Stalin, ein Mann mit "Führungsqualitäten"
Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau
Für den Chef der Kommunistischen Partei, Gennadi Sjuganow, ist Stalin einer der größten Helden, die das Land zu bieten hat. Am Montag stapfte der KP-Chef mit ein paar Tausend Anhängern durch den Schnee zum Grab von Stalin, dessen Gebeine immer noch an der Kremlmauer beerdigt liegen.
Zum 130. Geburtstag des „Generalissimus“ legten Sjuganow und seine Getreuen Blumen und Kränze am Grab nieder. Jugendliche mit roten Halstüchern winkelten den Arm an, zum Pioniergruß, Parteichef Sjuganow verneigte sich ehrfürchtig vor der steinernen Büste des Generalissimus.
Auf einer Festveranstaltung hatte Sjuganow zuvor die Leistungen Stalins bei der Industrialisierung des Landes gepriesen. „6000 moderne Fabriken“ und eine Flugzeugindustrie seien vor dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut worden. Die „inneren Reserven“ des Landes seien „maximal genutzt“ worden.Kein Wort verlor der Partei-Chef darüber, dass Stahlhütten, Kanäle und Bergwerke oft buchstäblich auf den Knochen von Gulag-Häftlingen errichtet wurden. Kein Wort auch über die zahlreichen Generäle die vor dem Überfall auf die Sowjetunion als „Verräter“ und „Spione“ erschossen wurden, womit das Vorstoßen der Hitler-Wehrmacht faktisch erleichtert wurde.
Zum runden Geburtstag müsse des als Josef Dschugaschwili in Georgien geborenen Stalin als „Schöpfer, Denker und Patriot“ gedacht werden, tönte auch der stellvertretende Duma-Präsident Iwan Melnikow von der KP.
Medwedjew mahnt
Die Sichtweise, dass alle Opfer gerechtfertigt sind, da sie dem Sieg über Hitler-Deutschland dienten, wurde sowohl von Wladimir Putin als auch von Präsident Dmitri Medwedjew in den letzten Monaten mehrfach zurückgewiesen. Medwedjew erklärte zum „Jahrestag der Repressierten“ am 30. Oktober in seinem Videoblog, in den zwanzig Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg seien „ganze Gesellschaftsschichten“ vernichtet worden.
Der russische Präsident erklärte, es gäbe keine Werte, mit denen man die Auslöschung menschlichen Lebens rechtfertigen könne. Und die Erfolge bei der Industrialisierung der Sowjetunion bezeichnete Medwedjew denn auch als „Leistungen des Volkes“.
Ansehen gestiegen
Stalins Ansehen in der Bevölkerung ist in den letzten Jahren wieder gestiegen. Nach einer Umfrage des WCIOM-Meinungsforschungsinstituts sind 54 Prozent der befragten Russen der Meinung, Stalin habe Führungsqualitäten gehabt. Allerdings: Nur 37 Prozent der Befragten bewerten Stalin auch als positiv. Als negativ wird der Dikator aber auch nur von 24 Prozent der Befragten eingeschätzt.
Die Jugendlichen interessieren sich immer weniger für Sowjetgeschichte und für den „Generalissimus“ Stalin. Zwar sehen rund 22 Prozent der Jugendlichen den einstigen Staatschef positiv, allerdings haben 38 Prozent der Jugendlichen eine gleichgültige Haltung gegenüber dem Diktator.
Nach Meinung von Jan Ratschinski, einem Leitungsmitglied der Menschenrechtsorganisation Memorial, fehlt in Russland bis heute eine „genaue, klare und eindeutige Bewertung der Verbrechen während der kommunistischen Periode“. Der Menschenrechtler erklärte, im Gegensatz zu Deutschland habe Russland seine totalitäre Vergangenheit nicht aufgearbeitet und eindeutig verurteilt. Bis heute hätten die Russen zu wenig Informationen über die Verbrechen während der Stalin-Zeit.
Und wer dem Diktator Stalin huldigt, dem kommt man in Russland bis Heute nur schwer bei. In Woroneswh hängten die Kommunisten just zum Geburtstag erneut riesige Stalin-Bilder an den Straßen auf. Darauf prangte die Parole „Der Sieg ist unser“. Die Stadtverwaltung forderte, die Plakate wieder abzunehmen. Begründung: In den Straßen dürfe nur Werbung hängen.
Stalin-Enkel klagt
Und auch Stalins Enkel kämpft vor Gericht munter weiter um die Ehre des Diktators. Jewgeni Dschugaschwili verklagt gerade den beliebten Radiosender „Echo Moskwy“. Dieser hatte über einen Befehl Stalins berichtet, demzufolge bereits zwölfjährige Kinder erschossen werden durften.
"Sächsische Zeitung"