Trauer in Tiflis
Der Waffenstillstand, der nach dem Blutvergießen im Südkaukasus vereinbart wurde, ist gestern von weiteren Zwischenfällen mit Beteiligung russischer Truppen in Georgien überschattet worden.
TIFLIS. Eine deutsche Familie ist in Georgien unter lebensgefährlichen Beschuss geraten. Als Unbekannte in der Nähe von Gori das Auto der Familie beschossen, wurden der 43-jährige Sönke T. aus Lübeck und seine aus Georgien stammende Frau schwer, ihre beiden ein und vier Jahre alten Kinder leicht verletzt. Der Vorfall ereignete sich, wie gestern bekannt wurde, bereits am Dienstag.
"Wer angefangen hat?", die beiden älteren Damen gucken verwundert. "Natürlich die Russen." Die beiden Frauen gehen auf dem Prachtboulevard von Tiflis, den Rustaveli Prospekt, spazieren. Auf dem vierspurigen Prospekt dröhnt der Verkehr. Gerade haben die beiden Damen in einer Kirche Kerzen angezündet. "Für unsere Jungs und für den Sieg." Schnell kommt die Rede auf Deutschland. Auf Angela Merkel sind die beiden Frauen nicht gut zu sprechen. Angela Merkel habe Georgiens Aufnahmeantrag in die Nato mit blockiert. Das Ergebnis könne man ja jetzt sehen. Georgien sei überfallen worden. Dabei müssten die Deutschen doch eigentlich aus eigener Erfahrung wissen, dass man sich gegen "die Russen" verteidigen muss.
Auf den georgischen Präsidenten "Mischa", Michail Saakaschwili, lassen die beiden Damen, die eine arbeitet als Archäologin, die andere als Chemikerin, nichts kommen. Unter Schewardnadse, dem Vorgänger von Saakaschwili habe man zwölf Jahre ohne Strom und Gas gelebt, sagt die Chemikerin. "Mit Saakaschwili wurde alles besser." Die Boutiquen, die rechts und links den Rustaveli säumen, scheinen den Damen Recht zu geben. Edle Kleider und Jugendmode in frechen Farben. Alles ist fast wie Europa. Wäre da nicht die Menschenansammlung vor einem ehemaligen Druckereigebäude. Hier haben sich in den letzten Tagen mehrere Hundert Flüchtlinge aus dem Gori-Bezirk einquartiert. Polizei und Vertreter der Stadtverwaltung sind nicht zu sehen. Vor dem Gebäude diskutieren aufgeregt Männer und Frauen. Sie sehen müde aus.
Mit Journalisten wollen sie nicht reden. Die Flüchtlinge haben andere Probleme. Außerdem scheinen sie sich zu schämen, weil die Regierung sich nicht um sie kümmert. Dann fasst sich Jelena, eine Lehrerin, die im Gori-Bezirk als Bankangestellte arbeitete, ein Herz und zeigt die unbeleuchteten Fabrik-Flure, in denen sich altes Papier türmt. Das Klo funktioniert nicht. Durch die Flure zieht ein unangenehmer Fäkalien-Geruch. "Wir haben kein Wasser und keinen Strom", berichtet Jelena. Und das Essen? "Wir haben in Tiflis Verwandte. Die versorgen uns."
Die Stadt trägt Trauer. An den Fenstern hängt die georgische Flagge, jede mit einem Trauerflor. In den Wohnungen laufen die Fernseher ununterbrochen. Sobald die Nachrichten beginnen, strömen die Menschen in den Cafés vor die TV-Geräte.
Die Jugendlichen auf der Straße feixen, sie werden nicht in die Berge fliehen, sie wollen bleiben. Die Sonne scheint. In Tiflis pulsiert das Leben, und doch ist der Krieg direkt auf der Haut zu spüren.
"Thueringer Allgemeine"