30. November 2007

Sind die Parlamentswahlen in Russland wirklich fair?

Die Russen entscheiden am Sonntag über das neue Parlament.

Die SZ beantwortet wichtige Fragen zur Wahl. Niemand zweifelt daran, dass die Kreml-Partei „Einiges Russland“ die Duma-Wahlen am kommenden Sonntag haushoch gewinnt. Sie setzt darauf, dass sie aufgrund ihrer Machtstellung im Parlament – sie stellt zwei Drittel der Abgeordneten – und ihrer Nähe zum Kreml von der Mehrheit der Russen gewählt wird.

WIE BEEINFLUSST DER
KREML DEN WAHLKAMPF?
Der „administrative Apparat“ arbeitet
auf Hochtouren. Gouverneure,
Bürgermeister, Unternehmensund
Institutsleiter mahnen, Arbeits-
und Studienplätze, Löhne
und Sozialleistungen seien nur
beim Sieg der Partei „Einiges Russland“
mit Spitzenkandidat Putin
gesichert, andernfalls drohe ein
Rückfall in die chaotischen 90er
Jahre, wo Löhne und Renten nur
unregelmäßig gezahlt wurden.
WAR DER WAHLKAMPF
WIRKLICH FAIR?
Beobachter registrieren massive
Behinderungen und Benachteiligungen
der Opposition. Im Fernsehen,
das die Meinungsbildung in
Russland maßgeblich prägt, dominiert

die Partei „Einiges Russland“mit Präsident

Putin. Alle anderenParteien kommen nur am Rande zu
Wort. Scharfe Kreml-Kritiker, wie
Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow
und der liberale Duma-Abgeordnete
Wladimir Ryschkow, haben
im Fernsehen Auftrittsverbot.
WELCHE RISIKEN GIBT ES FÜR
DEN KREML BEI DER WAHL?
Eine geringe Wahlbeteiligung –
„weil ja doch schon alles entschieden“
– oder ein schlechtes Ergebnis
für „Einiges Russland“ kämen für
Putin einer Niederlage gleich. Aus
dem Kreml gibt es offenbar klare
Vorgaben. Der Leiter der Wahlkommission,
Wladimir Tschurow, war
sich schon im Juli „sicher“, dass die
Wahlbeteiligung am 2. Dezember
„bei 60 Prozent“ liegt. Die Menschenrechtsorganisation
„Golos“
berichtet, dass in der russischen
Provinz massenweise Berechtigungsscheine
für eine vorgezogene
Abstimmung direkt am Arbeitsplatz
ausgegeben werden. So versucht
man offenbar, die Wahlbeteiligung
zu erhöhen.
WAS STEHT FÜR PRÄSIDENT
PUTIN AUF DEM SPIEL?
Putin möchte mit einem eindrucksvollen
Wahlergebnis für „Einiges
Russland“ im Rücken auch nach
seinem Amtsende eine führende
Rolle in Russland spielen. Egal, welchen
Posten er übernimmt, Parteichef,
Parlamentspräsident, Regierungschef
oder Direktor eines der
großen Staatsunternehmen – er
wird die russische Politik maßgeblich
bestimmen. Dem Kreml-Chef
geht es zugleich um die Sicherung
der Interessen seiner engsten Berater
¨ – ehemaligen Geheimdienst-
Mitarbeitern und Chefs von Staatsunternehmen
aus St. Petersburg,
die er um sich geschart hat.
WELCHE ROLLE SPIELEN
DIE ANDEREN PARTEIEN?
Die Stimmen für die Kommunisten
sind Proteststimmen gegen eine
Wirtschaftspolitik, die die Interessen
der kleinen Leute übergeht. Die
Partei stellt soziale Forderungen
und agitiert vor allem gegen den
Westen. Dabei kommt es auch immer
wieder zu antisemitischen
Ausfällen. Der Chef der Liberaldemokraten,
der Ultranationalist
Wladimir Schirinowski, rühmt sich,
dass Russlands autoritärer Kurs auf
seine Initiative zurückgeht.
WIE WIRKT SICH DIE WAHL
AUF DEUTSCHLAND AUS?
Präsident Putin hatte im Wahlkampf
einen scharfen anti-westlichen
Ton angeschlagen. Der
Kreml-Chef behauptete, westliche
Länder finanzierten die Opposition.
Konkrete Staaten nannte Putin
allerdings nicht. Besonders die Beziehungen
zu den USA und Großbritannien
haben sich verschlechtert.
Russland beginnt, sich vom
Westen zu isolieren und wird weniger
berechenbar. Es gibt Zweifel, ob
das zentralisierte politische System
künftig in der Lage ist, mit Krisen
fertig zu werden. Banken-Turbulenzen,
die galoppierende Inflation,
die Interessen unterschiedlicher
Clans und Wirtschaftsbosse – all
das könnte zu einer Herrschaftskrise
und unkontrollierten Entwicklungen
führen. Für Deutschland
sind das keine guten Aussichten.

"Sächsische Zeitung"

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