Russlands unsichtbare Opposition
Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau
Gibt es die Opposition in Russland überhaupt noch, fragt man sich nach den kleinen Demonstrationen in Moskau und St. Petersburg vom Wochenende, oder haben sich die Russen mit dem von Putin geschaffenen autoritären System abgefunden? Sind die Bürger bereit zu dem Tausch bescheidener Wohlstand gegen politische Freiheiten? Oder – wer gehört eigentlich zur Opposition in Russland?
Kleine Bürgerinitiativensetzen unmerklich Zeichen
Es gibt in Russland durchaus Ansätze einer Zivilgesellschaft, die zu einem großen Teil auch oppositionell eingestellt ist. Die zahlreichen kleinen Bürgerinitiativen, die gegen das Gasprom-Hochhaus in St. Petersburg, die Abholzung eines Waldes bei Moskau oder die Erhöhung der Import-Zölle für West-Autos kämpfen, die unabhängige Lokführergewerkschaft, die für ihre Mitglieder eine dreißigprozentige Lohnerhöhung erstreikt, all das schafft oft nicht den Weg in die Schlagzeilen. Aber sie sind ein Zeichen, dass es – trotz oft harter Verfolgung kritischer Journalisten und Bürgerrechtler – sogar kleine Erfolge gibt. Auch wer die offiziellen Wahlergebnisse anzweifelt oder gegen eine Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten protestiert, gehört durchaus zur Opposition.
Sjuganows Kommunisten sind keine wirkliche Opposition
Aber was ist mit Gennadi Sjuganow, dem Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, der – obwohl seine Partei bei den Duma-Wahlen im Dezember 2008 12,7 Prozent der Stimmen bekam – im Staats-Fernsehen fast nicht zu Wort kommt, obwohl er gegen Putin und Medwedjew nur noch selten das Wort erhebt? Gehört er zur Opposition? Viele Liberale, allen voran Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow, bestreiten das. Opposition sei nur, wer „gegen das Regime“ kämpfe. Sjuganow sieht sich selbst allerdings als Oppositionellen. Nur mit Kasparow will er nicht zusammengehen, weil der ihm zu US-freundlich ist.
In Kasparows „Solidarnost“fehlen wichtige Gesichter
In Kasparows Neugründung „Solidarnost“ sammeln sich Teile der rechtsliberalen Union der Rechten Kräfte (SPS), die seit 2003 nicht mehr im Parlament vertreten ist, wie Ex-Vizepremier Boris Nemzow, das Jabloko-Mitglied Ilja Jaschin und der Schriftsteller Wladimir Bukowski, der als Sowjet-Dissident jahrelang im Exil in England lebte. Wichtige Personen der liberalen Opposition fehlen jedoch in der neuen Organisation, die ziemlich großspurig als neues Sammelbecken bezeichnet wird. Weder die Führung der sozialliberalen Jabloko, noch der von Putin 2003 geschasste Premier Michail Kasjanow mit seiner Volksdemokratischen Union, schlossen sich an.
Grabenkämpfe machen eine Programmatik unmöglich
Ob Solidarnost über das Anfangsstadium hinauskommt, ist unsicher. Auf dem Gründungskongress konnte man sich wegen der üblichen Abgrenzungskämpfe der führenden Initiatoren noch nicht einmal auf ein Programm einigen. Das von Kasparow und dem Nationalbolschewisten und Schriftsteller Eduard Limonow geführte Oppositionsbündnis „Das andere Russland“ konnte zu besten Zeiten in Moskau und St. Petersburg jeweils bis zu 2000 Menschen auf die Straße bringen, was für russische Verhältnisse viel ist. Doch wegen der Demonstrationsverbote beteiligen sich immer weniger Menschen.
Die Liberalen Kräfte werden immer schwächer
Die demokratischen und liberalen Parteien, die Russland nach westlichem Vorbild umformen wollten – „Wahl Russlands“, „Jabloko“ und „Demokratische Partei“– , starteten bei den Duma-Wahlen 1993 mit zusammen 29 Prozent. 2007 erreichten die vier demokratischen Parteien zusammen nur noch 3,75 Prozent. Seit Putin an der Macht ist, werden die offiziellen Wahlergebnisse in Russland zwar von der Opposition angezweifelt. Doch die meisten Experten glauben, dass die liberalen Parteien auch bei fairen Wahlen an der Sieben-Prozent-Hürde scheitern würden.
"Sächsische Zeitung"