16. March 2009

Sotschi: Kremlkritiker will Stadtchef werden

Wahlen. In der Olympiastadt 2014 kandidiert auch ein berüchtigter Exmajor des russischen Inlandsgeheimdienstes.

ULRICH HEYDEN Moskau (SN). In Sotschi, wo 2014 die Winterolympiade stattfinden soll, könnte es zu einem Showdown zwischen dem Rechtsliberalen Boris Nemzow und dem Nationalisten Andrej Lugowoj kommen. Nemzow, stellvertretender Vorsitzender des von Exschachweltmeister Garri Kasparow geführten Oppositionsbündnisses „Solidarnost“, will in der Stadt am Schwarzen Meer bei den vorgezogenen Bürgermeisterwahlen am 26. April antreten. Am Freitag wurde bekannt, dass auch der ehemalige Geheimdienstmajor Andrej Lugowoj kandidieren möchte.

Er zählt zu den „Liberaldemokraten“ des weit rechts stehenden Wladimir Schirinowski. Die kremlnahe Partei „Geeintes Russland“ dürfte das geschäftsführende Stadtoberhaupt Anatoli Pachomow unterstützen. Eine Kandidatur des Oppositionellen Nemzow käme Russlands Präsidenten Dmitrij Medwedew durchaus gelegen, könnte sich Sotschi in der internationalen Öffentlichkeit doch so als liberale, weltoffene Stadt präsentieren.

Wegen der Olympia-Bauarbeiten ist der Posten in Sotschi ein heißer Stuhl. Der erst im Juni 2008 gewählte Bürgermeister ist im Oktober aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten. Der „Mer“, wie Bürgermeister in Russland heißen, muss in Sotschi nicht nur mit der Bevölkerung klarkommen, die Beeinträchtigungen durch die Olympia-Baumaßnahmen kritisiert und sich gegen Umsiedlungen wehrt, sondern auch mit der örtlichen Geschäftswelt, die hofft, von den 5,7 Milliarden Dollar zu profitieren, die der Kreml für die Olympia-Infrastruktur bereitgestellt hat.

Boris Nemzow war als Vizepremier in den 90er-Jahren für die chaotischen Wirtschaftsreformen mitverantwortlich und ist daher in der russischen Bevölkerung nicht besonders angesehen. Allerdings verfügt er über einen wichtigen Standortvorteil: Er wurde in Sotschi geboren, was bei Wahlen in Russland viel zählt.

Auch Lugowoj liegt kaum im Mainstream. Für die Nationalisten ist der Exmajor des Inlandsgeheimdienstes FSB ein Held. Die britische Scotland Yard beschuldigt den 42-Jährigen, er sei in die tödliche Vergiftung des Kremlkritikers Aleksander Litwinenko mit radioaktivem Polonium in London verwickelt gewesen. Kurz vor seinem Tod hatte Litwinenko noch Wladimir Putin persönlich für das Attentat verantwortlich gemacht. Die Staatsanwaltschaft in London forderte im Mai 2007 die Auslieferung Lugowojs, Russland lehnte mit Hinweis auf die Verfassung ab.

"Salzburger Nachrichten"

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