Skinheads machen Jagd auf "freche Köter
Die Überfälle von Rechtsradikalen häufen sich und bleiben oft ungeahndet. Iwan Jelin liegt schwer verletzt in einem Krankenhaus in St. Petersburg.
Rechtsradikale waren mit Messern über ihn hergefallen. Der 21-jährige Russe hilft Obdachlosen und beteiligt sich oft an Protestaktionen von Tierschützern. Dabei fällt er sofort auf, denn selbst im Winter geht Iwan nur leichtbekleidet auf die Straße.
Auf seinem Rucksack prangt ein Anstecker "Good night, white pride!" ("Gute Nacht, weißer Hochmut"). Iwan ist Pazifist. Vielleicht war das sein Verhängnis. Denn die Skinheads von St. Petersburg suchen sich ihre Opfer neuerdings mit Vorliebe unter den Pazifisten. Jelin bekam 20 Stiche; seine Leber und sein Zwerchfell wurden verletzt. Er wurde operiert. Am Mittwoch kamen Freunde und Bekannte, um Blut zu spenden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Mordversuchs. Angriff auf dem Heimweg All das gehört inzwischen zum Alltag der Newa-Stadt, der Hochburg der russischen Skinheads. Fast wöchentlich kommt es zu rechtsradikalen Überfällen. Die Skinhead-Angreifer werden meist nicht verhaftet. Die Ermittlungen verlaufen meist im Sande. Am letzten Sonntag hatte sich Iwan Jelin an der Aktion "Essen statt Bomben" vor dem Dostojewski-Denkmal beteiligt. Skinheads, die Obdachlose am liebsten "beseitigen" würden, empfanden die Aktion als Zumutung. Auf dem Heimweg wurde Jelin kurz vor seiner Wohnung von acht Rechtsextremisten mit Messern überfallen. Der Angriff dauerte nur wenige Minuten. Die meisten Stiche bekam der junge Mann in die Hände, mit denen er versucht hatte, den Kopf und den Hals zu schützen. Als die Angreifer von ihm abließen, war Iwan noch bei Bewusstsein. So konnte er noch seine Freundin anrufen, die in der Wohnung auf ihn wartete. Auf den Websites der St. Petersburger Rechtsradikalen war der Überfall als "Bestrafung" diskutiert worden. Es hieß, man müsse den pazifistischen Antifaschisten eine Abreibung verpassen, weil "diese Köter" sonst "frech werden". Stiche in den Hals Jelin ist das dritte Opfer einer gezielten Messerattacke auf Teilnehmer der Essensausgabe für Obdachlose. Bisher gab es in keinem dieser Fälle ein ernsthaftes juristisches Nachspiel. Am 10. Dezember waren zwei Antifaschisten, die sich an der Hilfsaktion beteiligt hatten, von Rechtsextremen überfallen und verletzt worden. Im November 2005 starb der 20-jährige Timur Katscharawa, Antifaschist und Gitarrist der Punk-Gruppe "Sandinista!", nach einem Messerstich in den Hals. Ein Verfahren gegen die Verdächtigen wurde bis heute nicht eingeleitet. St. Petersburg gilt als die russische Skinhead-Hochburg. Aber auch in Moskau nimmt der rechtsradikale Terror zu. Am 22.Dezember 2006 verübten unbekannte Täter im Moskauer Vorort Ljublino einen Bombenanschlag auf einen 20-Jährigen. Im April war der Moskauer Alexander Rjuchin vor einem Musik-Klub durch Messerstiche getötet worden. Die Polizei nahm mehrere Verdächtige fest. Doch die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht wegen Mordversuch, sondern wegen Rowdytum. Schleppende Ermittlungen Die Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe, Ljudmila Alexejewa, erklärte, die russische Staatsanwaltschaft sei offenbar nicht an weiteren Ermittlungen im Fall Rjuchin interessiert. Wenn man alle Überfälle untersuchen und die Verantwortlichen vor Gericht stellen würde, erklärte sie, dann würde sich der rechtsradikale Terror nicht so ungehindert ausbreiten.
Sächsische Zeitung