. Nun sei völlig offen, wie es in dieser Angelegenheit weiter geht.

Noch schärfer ist die Kritik des Journalisten Maksim Schewtschenko, der behauptet, Putin versuche mit der Verfassungsreform einen „Staatsstreich“ durchzuführen. Das Ziel von Putin sei es, sich zum ewigen Herrscher zu machen. Mögliche Demonstrationen gegen diesen „Staatsstreich“ würden durch die Maßnahmen gegen die Corona-Krise unterdrückt.

Wladimir Putin schaffe jetzt die „pseudo-europäische“ russische Demokratie ab und folge damit einem weltweiten Trend, in dem es immer mehr autoritär regierte Staaten gibt, wie China und Indien. Die EU zeige in der Corona-Krise, dass die europäischen Demokratien nicht zu einem gemeinsamen Handeln in der Lage sind.

Die linken Journalisten Maskim Schewtschenko und Konstantin Sjomin meinen, das internationale Kapital nutze die Corona-Krise, um von einem drohenden internationalen Finanz-Crash abzulenken.

Ulrich Heyden

veröffentlicht in: Nachdenkseiten

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