Russlands neue Sittenstrenge
Waisen sollen jetzt vor allem von Russen adoptiert werden und Beamte dürfen keine Auslandskonten mehr haben.
Wieder hat eine Mutter eines unserer Kinder getötet“, rief die Duma-Abgeordnete Jelena Afanasjewa von Wladimir Schirinowskis Liberaldemokraten in den Plenarsaal. Die Duma-Debatte zum Tod des dreijährigen Russen Maxim Kusmin, der am 21. Januar in Texas bei seinen amerikanischen Adoptiveltern gestorben war, begann mit einer Schweigeminute.
Tagelang ist der Tod des Kindes Top-Thema in den russischen Medien. Mit dem Tod von Maxim ist die Zahl der russischen Adoptivkinder, die in den USA starben, auf zwanzig gestiegen. Insgesamt 60.000 russische Kinder wurden seit 1993 von US-Bürgern adoptiert. Maxim Kusmin soll laut russischen Angaben durch die brutale Behandlung seiner Adoptiv-Mutter Lora Shatto gestorben sein. Die US-Außenamts-Sprecherin Victoria Nuland warnte vor einer Vorverurteilung und sprach nur von einer „schrecklichen Tragödie“. Niemand auf der Welt könne aus dem Tod des Jungen „irgendwelche Schlüsse ziehen“, bevor nicht die Polizei in Texas ihre Untersuchungen abgeschlossen habe.
Bei der Obduktion des Kindes wurde nach russischen Angaben festgestellt, dass – offenbar in Folge von Schlägen – innere Organe des Kindes verletzt waren. Auch gab es Verletzungen an Kopf und Beinen von Maxim, schreibt die russische Internetzeitung Gazeta.ru. Maxim soll von seinen Adoptiv-Eltern zudem regelmäßig Risperdal bekommen haben. Das Medikament, das bei psychischen Störungen verschrieben wird, ist eigentlich nur für Erwachsene bestimmt. Maxim hatte einen Herzfehler.
Ohnmacht auf dem Spielplatz
Nach Angaben des örtlichen Sheriffs ist das Kind beim Spielen ohnmächtig geworden. Die Polizei im US-Bundesstaat Texas widerspricht auch klar der russischen Darstellung, das Kind sei an Schlägen der Mutter gestorben. Maxim war beim Spielen vor dem Haus der Eltern ohnmächtig geworden, auch die Ärzte im Krankenhaus konnten das Leben des Kindes nicht retten.
Die Debatte in Russland wird von einem weiteren tragischen Zufall getragen. Maxim Kusmin und sein Bruder Kirill – beide vom Ehepaar Shatto adoptiert – stammen aus dem gleichen, im Nordwesten Russlands gelegenen Kinderheim wie das russische Adoptivkind Dima Jakowlew, das 2008 bei extremer Hitze in einem Auto gestorben war. Der amerikanische Adoptiv-Vater hatte Dima beim Einkaufen einfach vergessen. Diesen Fall hatten die Duma-Abgeordneten im Dezember letzten Jahres wieder aufgegriffen, als man krampfhaft nach einer adäquaten Antwort auf das von Barack Obama unterzeichnete Magnitski-Gesetz gesucht hatte.
So (er)fand die Duma das Dima-Jakowlew-Gesetz: Es verbietet nun generell die Adoption russischer Kinder durch US-Bürger. Das zuvor in den USA beschlossene Gesetz wiederum verbietet allen mit dem Fall Magnitski befassten russischen Richtern und Staatsanwälten die Einreise in die USA. Der Jurist und Mitarbeiter von Hermitage Capital, Sergej Magnitski, starb 2009, offenbar an unterlassener ärztlicher Hilfeleistung, in einem Moskauer Gefängnis.
Seit einiger Zeit werben russische Politiker und Medien nun verstärkt darum, dass russische Kinder im Land adoptiert werden. Kinder in die USA zur Adoption zu geben, sei eine „Schande“. Mit dieser Kampagne wolle der Kreml zeigen, dass er „für Werte“ kämpft, schrieb die Moskauer Tageszeitung Kommersant. Mit dem Eintreten für zivilgesellschaftliche Werte und dem Werben für einen „russischen Entwicklungsweg“ wolle der Kreml zudem sein Ansehen aufbessern. Schon mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft an Gérard Depardieu habe Moskau zeigen wollen, „dass es nicht nur eine Gas-Pipeline, Nuklear-Raketen und das Veto-Recht im UN-Sicherheitsrat hat“, schreibt das Blatt.
Doch nicht nur beim Kinderschutz geht der Kreml in die Offensive. Auch der Kampf gegen die Korruption wird neuerdings auf breiter Front geführt. Im Visier der Ermittler stehen jetzt nicht mehr nur in der Öffentlichkeit unbekannte Beamte, sondern bekannte Gesichter, wie Ex-Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow, der im November letzten Jahres seinen Hut nehmen musste. Anlass des Rücktrittes war Betrug beim Verkauf von Armee-Immobilien, wodurch dem russischen Staat ein Schaden von 325 Millionen Euro entstand. Übrigens nahezu der gleiche Vorwurf, für den drei Jahre zuvor Sergej Magnitski ins Gefängnis gesperrt wurde und dort starb.
Am Finanzamt vorbei
Die neue russische Sittenstrenge hat auch die Duma erfasst. Letzte Woche musste – ausgerechnet – der Vorsitzende der Duma-Ethik-Kommission, Wladimir Pechtin, zurücktreten. Anlass waren von Blogger Alexej Nawalni veröffentlichte Dokumente, laut denen Pechtin in Miami und Florida Immobilien im Wert von zwei Millionen Dollar besitzt. Russischen Beamten ist es nicht verboten, Immobilien im Ausland zu besitzen. Doch Pechtin hatte leider vergessen, die Wohnungen in Florida und Miami beim russischen Finanzamt anzumelden.
Nun erklärte er, er wolle durch seinen Rücktritt vermeiden, dass seine Partei „Einiges Russland“ mit ungerechtfertigten Vorwürfen konfrontiert werde. Sie gilt als reine Putin-Wahlpartei, mit der der Präsident das Parlament beherrscht. In ihren Reihen gibt es mehrere Abgeordnete mit Grundbesitz im westlichen Ausland, doch zeigte man sich bislang gelassen und dankte Pechtin nur für seinen „ehrlichen und verantwortungsvollen Schritt“.
Allerdings soll es solche Peinlichkeiten künftig nicht mehr geben. Die Duma berät jetzt über eine – natürlich von Wladimir Putin initiierte – Gesetzesinitiative, nach der russische Spitzen-Beamte gar keine Immobilien und Konten mehr im Ausland besitzen dürfen, angeblich um sie vor Erpressbarkeit durch andere Staaten zu schützen. Nach dem Rücktritt von Pechtin erfreut sich die russische Opposition über ihren Punktsieg gegen die Kreml-Partei, die der Blogger Alexej Nawalni die „Partei der Diebe und Betrüger“ genannt hatte. So könnten Rücktritte von Duma-Abgeordneten in Zukunft häufiger vor- und dem Kreml gar nicht ungelegen kommen – kann er doch so zeigen, dass er den Kampf gegen Korruption richtig ernst meint.
veröffentlicht in: Sächsische Zeitung