Starke Worte, wenig Taten
Von Ulrich Heyden, SZ-Korrespondent in Moskau
Nach dem Anschlag von Domodedowo regiert im Kreml Ratlosigkeit. Viel zu lange hat Moskau nur auf eine militärische Lösung in Tschetschenien gesetzt.
Anarchisch“ seien die Zustände auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo, wetterte Russlands Präsident Dmitri Medwedjew gestern auf einer Versammlung von hohen Funktionsträgern des russischen Inlands-Geheimdienstes FSB.
Die Besucher seien keinem Sicherheits-Check unterzogen worden. Auf den Flughafen war am Montag ein Terror-Anschlag verübt worden. 35 Menschen starben, 180 wurden verletzt.
Besucher, welche dort ankommende Passagiere abholen, wurden bislang nicht überprüft. Das Blatt „Kommersant“ hatte unter Berufung auf Ermittler berichtet, dass die Bombe offenbar von einem Mann durch einen unbewachten Seiteneingang in das Flughafengebäude gebracht worden war.
Medwedjew erinnerte seine Geheimdienstler auch daran, dass schon 2004 zwei Flugzeuge, die vom Flughafen Domodedowo gestartet waren, von Selbstmordattentäterinnen in der Luft gesprengt wurden. Danach wurden hinter den Eingängen fast aller russischen Flughäfen Metalldetektoren und Körper-Scanner aufgestellt. Doch bereits ein Jahr später mussten nur noch verdächtig aussehende Personen den Detektor passieren, schreibt „Moskowski Komsomolez“. Später seien die Metalldetektoren ganz abgeschaltet worden.
Angesichts bevorstehender Großereignisse steht Russland unter enormem Sicherheitsdruck. Für den Pazifik-Gipfel in Wladiwostok im Jahre 2012 und die Winterolympiade in Sotschi 2014 wolle man nun „maximalen antiterroristischen Schutz“ organisieren.
Mit der Anweisung, die für die schlampigen Kontrollen verantwortlichen Leute zu bestrafen, stellte Medwedjew lediglich Stärke zur Schau. Gleiches gilt für Regierungschef Wladimir Putin, der in bekannt rüdem Tonfall von „unvermeidlicher Vergeltung“ sprach und versprach, dafür würden „die Terroristen büßen“. Das alles wirkt ein wenig wie das berühmte Pfeifen im Wald – denn Erfolge können die Sicherheitsorgane nicht vorweisen.
Ineffektive Sicherheitsdienste
Die russischen Ermittler gehen davon aus, dass der Anschlag in Domodedowo vom nordkaukasisch-islamistischen Untergrund ausgeführt wurde. Von dem Attentäter sollen nach der Explosion nur der Kopf und eine Hand übrig geblieben sein. Angeblich handelt es sich um einen Kaukasier oder Araber im Alter von 30 bis 35 Jahren.
Auch der Vize-Chef des Duma-Sicherheitskomitees, Gennadi Gudkow, machte die ineffektive Arbeit der Sicherheitsorgane für den Anschlag auf den Moskauer Flughafen mitverantwortlich. Die Sicherheitskräfte im Nordkaukasus täten so, als ob man „mehr Sicherheit mit einer größeren Zahl von Kontrollpunkten, Passkontrollen und Durchsuchungen“ erreiche.
Große Pläne ohne Wirkung
Das Wichtigste aber, „die verdeckte Aufklärung“, liege danieder. Von einem Erfolg in der Anti-Terror-Arbeit könne man erst sprechen, wenn der Gegner „demoralisiert“ sei, doch das sei sichtlich nicht der Fall. Im Nordkaukasus ständen „die Selbstmordattentäter Schlange“ und seien bereit, „sich an jedem Ort in die Luft zu sprengen“.
Indem er den ehemaligen Unternehmer Aleksander Chloponin zum Generalbevollmächtigten für einen neu geschaffenen russischen Südbezirk ernannte, hoffte Medwedjew, der Entwicklung im Nordkaukasus eine andere Richtung geben zu können. Chloponin kündigte für die von hoher Arbeitslosigkeit geplagte Region auch gleich große Ski-Zentren und andere Investitionsprojekte an. Doch es scheint nicht einfach zu sein, dafür auch Investoren zu finden. Und ein weiterer großer Bremsklotz ist die Korruption in der Region.
Der Ex-Präsident der Teilrepublik Inguschetien, Ruslan Auschew, sagte im Radiosender Echo Moskau, der Kreml habe im Nordkaukasus seit 1992 vor allem auf militärische Lösungen gesetzt anstatt auf friedliche Wege. Eine ganze Generation von Jugendlichen sei so praktisch im Krieg groß geworden.
Auch das hat den Krieg immer mehr radikalisiert. Selbstmordattentäter waren im ersten Tschetschenienkrieg (1994–1996) noch völlig unbekannt. Heute propagierten die Kämpfer längst keine bloße Loslösung von Russland mehr, sondern einen Gottesstaat, ein „Emirat Kaukasus“, dass mehrere nordkaukasische Republiken umfassen soll.
Die Islamisten, die den Kaukasus und russische Städte immer wieder mit Terroraktionen verängstigen, haben allerdings längst keine Mehrheit der Einwohner hinter sich, schätzt der Kaukasus-Experte Aleksej Malaschenko ein. Beobachter berichteten schon während des zweiten Tschetschenienkrieges (1999 bis 2003), dass viele Tschetschenen kriegsmüde sind und zugleich enttäuscht von den Führern des tschetschenischen Separatismus sowie erst recht von den aus arabischen Ländern eingeschleusten religiösen Fundamentalisten.
Seit 2010 ist die Zahl solcher Terroraktionen in Russland wieder steigend. Im März letzten Jahres kamen bei zwei Anschlägen von Selbstmordattentäterinnen aus Dagestan in der Moskauer Metro 40Menschen ums Leben. Auch in Tschetschenien selbst geht wieder die Angst um. Im August überfielen Untergrundkämpfer das Dorf des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow. Es starben 18Menschen. Im Oktober gab es einen Selbstmordanschlag im Parlamentsgebäude in Grosny mit sechs Todesopfern.
veröffentlicht in: Sächsische Zeitung