Russlands neuer Verteidigungsminister Belousow will Rüstung in Gesamtwirtschaft integrieren (Overton-Magazin)
Am Sonntagabend wurde überraschend bekannt, dass der russische Präsident Wladimir Putin den Verteidigungsminister Sergej Schojgu nach zwölf Jahren Amtszeit von seinem Posten entlässt.
Der Nachfolger von Schojgu wird der Wirtschaftsexperte Andrej Belousow. Er ist 65 Jahre alt, Doktor der Ökonomie und war von 2012 bis 2013 Minister für wirtschaftliche Entwicklung. Der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow, der für die direkte militärische Planung von Militäroperationen verantwortlich ist, bleibt im Amt.
Belousow entwarf neue Leitlinien für die Wirtschaftspolitik
Belousow soll nach den Aussagen von Putins Sprecher, Dmitri Peskow, die Entwicklung der russischen Rüstungsindustrie und die technologische Unabhängigkeit Russlands vom Ausland vorantreiben. Peskow erklärte, dass der Anteil des Rüstungshaushaltes am Gesamtbudget bereits 6,7 Prozent ausmache. Russland nähere sich langsam der Situation Mitte der 1980er Jahre, als die Rüstungsausgaben bei 7,4 Prozent lagen. Das sei „nicht kritisch“, aber es sei sehr wichtig, die Rüstungsindustrie „in die Wirtschaft zu integrieren“.
Ab 2020 war Belousow „Erster Stellvertretender Ministerpräsident“. Man muss wissen: Es gibt in Russland mehrere stellvertretende Premiers. Als „erster Vize-Premier“ war der Schwerpunkt seiner Aufgaben Leitlinien im Wirtschafts- und Finanzbereich zu entwickeln. 2021 – während der Corona-Krise – sprach sich Belousow in einem Interview dafür aus, dass die russischen Metallurgie-Unternehmen wegen Extra-Gewinnen an den Staat eine Abgabe von umgerechnet einer Milliarde Euro zahlen. Im Dezember 2023 erklärte Finanzminister Anton Siluanow, aus der Geschäftswelt seien umgerechnet drei Milliarden Euro für Extra-Gewinne auf ein spezielles Konto des Finanzministeriums eingezahlt worden.
Kritik an Bürokratie
Am Tag der Ernennung von Belousow veröffentlichten russische Medien kritische Äußerungen des neuen Verteidigungsministers über die soziale Versorgung der russischen Soldaten, die an der „Spezialoperation“ in der Ukraine teilnehmen. Es sei „absolut nicht in Ordnung“, wenn Teilnehmer der „Spezialoperation“ in der Ukraine im Urlaub „zu verschiedenen zivilen Gesundheitseinrichtungen und in Krankenhäuser geschickt werden.“ Dieses Problem müsse geklärt werden.
Auch bei der Regelung von Privilegien für Teilnehmer der „Spezialoperation“ gäbe es „zu viel Bürokratie“. Die Teilnehmer der Spezialoperation bekämen im Monat umgerechnet 2.000 Euro. Doch es gäbe Probleme mit der Bereitstellung von Wohnraum für Soldaten.
Schoigu seit 1991 Mitglied der russischen Regierung
Die Gründe für die Absetzung von Sergej Schoigu sind nicht völlig klar. Die Absetzung kam sehr abrupt und über Schojgu, der immerhin seit 1991 Mitglied der russischen Regierung war, gibt von offizieller Seite in Moskau heute kein negatives Wort.
Offenbar hielt Putin Schojgu nicht für geeignet, Militär und Wirtschaft so zu verzahnen, dass man militärisch weiter Erfolge erringen kann. Dazu wollte man Jemanden berufen, der mehr wirtschaftswissenschaftlichen Wissen hat.
In der Funktion des Ministers für Katastrophenschutz gewann Sergej Schojgu in der russischen Bevölkerung Ansehen, denn es gab vor allem in den 1990er Jahren viele Notstandsituationen in Russland, bei denen die Retter des Schojgu-Ministeriums wichtige Hilfe leisteten. Die Popularität von Schojgu war hoch. Er war zusammen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow einer der am längsten gedienten Mitglieder der russischen Regierung.
Doch es gab in letzter Zeit Ereignisse, bei denen Schojgu keine glückliche Figur machte. In der ersten Hälfte des Jahres 2023 bezichtigte Jewgeni Prigoschin, der Leiter des Wagner-Bataillons, die russische Militärführung in mehreren Video-Ansprachen der schleppenden Lieferung von Munition an die Front in der Ukraine. Die militärische Führung schwieg zu diesen Vorwürfen. Das war kein Wunder, denn in einem Krieg führen Militär-Kommandeure keine öffentlichen Diskussionen. Schließlich eskalierte Prigoschin im Juni 2023 mit einem Marsch bewaffneter Kräfte Richtung Moskau. Das Auftreten von Prigoschin zeigte, wohin es führen kann, wenn man militärische Aufgaben aus der Armee ausgliedert und einer Privatarmee übergibt.
Im April dieses Jahres kam es dann zu einem weiteren Zwischenfall, der kein gutes Licht auf den Verteidigungsminister warf. Einer seiner Stellvertreter, Timur Iwanow, wurde am 23. April 2024 wegen der Annahme von Schmiergeldern in Höhe von umgerechnet zwölf Millionen Euro verhaftet.
Fragen wirft die Zukunft des bisherigen Verteidigungsministers Sergej Schojgu auf. Zunächst hieß es, er solle Sekretär des russischen Sicherheitsrates werden und in dieser Funktion die wirtschaftlich-technische Zusammenarbeit mit anderen Staaten leiten. Er wäre dann auch verantwortlich für Kontakte mit den USA gewesen. Doch am Montagnachmittag erklärte der Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, Schojgu werde auf diesem neuen Posten bei der wirtschaftlich-technische Zusammenarbeit mit anderen Staaten nur „beratend“ aber nicht „leitend“ tätig sein.
Neue „nationale Projekte“ vor allem im militärischen Bereich
Nach der Amtseinführung von Wladimir Putin wurden in der russischen Regierung die Aufgaben teilweise neu verteilt. Der jetzige Premier Michail Mischustin bleibt im Amt.
Für den freigewordenen Posten des „erste Vizepremier“ ernannte der russische Präsident Denis Manturow, der bisher Minister für Industrie und Handel war. Die von Manturow anvisierten Ziele, sind denen von Belousow ähnlich. Schwerpunkt seiner Arbeit werde die nationale Sicherheit und die Ankurbelung der Rüstungsproduktion sein, erklärte Manturow. Man müsse sich bemühen, die technologische Unabhängigkeit Russlands, die es zu Zeiten der Sowjetunion gab, wiederherzustellen.
Schwerpunkt Satellitenproduktion und neue Trägerraketen
Auf einer Sitzung des Haushaltsausschusses der Duma erklärte Manturow, er werde einen Schwerpunkt auf die Entwicklung der Satellitenproduktion und neue, mehrfachverwendbare Trägerraketen setzen.
In der Industrie werde er sich für neue nationale Projekte auf dem Gebiet der Werkzeugmaschinen, der Industrieroboter und komplexe Produktionslinien in der Chemieindustrie einsetzen. Weiter seien wichtig die Produktion von russischer Elektronik, neue Passagierflugzeuge, Schiffe, Eisenbahnzüge, Automobile, Landwirtschaftstechnik und Ausrüstung für Heizkraftwerke.
Bei seiner Vorstellung in der Duma, erklärte Manturow, in diesem Jahr würden in Russland „mehr als 110 Schiffe“ gebaut. Im letzten Jahr seien es 108 gewesen. Allein im letzten Jahr seien im russischen Rüstungssektor eine halbe Million neue Beschäftigte eingestellt worden.
Kommunisten enthalten sich bei der Abstimmung
Am Montag wurde im russischen Unterhaus über die von Wladimir Putin vorgeschlagene Ernennung von zehn neuen stellvertretenden Ministerpräsidenten mit zum Teil neuen Aufgabenbereichen abgestimmt. Bei sechs Kandidaten gab es 55 bis 66 Enthaltungen, insgesamt aber nur zwei Gegenstimmen. Ein Großteil der Enthaltungen und Gegenstimmen kam vermutlich von den Kommunisten, welche mit einzelnen Kandidaten nicht zufrieden waren.
Für Ministerpräsident Michail Mischustin stimmten 375 Abgeordnete, 57 enthielten sich. Der Fraktionsführer der KPRF, Gennadi Sjuganow, hatte erklärt, bei Mischustin werde man sich enthalten.
Man muss wissen: Nach den 2020 verabschiedeten Änderung der russischen Verfassung, hat das Parlament das Recht, die Kandidatur des Ministerpräsidenten und seiner Stellvertreter zu bestätigen oder abzulehnen. Nach der Bestätigung durch die Duma, in der die Regierungspartei Einiges Russland die absolute Mehrheit hat, werden der Ministerpräsident und seine Stellvertreter von Wladimir Putin ernannt.
Die nächsten Tage werden in Moskau spannend werden. Denn es wird sicher Neuigkeiten zu der Absetzung des Verteidigungsminister Schojgu geben. Für die Öffentlichkeit ist das Ganze noch nicht richtig nachvollziehbar.
veröffentlicht in: Overtone-Magazin