Sie trinken viel und sterben früh
Besonders viele Alkohol-Tote gebe es zu Beginn des neuen Jahres bei Männern im Alter zwischen 30 und 54 Jahren, erklärte jüngst Aleksandr Nemzow, Professor am Moskauer Psychiatrie-Institut des Gesundheitsministeriums. Doch die Folgen sind viel langfristiger: Die Lebenserwartung russischer Männer ist im Allgemeinen extrem niedrig – Grund ist nach Einschätzung des Rostocker Max-Planck-Instituts für demografische Forschung hauptsächlich der übermäßige Alkoholkonsum.
Denn nicht nur bei den Neujahrsfeiern wird viel getrunken. Im Jahr trinken die Russen pro Kopf 18 Liter reinen Alkohol. „Sie können sich selbst ausrechnen, wie viele Flaschen Wodka das sind – es verschlägt einem den Atem“, erklärte der russische Präsident Dmitri Medwedew. Medwedew hat der Volksseuche Alkohol den Kampf angesagt. Doch außer Verboten ist ihm noch kein geeignetes Mittel gegen die Volkskrankheit eingefallen.
Bereits im September gab der russische Amtsarzt, Gennadi Onischtschenko, bekannt, dass 2,5 Millionen Menschen in Russland alkoholkrank seien. Die Dunkelziffer ist jedoch nach Meinung von Experten wesentlich höher. Wie die russische „Gesellschaftskammer“ bekannt gab, sterben jährlich 500 000 Menschen an den Folgen des Alkohol-Konsums. Das heißt jeder Vierte stirbt an der Volksseuche.
Schon seit Jahren sorgt sich der Kreml um die hohe Sterblichkeit im Land. Die Lebenserwartung der russischen Männer liegt bei nur 60 Jahren, die von Frauen bei 74 Jahren. In Deutschland werden die Menschen im Schnitt 77 Jahre alt. Ohne Gastarbeiter aus Tadschikistan und Usbekistan, die Häuser bauen und Straßen reinigen, würde in Russland nichts mehr laufen. Das müssen selbst russische Patrioten eingestehen. Die sinkende Geburtenrate und die hohe Sterblichkeit haben in Russland bereits zu einem Mangel an jungen Facharbeitern geführt.
Mit dem Bier geht es los, meint der russische Präsident. Bier, das in Russland als nichtalkoholisches Getränk gilt, sei für viele Jugendliche der Einstieg zum Alkohol. Von daher müssten die Gesetze für die Reklame von Alkohol und Bier noch einmal verschärft werden. Für „harte Getränke“ darf im Fernsehen seit einiger Zeit nicht mehr geworben werden. Werbung für den Gerstensaft ist erst ab 22 Uhr erlaubt.
Rechtzeitig vor den Feiertagen hat die russische Duma nun in zweiter Lesung ein Gesetz verabschiedet, welches den Verkauf von Bier und leicht-alkoholischen Getränken in Straßenkiosken verbieten soll. Damit soll der Alkohol-Konsum bei Kindern und Jugendlichen eingedämmt werden.
Dass allein Alkohol-Verbote in Russland etwas bewirken, wird von Beobachtern dennoch bezweifelt. Denn sobald der legal verkaufte Wodka zu teuer wird oder es zu Versorgungsengpässen beim Alkohol kommt, steigen die Alkoholiker auf schwarz gebrannten Wodka oder alkoholhaltige Ersatzstoffe wie Fensterputzmittel oder Mittel zum Feuer anzünden um. Im November 2006 wurden in Russland 5000 Personen in Krankenhäuser eingeliefert, die sich beim Konsum von alkoholhaltigen Ersatzmitteln vergiftet hatten. Damals war es bei einem neu eingeführten Computersystem zur staatlichen Kontrolle des Alkoholverkaufs zu einem Systemausfall gekommen. Und weil es keine Steuermarken mehr gab, waren die Wodka-Regale in den Supermärkten wochenlang leer.
Dass man als Alkoholiker ärztlichen Rat aufsucht, vielleicht sogar zum Psychologen geht, ist bei russischen Männern immer noch verpönt. Wer wegen persönlicher Probleme zum Arzt geht, gilt als Schwächling. Wer wegen übermäßiger Alkoholabhängigkeit Probleme in der Familie oder am Arbeitsplatz bekommt, ist höchstens bereit, sich ein Mittel in den Körper implantieren zu lassen, das beim Trinken von Alkohol Übelkeit und Angst auslöst. Derartige Mittel sind im Westen umstritten.
"Südkurier"