Schutz und Trutz
Die beiden Organisatoren der Ausstellung „Verbotene Kunst — 2006“, Andrej Jerofejew und Jurij Samodurow, wurden von einem Moskauer Gericht Mitte Juli zu Geldstrafen verurteilt. Die Vorwürfe der Richterin gegen Jurij Samodurow und Andrej Jerofejew, die die konsum- und kirchenkritische Ausstellung „Verbotene Kunst 2006“ organisiert hatten, klangen monströs: Die gläubigen Bürger seien durch die ausgestellten Bilder, Jesus mit Mickey Mouse und eine Ikone gefüllt mit Kaviar, einer „psycho-traumatischen Einwirkung“ ausgesetzt worden. Der Staatsanwalt forderte jeweils drei Jahre Arbeitslager für die Organisatoren der Ausstellung, die im März 2007 im Moskauer Sacharow-Zentrum, einem Treffpunkt der Moskauer Menschenrechtsszene, gezeigt wurde.
Das Urteil, welches die Richter am Moskauer Taganka-Gericht sprachen, war dann jedoch vergleichsweise milde. Der Ausstellungskurator Andrej Jerofejew und der ehemalige Chef des Moskauer Sacharow-Zentrums, Jurij Samodurow, müssen 3.800 beziehungsweise 5.100 Euro Strafe bezahlen. Die beiden wollen das Urteil anfechten. Denn dass über kritischen Kunst-Ausstellungen auch weiterhin das Damoklesschwert von jahrelangen Streitereien vor Gericht hängt, das wollen die Kunstexperten nicht akzeptieren.
Um die Urteilsverkündung spielten sich tumultartige Szenen ab. Die Künstlergruppe „Wojna“ („Krieg“) ließ aus Protest mehrere Zentimeter große Kakerlaken im Gerichtssaal frei. Um das Gerichtsgebäude veranstalteten Strenggläubige eine Prozession.
Der Prozess gegen Jerofejew und Samodurow ist der vorläufige Höhepunkt eines seit Jahren währenden Streits zwischen kritischen Künstlern und nationalistischen Kräften in der russisch-orthodoxen Kirche. Im Jahre 2003 ging es besonders heiß her. Militante Mitglieder der russisch-orthodoxen Kirche überfielen die Ausstellung „Achtung! Religion“, die ebenfalls im Sacharow-Zentrum gezeigt wurde, und zerstörten mehrere Bilder. Der damalige Leiter des Zentrums Jurij Samodurow und die Kuratorin der Ausstellung Ludmila Wassilewskaja wurden 2005 wegen dem „Schüren von Hass“ zu einer Geldstrafe von je 2.900 Euro verurteilt.
Im Frühjahr 2007 organisierten Jerofejew und Samodurow dann eine zweite Ausstellung unter dem Titel „Verbotene Kunst – 2006“. Bei den gezeigten Bildern handelte es sich um provokative Bild-Montagen mit religiösen Symbolen, die Konsumgier und religiöse Strenge anprangerten. Die gezeigten Bilder waren zuvor von anderen Ausstellungen auf offizielle Anweisung entfernt worden.
Ausstellungsbesucher konnten die Bilder allerdings nur durch Gucklöcher hinter einer weißen Wand sehen. Einen gewalttätigen Überfall organisierten die Rechtsextremen diesmal nicht. Dafür strengte die ultrarechte Organisation „Volkskonzil“ wegen der „Verletzung religiöser Gefühle“ eine Klage gegen die Ausstellung an. Der Prozess wurde von Anhängern der Organisation – Frauen in langen schwarzen Röcken und Männer mit kurz geschorenen Haaren – zum Teil lautstark begleitet.
Doch auch die Anhänger der Angeklagten machten sich lautstark bemerkbar. Einige Tage vor der Urteilsverkündung versammelten sich 300 Menschenrechtler und Liberale vor dem Denkmal des russischen Schriftstellers Aleksander Gribojedow im Stadtzentrum von Moskau zu einer Solidaritätskundgebung mit den Angeklagten Samodurow und Jerofejew. Zu den versammelten Menschen sprach auch der Künstler Dmitrij Wrubel, der 1990 den Kuss zwischen Breschnew und Honecker auf der Berliner Mauer verewigt hatte.
Die Redner äußerten die Befürchtung, dass Gerichtsprozesse gegen kritische Künstler, eine vom Konsum geblendete Bevölkerung sowie ein immer stärker werdender Geheimdienst, den kritischen Geistern im Land immer mehr die Luft abschnüren. Doch es wurde auch gelacht. „Die Leute wollen alle Mixer kaufen“, schrie der Künstler Sergej Pachomow in einer Satire-Einlage mit überdrehter Stimme. „Doch das widerspricht der feinen russischen Tradition.“ Kartoffeln, Mohrrüben, Auberginen, alles werde gemixt. „Von diesen Mixern kommt auch die Mix-Kultur. Die Jugend trifft sich in Untergrund-Clubs und mixt alles. Vom Bier sind ihre Gesichter schon rund wie der Mond, weil das Bier mit Mixern gemixt wird.“
Der Angeklagte Jerofejew rief seine Anhänger auf der Kundgebung auf, nicht die ganze Kirche zu verdammen. Die Nazis seien auch von einzelnen Katholiken unterstützt worden. „Aber dadurch wurde die katholische Kirche nicht faschistisch.“ Ein Zeichen der Hoffnung ist für den Kunst-Kurator die Ausstellung „Doppelwort/Dialog“, die jetzt in der Kirche der Heiligen Tatjana im Stadtzentrum von Moskau gezeigt wird. Dort stellt auch der Maler des Breschnew-Honecker-Kusses, Dmitrij Wrubel aus. Es ist das erste Mal, dass die russisch-orthodoxe Kirche einem bekannten, kritischen Künstler einen prominenten Platz in einer Ausstellung einräumt.
In der Führung der russisch-orthodoxen Kirche will man den Konflikt mit den kritischen Künstlern nicht zuspitzen. Kirchensprecher Wsewolod Tschaplin erklärte vor der Urteilsverkündung am Montag, die Kirche müsse ihre Symbole schützen, man müsse aber auch „barmherzig“ gegenüber den Angeklagten sein.
"Moskauer Deutsche Zeitung"