21. January 2012

Russlands Rechte suchen Bürgernähe

Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau

Die Behörden gehen zwar schärfer gegen Skinheads vor, trotzdem kostete der rechte Terror im Vorjahr 20 Menschen das Leben.

Trotz eisigen Wetters zogen in Moskau rund 1000 Antifaschisten über den Twerskoi-Boulevard zum Neuen-Puschkin-Platz. Die Demonstranten – vor allem junge Linke und gestandene Liberale – gedachten des Mordes an dem Rechtsanwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasija Baburowa. Beide waren am 19. Januar 2009 nach einer Pressekonferenz in Moskau auf offener Straße von dem Rechtsradikalen Nikita Tichonow erschossen worden. (Fotos)

Gedacht wurde der Opfer der Bluttat auch anderswo in Russland. Doch gleich in drei Städten gab es Zwischenfälle. In Moskau wurden in der U-Bahn-Station Arbatskaja Antifaschisten von Rechtsradikalen überfallen, in St. Petersburg Teilnehmer der Gedenk-Kundgebung in der U-Bahn-Station Majakowskaja von Rechtsradikalen mit Gaspistolen beschossen und in Woronesch drei Demonstranten von zehn Schlägern überfallen.

Zahl der Überfälle geht zurück

Der Mörder Markelows wurde im Vorjahr von einem Moskauer Gericht zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Auch seine Freundin muss wegen Beihilfe zum Mord 18 Jahre im Arbeitslager absitzen. Der ermordete Rechtsanwalt war zur Hass-Figur der Rechtsradikalen geworden, weil er Antifaschisten, Tschetschenen und Umweltschützer verteidigt hatte.

Inzwischen verfolgen die Justizbehörden die Überfälle von Skinheads und Nationalisten auf nicht-russische Gastarbeiter und Antifaschisten spürbar stärker, weil man im Kreml die gesellschaftliche Gefahr erkannt hat. Seither hat die Zahl gewaltsamer Übergriffe stark abgenommen. Trotzdem wurden im letzten Jahr in Russland immerhin noch 20 Menschen bei neonazistischen Überfällen getötet und 130 Personen verletzt.

Um neues Image bemüht

Bekannte rechtsradikale Führer wie Alexander Below versuchen inzwischen, den Rechtsradikalen ein bürgernahes Image zu geben. So stand der letzte „Russische Marsch“ im vergangenen November unter der Parole „Wir haben den Kaukasus lange genug gefüttert“, womit man an die weitverbreiteten Vorbehalte gegen Kaukasier anknüpfte. Nach Ansicht der Nationalisten erhalten die nordkaukasischen Teilrepubliken, in den vor allem Moslems leben, zu viel finanzielle Unterstützung aus Moskau. Besorgnis unter Demokraten löst aus, dass die Nationalisten inzwischen auch in der neuen russischen Protestbewegung gegen Wahlfälschungen Fuß gefasst haben.

veröffentlicht in: Sächsische Zeitung

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